Verjährung und Schuldanerkenntnis nach russischem Recht

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Gegenstand und Dauer

Als Verjährung gilt gem. Art. 195 des Zivilgesetzbuchs der Russischen Föderation ("ZGB RF") die Frist zum Schutz eines Rechts durch Klageerhebung einer Person, deren Recht verletzt worden ist.

Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre (Art. 196 ZGB RF).

Verfahren

Die Verjährung wird derzeit in einem Rechtsstreit durch ein Gericht nur auf Antrag einer Partei angewandt, der vor dem Ergehen eines Urteils durch das Gericht eingebracht worden ist. Anders als in der Sowjetszeit wendet das Gericht die Verjährung von Amts wegen nicht an.

Der Ablauf der Verjährungsfrist, deren Anwendung eine Partei in einer Rechtsstreitigkeit beantragt hat, ist Grundlage für das Fällen eines Urteils durch das Gericht mit Abweisung einer Klage.

Die Einrede der Verjährung kann vor einem erstinstanzlichen Gericht oder einem Appellationsgericht gestellt werden.

Schuldanerkenntnis

Zwei Vorschriften - in Art. 203 Abs. 1 und Art 206 Abs. 2 ZGB RF - befassen sich mit Schuldanerkenntnis im Falle von Erhebung einer Verjährungseinrede.

Schuldanerkenntnis gemäß Art. 203 Abs. 1 ZGB RF

Gemäß Art. 203 Abs. 1 ZGB RF wird eine Verjährungsfrist dadurch unterbrochen, dass die verpflichtete Person Handlungen vornimmt, die das Anerkenntnis ihrer Schuld bezeugen. Nach der Unterbrechung beginnt die Verjährung von neuem zu laufen; die Zeit, die bis zur Unterbrechung vergangen ist, wird auf die neue Frist nicht angerechnet.

Der Anwendungsbereich von Art. 203 Abs. 1 ZGB RF ist auf Anerkenntnishandlungen vor Ablauf der Verjährungsfrist begrenzt. Dabei handelt es sich nicht nur um ein Schuldanerkenntnis selbst, sondern auch um die weiteren sie bezeugenden Handlungen. Die Schriftform ist nicht zwingend vorgeschrieben.

Der berechtigte Schuldner kann eine Verjährungseinrede dann nicht geltend machen, wenn er sie über eine längere Zeit nicht geltend gemacht hat und sein Vertragspartner sich aufgrund des Gesamtverhaltens des Schuldners auf die zukünftige Nichtgeltendmachung eingerichtet hat.

Notwendigkeit von Art. 203 Abs. 1 ZGB RF ergibt sich aus Verbot widersprüchlichen Verhaltens - venire contra factum proprium, der einen besonderen Fall des Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 dBGB; Art. 1 Ziff. 3, 4 ZGB RF) darstellt.

Unzulässigkeit eines solchen widersprüchlichen Verhaltens bei Geltendmachung von Verjährungseinreden hat auch die deutsche höchstrichterliche Rechtsprechung mehrfach bestätigt (RGZ 115, 135; BGHZ 71, 86, 96).

Insoweit ist es möglich, eine fällige Rechnung zu stunden und durch diese Stundung eine Verlängerung der Verjährungsfrist herbeizuführen. Gemäß dem Grundsatz von Vertragsfreiheit können Parteien vereinbarungsgemäß einen zwischen ihnen früher geschlossenen Vertrag und die darin enthaltene Regelungen über Zahlungsfrist und Zahlungsverfahren - u.a. durch eine Stundung - ändern.

Auf diese Weise können sie z.B. eine formale Vereinbarung auf Forderungsanerkennung schließen. Ihr Hauptzweck wäre die Verjährung zu unterbrechen.

Häufiger kommen die tabellarisch geordneten Vergleichsprotokolle der gegenseitigen Rechnungsstellung/Saldenabstimmungsprotokolle (engl.: reconciliation acts; russ.: Akt sverki rastschetov) in der Praxis vor, durch die eine Partei ihre Forderungen im Einzelnen mit Angabe der Fälligkeit aufzählt und die andere Partei sie evtl. anerkennt bzw. bestreitet und die durch die Generaldirektoren bzw. die Hauptbuchhalter der Parteien unterzeichnet werden.

Schuldanerkenntnis gemäß Art. 206 Abs. 2 ZGB RF

Das Schuldanerkenntnis ist gemäß Art. 206 Abs. 2 ZGB RF auch nach Ablauf der Verjährungsfrist zulässig. Wenn ein Schuldner ihre Schuld nach Ablauf der Verjährungsfrist schriftlich anerkennt, beginnt die Verjährung ebenso von neuem zu laufen.

Die Rechtsprechung des Obersten Gerichts der Russischen Föderation (OG RF) führt folgende Beispiele eines Schuldanerkenntnisses ausdrücklich an:

-          Anerkenntnis eines Rügeschreibens;

-          Änderung eines Vertrags durch einen ordnungsgemäßen Vertreter eines Schuldners, wie z.B. die Stundung oder die Abzahlung, aus der es sich ergibt, dass der Schuldner das Bestehen der Schuld anerkannt hat;

-          Antrag des Schuldners über eine solche Änderung eines Vertrags, wie z.B. die Stundung oder die Abzahlung;

-          ein o.g. Vergleichsprotokoll der gegenseitigen Rechnungsstellung; oder auch

-          eine mündliche Anerkenntnis des Schuldners, die in ein Protokoll der gerichtlichen Verhandlung aufgenommen ist.

Form des Schuldanerkenntnisses

Die Änderung des Vertrags durch die Stundung bedarf grundsätzlich der Schriftform.

Mit Ausnahme von notariell zu beglaubigenden Rechtsgeschäfte - wie z.B. eines GmbH-Anteilskaufvertrags oder eines Ehevertrag - sind in einfacher Schriftform vorzunehmen:

1.         Rechtsgeschäfte juristischer Personen untereinander und mit natürlichen Personen; und

2.         Rechtsgeschäfte natürlicher Personen in Höhe des Betrages über RUR 10.000 (ca. EUR 100) und in den gesetzlich vorgesehenen Fällen unabhängig vom Betrag des Rechtsgeschäfts.


Für Schuldanerkenntnis nach Ablauf der Verjährungsfrist ist eine Schriftform speziell durch Art. 206 Ziff. 2 ZGB vorgeschrieben.


Die Nichteinhaltung der Schriftform begründet Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts derzeit nur in den Fällen, die ausdrücklich durch ein Gesetz oder in einer Parteivereinbarung genannt sind.


Regelmäßig verlieren die Parteien durch den Verstoß gegen die Schriftformanforderung das Recht, sich im Falle einer Streitigkeit zur Bestätigung des Rechtsgeschäfts und seiner Bestimmungen auf Zeugenaussagen zu berufen, aber sie verlieren nicht das Recht, schriftliche und andere Beweise vorzulegen.


Das Schuldanerkenntnis unterbricht die Verjährung nur unter Voraussetzung ihrer Vornahme und auch der Unterzeichnung einer Vereinbarung über Stundung durch einen bevollmächtigten Vertreter des Schuldners.


In Russland sind Generaldirektoren geborene Vertreter von Kapitalgesellschaften und vertreten sie aufgrund von Satzungen. Daten über vertretungsberechtigte Exekutivdirektoren werden ins Einheitliche Staatliche Register von juristischen Personen (EGRUL) eingetragen.


Alternativ bedürfen Vertreter einer Kapitalgesellschaft einer schriftlichen Vollmacht, die durch die genannten Exekutivorgane ausgestellt werden. Unter Umständen kann jedoch auch die Unterschrift eines Hauptbuchhalters, auf einer Schuldanerkenntnisvereinbarung als ausreichender Nachweis für seine ordnungsgemäße Bevollmächtigung darstellen.


Im Hinblick auf die oben dargelegten Formalitäten wird es praktisch schwierig, die Schuldanerkenntnis den Einzelumständen - wie z.B. dem Mangel weiterer Geltendmachung während schwebender Verhandlungen - herzuleiten.


Verlängerung der Verjährung durch Verhandlung? 


Nach russischem Recht besteht keine Vorschrift, die mit § 203 dBGB vergleichbar ist und gemäß der die Verjährung so lange gehemmt wird, bis der eine oder andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert.


Nach Art. 202 Ziff. 3 ZGB RF kann eine Verjährung nur im Rahmen einer gesetzlich bestimmten außergerichtlichen Schlichtungsmethode gehemmt werden.


So z.B. muss ein Gläubiger seinem säumigen Geschäftspartner aus einem Handelsvertrag eine Mahnung senden, bevor ein Gerichtsverfahren eingeleitet werden kann (Art. 4 Abs. 5 Wirtschaftsprozessordnung RF). Erst mit dem erfolglosen Ablauf der gesetzlichen 30-Tages-Frist wird er berechtigt, eine Klage vor dem Wirtschaftsgericht zu erheben.


Auf Schiedsklagen findet diese Vorschrift, die sich auf Verfahren vor staatlichen Wirtschaftsgerichten bezieht, keine Anwendung und wird durch Schiedsgerichte bei Beurteilung der Verjährung nicht mitberücksichtigt.


Die Verjährung eines Anspruchs wird nur für die genannte 30-Tages-Frist gehemmt. Die Hemmung der Verjährung aufgrund von Art. 202 Ziff. 3 ZGB RF kommt auf Initiative des Schuldners nicht in Betracht.


Grundsatz des guten Glaubens

Der Grundsatz des guten Glaubens ist für internationalen Handel von besonderer Bedeutung.

Weder Deutschland, noch Russland sind am New Yorker UN-Übereinkommen über die Verjährung beim internationalen Warenkauf vom 14.06.1976 beteiligt.

Die beiden Staaten beteiligen sich jedoch am Wiener UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11.04.1980 (CISG; Wiener UN-Kaufrecht).

Auch wenn die Verjährung des Verkäufers und des Käufers vom Einheitskaufrecht ausgespart wird, verweist Artikel 7 CISG auf den Grundsatz des guten Glaubens als einen allgemeinen Grundsatz, der dem CISG zugrunde liegt:

(1)       Bei der Auslegung dieses Übereinkommens sind sein internationaler Charakter und die Notwendigkeit sie zu berücksichtigen, seine einheitliche Anwendung und die Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel zu fördern.

(2)       Fragen, die in diesem Übereinkommen geregelte Gegenstände betreffen, aber in diesem Übereinkommen nicht ausdrücklich entschieden werden, sind nach den allgemeinen Grundsätzen, die diesem Übereinkommen zugrunde liegen… zu entscheiden...     

Ab dem 01.03.2013 wurden die neuen Regelungen zum Grundsatz von Treu und Glauben ins ZGB RF aufgenommen:


Bei Begründung, Ausübung und Schutz von bürgerlichen Rechten und bei Erfüllung von bürgerlichen Pflichten sollen die Beteiligten an den bürgerlichen Rechtsverhältnissen nach Art. 1 Ziff. 3 ZGB RF gemäß Treu und Glauben handeln.


Niemand ist berechtigt, einen Vorteil infolge seiner gesetzwidrigen oder bösgläubigen Handlungen zu ziehen (Art. 1 Ziff. 4 ZGB RF).


Diese eingeführten Regelungen zum Grundsatz von Treu und Glauben können künftig - ähnlich wie in Deutschland - eine große Bedeutung für die russische Rechtsprechung erlangen.


Heutzutage lassen sich jedoch keine Urteile, die auf Treu und Glauben gestützt sind, im Zusammenhang mit der Verjährung finden.


Vor und nach der Einführung des Grundsatzes von Treu und Glauben wurde Art. 10 ZGB RF über Unzulässigkeit eines Rechtsmissbrauchs nur in seltenen Fällen und hilfsweise bei Abweisung der Einreden der Verjährung angewandt (Urteile des OG RF vom 26.01.2016 Nr. 301-ЭС15-5443, des HWG RF vom 22.11.2011 Nr. 17912-09).


Uns ist es jedoch kein Fall bekannt, wo diese Vorschrift als die Hauptgrundlage für Abweisung einer Einrede der Verjährung gedient hat.


Der berechtigte Schuldner kann eine Verjährungseinrede dann nicht geltend machen, wenn er sie über eine längere Zeit nicht geltend gemacht hat und sein Vertragspartner sich aufgrund des Gesamtverhaltens des Schuldners auf die zukünftige Nichtgeltendmachung eingerichtet hat.

Notwendigkeit von Art. 203 Abs. 1 ZGB RF ergibt sich aus Verbot widersprüchlichen Verhaltens - venire contra factum proprium, der einen besonderen Fall des Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 dBGB; Art. 1 Ziff. 3, 4 ZGB RF) darstellt.

Keine Aufrechnung mit einer verjährten Forderung


Einseitige Handlungen, die auf Geltendmachung eines verjährten Anspruchs gerichtet sind, wie die Aufrechnung, die akzeptlose Abbuchung oder die außergerichtliche Verwertung eines Pfandgegenstands, usw., sind nicht zulässig (Art. 199 Ziff. 3 ZGB RF). Somit ist die Aufrechnung mit einer verjährten Gegenforderung untersagt.


Auch die Rechtsprechung lässt die Aufrechnung mit der verjährten Forderung zu, nur soweit diese bei Eintritt der Aufrechnungslage noch unverjährt war (Urteil des WG des Westsibirien-Gerichtsbezirks vom 13.09.2016 Nr. A27-6473/2015).


Die Aufrechnung mit einer verjährten Gegenforderung wird zusätzlich auch wegen des gleichzeitigen Verstoßes gegen den durch Art. 10 verankerten Grundsatz der Unzulässigkeit eines Rechtsmissbrauchs verboten (Urteil des Vierten Appellations-WG vom 11.06.2015 Nr. A10-5020/2014).

Foto(s): www.karimullin.com


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