Wann habe ich einen Anspruch auf einen Strafverteidiger, Pflichtverteidiger? Fachanwalt für Strafrecht informiert

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Im Strafverfahren kann und teilweise muss dem Beschuldigten ein Anwalt zur Seite stehen. Der Strafverteidiger. Ziel eines anwaltlichen Beistands im Strafverfahren soll es vor allem sein, das Ungleichgewicht zwischen Staat auf der Anklageseite (Staatsanwaltschaft) und dem Bürger, der zudem regelmäßig juristischer Laie ist, auszugleichen. Dieses Ungleichgewicht ist manchmal so stark oder seine Auswirkung so gravierend, dass der Gesetzgeber den Beistand eines Strafverteidigers zwingend anordnet.

Braucht man als Beschuldigter einen Strafverteidiger?

Bevor man sich die Frage stellt, welche Arten von Verteidigern es gibt und ob man einen Anspruch auf einen Strafverteidiger hat, kann man sich berechtigterweise zunächst einmal die Frage stellen, ob man denn überhaupt als Beschuldigter einer Straftat einen Strafverteidiger braucht und welche Vorteile es hat, einen Strafverteidiger zu haben.


Ein Problem eines Strafverfahrens ist es, dass sich der Beschuldigte dem Staat gegenüber gestellt sieht. Der Staat hat zahlreiche Ressourcen und Möglichkeiten im Strafverfahren. Zudem verfügen Staatsanwaltschaft und Gericht über fundierte juristische Kenntnisse. Der Beschuldigte hat hingegen in der Regel keine juristischen Kenntnisse und versieht sich in einer möglicherweise unbekannten und überfordernden Situation, in der sich Fehler überdies fatal auswirken können.

Dieses Ungleichgewicht kann ein Strafverteidiger in gewisser Weise ausgleichen. Ein Strafverteidiger – insbesondere ein Fachanwalt für Strafrecht – hat fundierte juristische Kenntnisse und Berufserfahrung. Er kennt sich zudem mit den Gepflogenheiten bei Gericht aus.

Er kann Sie als Beschuldigten demnach umfassend darüber beraten, wie nun am Besten vorzugehen ist, wie Sie sich bestenfalls verhalten sollten und was als nächstes wohl auf Sie zukommen wird. Zudem erlauben es die juristischen Kenntnisse eine gerade für Ihren Fall geeignete Verteidigungsstrategie zu erarbeiten.


Strafverfahren setzen den Beschuldigten einer enormen psychischen Belastung und Stress aus. Zusätzlich erledigen sich Strafverfahren nicht unbedingt „von heute auf morgen“, sondern können sich über Jahre hinweg ziehen. In einer solchen Situation bietet es Sicherheit, einen erfahrenen Rechtsbeistand an seiner Seite zu wissen, auf den man sich verlassen kann.

Habe ich immer ein Recht auf einen Strafverteidiger?

Ja. Als Beschuldigter haben Sie das Recht, in jedem Verfahrensstadium sich eines Strafverteidigers zu bedienen und sich anwaltliche Unterstützung zu suchen (§ 137 StPO).

Habe ich immer einen Anspruch auf einen Pflichtverteidiger?

Nein. Eine Pflichtverteidigung liegt nur in Fällen der sog. notwendigen Verteidigung (vgl. v.a. § 140 StPO) vor. Das sind im Grunde solche Fälle, in denen der Gesetzgeber erkannt hat, dass es notwendig ist, dass der Beschuldigte anwaltlich vertreten wird und die Wahrung seiner Rechte sowie die bestmögliche Wahrung seiner Interessen durch die Bestellung eines Pflichtverteidigers abgesichert werden muss.

Es besteht aber natürlich – auch außerhalb der Fälle notwendiger Verteidigung – die Möglichkeit, einen Strafverteidiger als Wahlverteidiger zu beauftragen.

Was ist ein Wahlverteidiger? Was ist ein Pflichtverteidiger? Was ist ein Fall der notwendigen Verteidigung?

Rund um die Stellung eines Strafverteidigers gibt es insbesondere drei Bezeichnungen.

  • Wahlverteidigung
  • Pflichtverteidigung
  • notwendige Verteidigung


Ein Wahlverteidiger ist – wie die Bezeichnung schon vermuten lässt – ein Verteidiger, den der Beschuldigte gewählt hat. Ein Wahlverteidiger kann auch im Fall einer notwendigen Verteidigung der Verteidiger sein.

Gibt es allerdings keinen Wahlverteidiger und liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor, so muss das Gericht einen Pflichtverteidiger beiordnen. Ein Pflichtverteidiger ist also vereinfacht ausgedrückt ein Strafverteidiger, der im Falle einer notwendigen Verteidigung dem Beschuldigten vom Gericht beigeordnet wurde.


Wann ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, ist gesetzlich geregelt.

Wann sollte ich mir einen Pflichtverteidiger suchen?

Sie sollten sich am Besten so früh im Strafverfahren wie möglich an einen Strafverteidiger wenden. Dies liegt insbesondere daran, dass auch bzw. regelmäßig gerade in den frühen Stadien eines Strafverfahrens entscheidende Schritte gegangen werden, die den weiteren Verlauf des Strafverfahrens maßgeblich beeinflussen können. In der Folge können sich hier Fehler in bedeutendem Maße auswirken; bestimmte Verteidigungsmöglichkeiten können schlimmstenfalls hierdurch verbaut werden.

Ist ein Pflichtverteidiger kostenlos?

Ein Pflichtverteidiger ist keine Prozesskostenhilfe. Noch recht hartnäckig hält sich der Irrglaube, dass die Frage, ob man einen Pflichtverteidiger beigeordnet bekommt, davon abhängt, ob man sich einen „normalen“ Strafverteidiger bzw. einen Wahlverteidiger finanziell nicht leisten kann.

Das stimmt nicht. Ein Strafverteidiger wird dann als Pflichtverteidiger beigeordnet, wenn einer der im Gesetz geregelten Fälle der notwendigen Verteidigung vorliegt. Maßgeblich ist hierbei nicht die finanzielle Situation des Beschuldigten, sondern regelmäßig vor allem der Vorwurf, der ihm gemacht wird oder ob der Beschuldigte in einer Situation ist, in der er sich besonders schwer selbst verteidigen kann.

Muss der Beschuldigte den Pflichtverteidiger bezahlen?

Hier muss man differenzieren zwischen den Pflichtverteidigergebühren und Gebühren aus einer möglicherweise geschlossenen vertraglichen Vereinbarung mit dem Verteidiger. Für Letzteres muss in jedem Fall der Beschuldigte aufkommen.

Für die Pflichtverteidigergebühren kommt zunächst der Staat auf, holt sich das Geld aber vom Beschuldigten wieder, sollte es zu einer Verurteilung kommen.

Arbeitet ein Pflichtverteidiger weniger als ein Wahlverteidiger?

Nein. Ein guter Pflichtverteidiger steckt genauso viel Arbeit in die Verteidigung wie er es als Wahlverteidiger tun würde. Man kann also aus der Stellung als Pflichtverteidiger nicht automatisch schließen, der Anwalt würde schlecht oder weniger arbeiten.

In welchem Fall bekomme ich einen Pflichtverteidiger?

Ein Pflichtverteidiger ist ein Anwalt für Strafrecht, der im Falle einer notwendigen Verteidigung (§ 140 StPO) vom Gericht dem Beschuldigten zugeordnet wird, sollte dieser (noch) keinen Wahlverteidiger haben. Auch ein ursprünglicher Wahlverteidiger kann vom Gericht im Falle einer notwendigen Verteidigung als Pflichtverteidiger beigeordnet werden.

Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, dass sich der Beschuldigte seinen Pflichtverteidiger selbst aussucht. Im Gegensatz zum Wahlverteidiger ist das aber beim Pflichtverteidiger nicht immer der Fall, dass sich der Beschuldigte tatsächlich selbst den Verteidiger ausgesucht hat. Das Gericht kann einen Strafverteidiger als Pflichtverteidiger bestimmen, sollte der Beschuldigte nicht selbst einen Strafverteidiger hierfür benennen.


Die Fälle der notwendigen Verteidigung sind unter anderem, aber nicht abschließend, in § 140 StPO normiert. Beispielhaft finden Sie im Folgenden Ausführungen zu einem Teil der dort genannten Fälle. Im Jugendstrafrecht kommen weitere Fälle, in denen eine notwendige Verteidigung besteht, hinzu, zum Beispiel wenn die Verhängung einer Jugendstrafe zu erwarten ist (§ 68 Nr.5 JGG).

Pflichtverteidiger bei schweren Straftaten

Zunächst einmal besteht ein Fall notwendiger Verteidigung gem. § 140 Abs.1 Nr.2 StPO dann, wenn dem Beschuldigten die Begehung eines Verbrechens vorgeworfen wird. Verbrechen sind solche Straftaten, die mindestens mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bedroht sind (§ 12 Abs.1 StGB). Verbrechen sind zum Beispiel die schwere Körperverletzung, Körperverletzung mit Todesfolge, Raub und räuberische Erpressung.

Regelmäßig wird bei solchen Vorwürfen eine notwendige Verteidigung auch darüber begründet, dass das Strafverfahren dann „vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet“ (§ 140 Abs.1 Nr.1 StPO).

Pflichtverteidiger bei drohendem Berufsverbot

Auch wenn dem Beschuldigten aufgrund des Strafverfahrens ein Berufsverbot droht, erkennt der Gesetzgeber die Notwendigkeit einer Strafverteidigung an (§ 140 Abs.1 Nr.3 StPO).

Dass ein Berufsverbot droht kann sich insbesondere daraus ergeben, dass die Staatsanwaltschaft dies anspricht (z.B. in der Anklage), das Gericht hierauf hinweist oder es sonst Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Gericht sich mit dem Thema Berufsverbot in dem Verfahren auseinandersetzen muss (OLG Celle, Urteil v. 31.10.1963 – 1 Ss 322/63 in NJW 1964, 877 m.w.N.).


Gem. § 70 StGB kann ein Berufsverbot vom Gericht dann angeordnet werden, wenn der Beschuldigte (vereinfacht ausgedrückt) eine Straftat gerade im Zusammenhang mit dem Missbrauch seiner beruflichen Stellung bzw. seines Gewerbes bzw. der damit einhergehenden Pflichten begangen hat und zu befürchten ist, dass er in diesem Zusammenhang weiterhin solche Straftaten begehen wird. Das Berufsverbot ist grundsätzlich zeitlich begrenzt, wobei aber de Verhängung eines zeitlich unbegrenzten Berufsverbots unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist (§ 70 Abs.1 StGB).

Pflichtverteidiger bei Untersuchungshaft des Beschuldigten

Auch wenn der Beschuldigte in Untersuchungshaft kommt, besteht ein Fall notwendiger Verteidigung. In diesem Fall ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers auch ohne entsprechenden Antrag des Beschuldigten für das Gericht verpflichtend (§ 141 Abs.2 Nr.1 StPO).

Pflichtverteidiger bei Beteiligung eines Nebenklägers

In bestimmten Fällen kann dem Nebenkläger im Strafverfahren ein Strafverteidiger beigeordnet werden. In diesen Fällen liegt gem. § 140 Abs.1 Nr.9 StPO für den Beschuldigten ein Fall notwendiger Verteidigung vor.

Zu beachten ist aber, dass allein die anwaltliche Vertretung des Nebenklägers grundsätzlich nicht automatisch zu einem Fall notwendiger Verteidigung führt (vgl. EGMR, Urteil v. 22.11.2018 – 18297/13 in NJW 2019, 2005).

Pflichtverteidiger bei komplexen Strafverfahren

Allgemein ausgedrückt muss – auch wenn keiner der konkreter benannten Fälle des § 140 Abs.1 StPO vorliegt – gem. § 140 Abs.2 StPO ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden, „wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann“ (§ 140 Abs.2 StPO). Dieser Absatz fungiert also als eine Art Auffangtatbestand. Die normierten Fälle der notwendigen Verteidigung in § 140 Abs.1 StPO sind im Grunde Spezialfälle dieses Absatzes.

Unter schwere Rechtsfolgen kann beispielsweise unter Umständen auch der drohende Widerruf einer Bewährungsstrafe fallen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss v. 30.03.2020 – (1) 53 Ss 37/20 (23/20) in BeckRS 2020, 42747 m.w.N.). Auch disziplinarrechtliche Folgen des Strafverfahrens vermögen hiernach gegebenenfalls eine Pflichtverteidigung zu begründen.


Welche Fälle genau unter den § 140 Abs.2 StPO fallen, kann mitunter schwierig zu beurteilen sein.  Daher ist es empfehlenswert, sich zur Beurteilung dieser Frage, an einen spezialisierten Fachanwalt für Strafrecht zu wenden. Dieser kennt die einschlägige Rechtsprechung und weiß auch Grenzfälle einzuschätzen, ob eine Pflichtverteidigung in Betracht kommt oder nicht.

Kann ich den Pflichtverteidiger austauschen und mir einen anderen Pflichtverteidiger suchen?

Das ist mitunter schwieriger als man zunächst denken mag. Ist einmal ein Strafverteidiger dem Beschuldigten als Pflichtverteidiger beigeordnet, so ist ein Wechsel des Pflichtverteidigers nur noch in relativ engen Grenzen möglich.

Das Gesetz normiert Fälle, in denen eine Auswechslung des Pflichtverteidigers möglich ist. Hierzu gehört gem. § 143a Abs.2 Nr.3 StPO beispielsweise der Fall, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Beschuldigtem und Pflichtverteidiger endgültig zerrüttet ist. Die Anforderungen hieran sind aber recht hoch. Einen solchen endgültigen Bruch des Vertrauensverhältnisses bejahte das Oberlandesgericht Düsseldorf beispielsweise für den Fall, dass der Pflichtverteidiger den Mandanten auffordert, endlich mit der Wahrheit herauszurücken, weil er von dessen Schuld überzeugt ist, und dies dergestalt tut, dass der Pflichtverteidiger sich später entschuldigt (OLG Düsseldorf, Entscheidung v. 15.07.1992 – 2 Ws 295/92 in LSK 1993, 150391).


Zu beachten ist in diesem Zusammenhang aber, dass es hingegen oftmals leichter möglich ist, sich zusätzlich zu seinem Pflichtverteidiger noch einen Wahlverteidiger zu suchen und zu beauftragen.

Möglich kann es auch sein, im Einvernehmen mit dem noch beigeordneten Pflichtverteidiger diesen auszutauschen, jedenfalls soweit hierdurch weder erhöhte Kosten für die Staatskasse und/oder eine Verzögerung des Verfahrens verursacht wird, und das auch wenn kein wichtiger Grund für eine Auswechslung vorliegt (vgl. KG, Beschluss v. 02.09.2016 – 4 Ws 125/16 in NStZ 2017, 305 m.w.N.).


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