Verhaltensbedingte Kündigung auch ohne Abmahnung möglich

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Spricht der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer eine Kündigung aus, ist stets danach zu fragen, ob ein milderes Mittel geeignet gewesen wäre, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Eine Abmahnung beispielsweise stellt ein derartiges milderes Mittel dar.


Einer Abmahnung bedarf es aber ausnahmsweise dann nicht, wenn im Voraus erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer sein Verhalten nach Ausspruch der Abmahnung nicht ändern wird. Auch bedarf es einer Abmahnung ausnahmsweise nicht, wenn die Pflichtverletzung so schwer wiegt, dass dem Arbeitgeber aus objektiver Betrachtung auch die erstmalige Hinnahme nicht zuzumuten ist und dies auch für den Arbeitnehmer erkennbar ist.


Fällt dann auch die anschließend vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Arbeitnehmers aus, ist die Kündigung als wirksam anzusehen. Die Interessenabwägung fragt hier danach, ob das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung des Arbeitsplatzes bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis ohne Kündigung enden würde, das Interesse des Arbeitgebers an der vorzeitigen Beendigung überwiegt. Dem Arbeitgeber darf also ein Festhalten am Arbeitsverhältnis nicht mehr zumutbar sein.


Der konkrete Fall


In einem vom Landesarbeitsgericht (LAG) München entschiedenen Fall (Urteil vom 23.02.2023 – 3 Sa 419/22) hat das Gericht eine Kündigung ohne Abmahnung für wirksam erachtet, weil sich die Arbeitnehmerin geweigert hat, dem Wunsch des Arbeitgebers (einer Kommune), durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, dass sie zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist, nachzukommen. Anlass für die Aufforderung des Arbeitgebers, einen Termin beim betriebsärztlichen Dienst wahrzunehmen und zu diesem aussagekräftige Befunde mitzubringen, waren hohe Fehlzeiten der Arbeitnehmerin.


Auf das Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmerin war der TVöD-K anzuwenden. Dort ist unter § 3 Abs. 4 geregelt:


„Der Arbeitgeber ist bei begründeter Veranlassung berechtigt, die/den Beschäftigte/n zu verpflichten, durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, dass sie/er zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist. Bei der beauftragten Ärztin/dem beauftragten Arzt kann es sich um eine Betriebsärztin/einen Betriebsarzt, eine Personalärztin/einen Personalarzt oder eine Amtsärztin/einen Amtsarzt handeln, soweit sich die Betriebsparteien nicht auf eine andere Ärztin/einen anderen Arzt geeinigt haben. Die Kosten dieser Untersuchung trägt der Arbeitgeber.“


Der Arbeitgeber wies die Arbeitnehmerin (allerdings nicht in Form einer Abmahnung) darauf hin, dass sie mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen rechnen müsse, falls sie den Termin nicht wahrnehme. Auch sei sie verpflichtet, nach der Vorstellung beim betriebsärztlichen Dienst eine entsprechende Bescheinigung vorzulegen. Die Arbeitnehmerin stellte sich dort zwar vor, verwies aber auf ihre derzeitige, von ihrem behandelnden Arzt belegte Arbeitsunfähigkeit, ohne dem betriebsärztlichen Dienst ärztliche/fachärztliche Befunde vorzulegen oder sonstige weitere Angaben zu machen. Der Betriebsarzt verweigerte deshalb die Bestätigung ihrer Vorstellung. Der Arbeitgeber sprach daraufhin die ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen aus.


Nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und einiger Landesarbeitsgerichte ist die Verletzung einer tarif- oder einzelvertraglich geregelten Nebenpflicht des Arbeitnehmers, bei gegebener Veranlassung auf Wunsch des Arbeitgebers an einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit mitzuwirken, „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen und berechtigt daher unter Umständen sogar zu einer fristlosen Kündigung. Somit begründet diese Pflichtverletzung erst recht eine ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen.


Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts


Das LAG München entschied, dass der Arbeitgeber berechtigt war, überprüfen zu lassen, ob die Arbeitnehmerin gesundheitlich in der Lage war, ihren arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte hieran zweifeln lassen. Dagegen war es eine falsche Annahme der Arbeitnehmerin, sie sei bei Arbeitsunfähigkeit zur Vorlage der Bescheinigung nach § 3 Abs. 4 TVöD-K nicht verpflichtet.


Eine Abmahnung war hier nicht erforderlich, da aus den Gesamtumständen erkennbar war, dass eine Verhaltensänderung der Arbeitnehmerin auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten war. Da der Arbeitgeber zuvor, wenn auch nicht in Form einer Abmahnung, auf die Ergreifung arbeitsrechtlicher Maßnahmen hingewiesen hat, war die Arbeitnehmerin ausreichend gewarnt. Dennoch hat sie die Untersuchung verzögert und im Termin beim Betriebsarzt nicht mitgewirkt. Hinzu kam noch, dass die Arbeitnehmerin den Arbeitgeber versucht hat, darüber zu täuschen, dass sie ihren Verpflichtungen nachgekommen ist.


Das LAG München führt aus, dass es dem Arbeitgeber objektiv nicht zuzumuten ist, eine Mitarbeiterin weiter zu beschäftigen, die statt ihrer Mitwirkungspflicht nachzukommen ihn aktiv über ihre fehlende Mitwirkung in die Irre führt. Die Interessenabwägung fiel daher schließlich zu Lasten der Arbeitnehmerin aus.


Fazit


Auch dieser Fall zeigt, dass nicht jeder verhaltensbedingten Kündigung eine Abmahnung vorauszugehen hat. Insbesondere die weit verbreitete Annahme, ein Arbeitgeber müsse erst drei Mal abmahnen, bevor er kündigen könne, ist falsch und findet weder im Gesetz noch in der Rechtsprechung eine Stütze. Vielmehr ist die Frage ob und gegebenenfalls wie vieler Abmahnungen es bedarf, von mehreren Faktoren abhängig und daher stets im Einzelfall zu prüfen und zwar sowohl bei ordentlichen als auch bei fristlosen Kündigungen. Das gilt sowohl für Arbeitgeber vor Ausspruch als auch für Arbeitnehmer nach Erhalt einer verhaltensbedingten Kündigung.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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