Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit von sog. Reichsbürgern?

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Der Fall

Die Waffenbehörde widerrief sämtliche waffenrechtliche Erlaubnisse (Waffenbesitzkarten) und ordnete das Unbrauchbarmachen bzw. die Überlassung der Waffen an einen Berechtigten an. Hintergrund waren mehrere Schreiben des Waffenbesitzers an verschiedene Behörden, in denen der sich u. a. als „Bundesstaatsangehöriger des Staatenbundes Deutsches Kaiserreich von 1871“ auswies. In einem weiteren Schreiben beschrieb er seine Staatsangehörigkeit zum Königreich Preußen. Die Waffenbehörde ordnete ihn den sog. Reichsbürgern zu. Aufgrund eines tödlichen Schusswechsels eines sog. Reichsbürgers mit einem bayerischen Polizisten meinte die Waffenbehörde, dem Waffenbesitzer ein Gewaltpotential zuordnen zu können, obwohl der Waffenbesitzer bisher nicht wegen eines Gewaltdelikts auffällig geworden ist. In strafrechtlicher Hinsicht war ihm lediglich eine Trunkenheitsfahrt mit Unfallflucht vorzuwerfen. Die Verurteilung mit 50 Tagessätzen reichte allerdings zu einem Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse nicht aus, da die Schwelle von 60 Tagessätzen (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 c WaffG), ab der eine Unzuverlässigkeit angenommen werden kann, nicht erreicht war.

Rechtliche Einschätzung

Der Widerruf waffenrechtlicher Erlaubnisse richtet sich u. a. nach § 45 Abs. 2 WaffG. Danach ist eine waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zu einer Versagung hätten führen müssen. In diesem Fall begründete die Waffenbehörde den Widerruf zunächst mit der Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 2 a) bis c) WaffG. Danach besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass entweder

  • Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertigt verwendet werden (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 a) WaffG),
  • mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgegangen oder diese Gegenstände nicht sogfältig verwahrt werden (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 b) WaffG),
  • Waffen oder Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 c) WaffG).

Grundsätzlich muss eine Waffenbehörde eine auf Tatsachen gestützte Prognose eines spezifisch waffenrechtlich bedenklichen Verhaltens erstellen, aus dem mit hoher Wahrscheinlichkeit der Eintritt von Schäden für hohe Rechtsgüter resultiert (Heinrich in Steindorf, Kom. zum WaffG, § 5, RN 8). Die Tatsachen müssen nachgewiesen und so erheblich sein, dass sie den Schluss auf die Unzuverlässigkeit zulassen („... die Annahme rechtfertigen ...“) (Heller/Soschinka, Handbuch Waffenrecht, RN 758d). 

Daraus ergibt sich ein dreistufiger Prüfungsauftrag an die Behörde, der sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt:

  • Nachgewiesene und erhebliche Tatsachen,
  • spezifisches, auf Tatsachen gestütztes waffenrechtswidriges Verhalten und
  • die negative Zukunftsprognose inklusive einer nachvollziehbaren Bewertung jeder einzelnen Tatsache und dem daraus resultierenden Schluss auf eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit für hohe Rechtsgüter, vgl. Heller/Soschinka, Handbuch Waffenrecht, RN 758e.

Eine einfach-kausale Beziehung zwischen angeblichen waffenrechtlich vorwerfbaren Verhalten und der Unzuverlässigkeit stellt einen Ermessensfehler dar, da die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 WaffG nicht geprüft wurden (vgl. Heller/Soschinka, Die Polizei, Heft 11, 2008, S. 306 mit Beispielen zu einer ungenügenden Subsumption unter den § 5 Abs. 1 WaffG).

Den Widerrufsbescheiden einiger Waffenbehörden fehlt es an der sachgemäßen Auseinandersetzung mit diesen beschriebenen drei Prüfungsschritten.

1. Nachgewiesene und erhebliche Tatsachen

Die Äußerung einer politischen Haltung ist nicht durch das Waffenrecht sanktionswürdig, schon gar nicht durch § 5 Abs. 1 WaffG. Es muss zunächst eine Tatsache festgestellt werden. Welche das hier sein soll, bleibt offen. Einzig die im Bescheid genannten Äußerungen hinsichtlich seiner Staatsangehörigkeit zum Königreich Preußen könnten solche Tatsachen sein. Ihre waffenrechtliche Relevanz allerdings blieb offen. Mit einem Gedankenkonstrukt von den Äußerungen des Klägers über eine Nichtanerkennung der (deutschen?) Rechtsordnung von Repräsentanten der Reichsbürgerbewegung (und nicht des Waffenbesitzers) bis hin zu dem Schluss, dass es zu „Konflikten mit Vertretern des Staates kommen“ könnte begründete die Behörde die Unzuverlässigkeit von Reichsbürgern (nicht des Waffenbesitzers!) und schloss daraus – ohne nähere Begründung – auf die Unzuverlässigkeit des Waffenbesitzers. Nachgewiesene Tatsachen, die bereits aus der Gesetzessystematik her einen Waffenbezug haben müssen, stellte die Behörde somit nicht fest. Die Behörde scheiterte also schon auf der ersten Prüfungsebene.

2. Spezifisches, auf Tatsachen gestütztes waffenrechtswidriges Verhalten

Der Schluss der Behörde, der Waffenbesitzer sei durch seine Äußerungen der Reichsbürgerbewegung zuzuordnen und weil es durch einen Reichsbürger zu einem Tötungsdelikt gekommen sei habe dies auch für den Kläger zu gelten, stellt keine spezifisch waffenrechtliche Tatsache dar, die dem Kläger angelastet werden kann. Die Tatsache bzw. der waffenrechtliche Vorwurf ist personalisiert, das heißt ein generalpräventiver Verdacht ohne Hinzutreten weiterer, waffenrechtlicher relevanter und durch das Verhalten des Waffenbesitzers begründeter Tatsachen stellt eine unzulässige Durchbrechung der Unschuldsvermutung dar.

Somit kam die Behörde auch dem zweiten Prüfungsschritt nicht nach.

3. Negative Zukunftsprognose

Weiter erforderlich für die Annahme einer Unzuverlässigkeit gemäß § 5 Abs. 1 WaffG ist die negative Zukunftsprognose inklusive einer nachvollziehbaren Bewertung jeder einzelnen Tatsache und dem daraus resultierenden Schluss auf eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit für hohe Rechtsgüter.

Lapidar stellte die Behörde in ihrem Bescheid fest:

„Ein solches Vertrauen kann bei sog. Reichsbürgern nicht unterstellt werden. Im Wege einer Verhaltensprognose bestehen damit hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die oben genannten Regelungen des Waffenrechts zu Verwendung (a), Umgang und Verwahrung (b) und Überlassung an Unberechtigte (c) nicht beachtet werden, ohne dass konkrete Verstöße gegen waffenrechtliche Vorschriften vorliegen müssen.“

Diese angebliche Prognose besteht aus einer Aneinanderreihung von Pauschalaussagen mit einer verkürzten Wiederholung des Gesetzestextes, was allerdings eine ermessensfehlerfreie Subsumption nicht ersetzen kann.

Es fehlt die Benennung der Tatsachen, aus der sich ein spezifisch waffenrechtlich relevantes Verhalten ergibt. Weiter fehlt es an einer Darstellung der Risiken (Höhe eines Schadens) für bestimmte hohe Rechtsgüter (welche Rechtsgüter?), weiter mangelt es der „Prognose“ an der Auseinandersetzung mit der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens. Die Behörde hatte sich in ihrem Bescheid ferner nicht damit auseinandergesetzt, warum gerade diese Voraussetzungen auf den Kläger zutreffen sollen. Er hat stattdessen pauschal von einer Gruppe (die Reichsbürger) auf den Kläger geschlossen und das waffenrechtliche Fehlverhalten eines Reichsbürgers ohne weitere Begründung dem Waffenbesitzer angelastet.

4. Bestrebungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung

Weiter begründete die Behörde den Widerruf mit angeblichen Bestrebungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung, § 5 Abs. 2 Nr. 3 a) WaffG. Auch hier ließ sie die erforderliche Subsumption vermissen.

4.1

Die verfassungsmäßige Ordnung im Sinn des § 5 Abs. 2 Nr. 3 a) WaffG ist anhand der Regelung des § 92 Abs. 2 StGB auszulegen (Heinrich in Steindorf, Kom. zum WaffG, § 5, RN 21). Danach umfasst die verfassungsmäßige Ordnung die Verfassungsgrundsätze. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des NPD-Verbotsverfahrens präzisiert:

„Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung umfasst nur jene zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind.

a) Ihren Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit.

b) Ferner ist das Demokratieprinzip konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Unverzichtbar für ein demokratisches System sind die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG).

c) Für den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind schließlich die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte bestimmend. Zugleich erfordert die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit des Einzelnen, dass die Anwendung physischer Gewalt den gebundenen und gerichtlicher Kontrolle unterliegenden staatlichen Organen vorbehalten ist“ (BVerfG, Urteil vom 17.01.2017, Az.: 2 BvB 1/13).

Die Behörde hätte also nachweisen müssen, dass der Waffenbesitzer Bestrebungen gegen diese Verfassungsgrundsätze geführt hat. Dies hat sie jedoch unterlassen und pauschal die Nichtanerkennung der staatlichen Rechtsordnung unterstellt und diese mit den vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten Verfassungsgrundsätzen gleichsetzend deren Abschaffung behauptet. Dabei fehlt es bereits an der zutreffenden Definition. Rein hypothetisch unterstellt, die beanstandeten Äußerungen seien als Nichtanerkennung eines Urteils zu verstehen, sind damit nicht die Verfassungsgrundsätze berührt. Diese ergeben sich aus dem abschließenden (Fischer, Kom. zum StGB, § 92, RN 5) Katalog des § 92 Abs. 2 StGB. Weder hatte der Waffenbesitzer die Volksouveränität, die Gewaltenteilung noch das demokratische Wahlrecht angezweifelt.

4.2

Völlig unerwähnt ließ die Behörde, wie sie die Mitgliedschaft in der Reichsbürgerbewegung begründen will. Die Mitgliedschaft in einer Vereinigung ist jedoch zwingende Voraussetzung der Anwendbarkeit des § 5 Abs. 2 Nr. 3 a) WaffG. Ohne das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals und dem Nachweis durch die Waffenbehörde ist der Bescheid rechtswidrig.

5. Urteile zur Reichsbürgerbewegung

Soweit hier bekannt haben sich zwei Verwaltungsgerichte mit der Rechtsproblematik der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit von sogenannten Reichsbürgern befasst.

5.1 VG Gera

Das Verwaltungsgericht Gera (Urteil vom 16.09.2015, Az.: 2 K 540/14) hat sinngemäß und zusammenfassend entschieden:

„Erkennt der Besitzer einer Waffenerlaubnis die Bundesrepublik Deutschland nicht an und ist er Mitglied einer entsprechenden Vereinigung, so begründet dies für sich genommen noch keine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit. Die Waffenerlaubnis kann aber dann widerrufen werden, wenn zu erwarten ist, dass die politische Gesinnung gewaltsam durchgesetzt werden soll.“

Auf den vorliegenden Fall übertragen bedeutet das Urteil des VG Gera, dass mangels Nachweis einer Mitgliedschaft sowie mangels Bestrebungen des Waffenbesitzers zur Gewalt im Allgemeinen und Durchsetzung von politischen Ansichten mit Gewalt im Besonderen der Widerruf unzulässig ist.

5.2 VG Cottbus

Das Verwaltungsgericht Cottbus (Urteil vom 20.09.2016, Az.: 3 K 305/16) verlangt für den Widerruf von waffenrechtlichen Erlaubnissen die für jeden Einzelfall festgestellte Tatsache, dass sich ein Waffenbesitzer außerhalb der Rechtsordnung bewegt und

„... die maßgeblichen Regelungen, insbesondere des Polizei- und Waffenrechts, für sich als nicht bindend ansieht und sein Verhalten danach ausrichtet.“

Die Behörde muss also nach Ansicht des VG Cottbus Ausführungen dazu machen, warum ein Waffenbesitzer das Polizei- und Waffenrecht ignoriert. Auch hierzu müssen Tatsachen nachgewiesen werden.

Der Bescheid ist daher nach meiner Einschätzung insgesamt rechtswidrig ergangen. Ein Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln ist anhängig.

Philip Keller

Rechtsanwalt Köln


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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