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Wann ist Rufbereitschaft als Arbeitszeit einzuordnen?

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Mit dieser Thematik befassen sich zwei Urteile des EuGH (Europäischer Gerichtshof) vom 9.3.21 und vom 11.3.21.

EuGH , Urteil vom 9. und vom 11. März 2021 – (C-344/19; C-580/19)

Über folgende Sachverhalte hatte das Gericht zu entscheiden:

In einer der beiden Vorlageentscheidungen an den EuGH ging es um einen Feuerwehrmann in Offenbach. Dieser hat neben seiner regulären Dienstzeit auch regelmäßig Rufbereitschaften zu leisten. Innerhalb der Rufbereitschaft ist er nicht verpflichtet, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, er muss jedoch erreichbar sein und in der Lage sein im Alarmfall innerhalb von 20 Minuten in seiner Berufskleidung und mit dem ihm zur Verfügung gestellten Einsatzfahrzeug, gegebenenfalls mit Blaulicht, die Stadtgrenze von Offenbach zu erreichen.

In der anderen Vorlage Entscheidung ging es um einen Techniker in Slowenien, der in einer abgelegenen Bergregion in Slowenien Fernsehsendeanlagen technisch betreut. Auch dieser hat Rufbereitschaft zu leisten. Während der Rufbereitschaft ist er verpflichtet, innerhalb einer Stunde am Arbeitsplatz zu sein. Da die Sendeanlagen schwer zugänglich sind, ist er faktisch gezwungen, sich während der Rufbereitschaft in der Betriebsstätte, wo sich die Sendeanlagen befinden, aufzuhalten.

Beide Arbeitnehmer, der Feuerwehrmann und der Techniker haben darauf geklagt, festzustellen, dass die Rufbereitschaft als Arbeitszeit anerkannt wird und entsprechend zu vergüten ist.

Das Gericht hat folgendes entschieden:

Der EuGH hat in den beiden Entscheidung Grundsätze aufgestellt, wann Rufbereitschaft als Arbeitszeit anzuerkennen ist. Ausschlaggebend ist für den EuGH immer eine Gesamtbeurteilung aller Einzelfallumstände, die den nationalen Gerichten obliegt. Ein Kriterium für das Vorliegen von Arbeitszeit ist nach dem EuGH, wenn die durch die Rufbereitschaft dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen seine Möglichkeiten, seine Zeit frei zu gestalten, sehr stark beeinträchtigen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, wie häufig der Arbeitnehmer während der Rufbereitschaft aktiv tätig werden muss. Bezogen auf den Arbeitsort stellt das Gericht klar, dass organisatorische Schwierigkeiten, die Betriebsstätte zu erreichen, bei der Entscheidung keine Rolle spielen. Das Gericht begründet dies damit, dass jeder Arbeitnehmer sowohl seinen Arbeitsort wie auch seinen Wohnort in der Regel frei wählt. Dieses Kriterium wird sich voraussichtlich insbesondere nachteilig für den Techniker in den slowenischen Bergen auswirken.

Fazit:

Bei der Einordnung von Rufbereitschaftszeiten entweder als Arbeitszeit oder als Ruhezeit kommt es entscheidend darauf an, inwieweit ein Arbeitnehmer seine Zeit frei gestalten kann und inwieweit er sich seinen eigenen Interessen widmen kann. Die auferlegten Beeinträchtigungen infolge der Rufbereitschaft müssen schon sehr schwerwiegend sein, um im Ergebnis die Rufbereitschaftszeit als Arbeitszeit zu qualifizieren. Je häufiger der Arbeitnehmer innerhalb der Rufbereitschaft tatsächlich aktiv werden muss, je größer sind seine Einschränkungen und je eher ist die gesamte Rufbereitschaftszeit als Arbeitszeit zu qualifizieren. Außer Betracht bleiben Umstände außerhalb des Arbeitsverhältnisses.  Je kürzer die geforderte Reaktionszeit für den Arbeitnehmer ist, z.B. nur 5 Minuten, umso eher ist die Rufbereitschaft in vollem Umfang als Arbeitszeit anzusehen. Die vom Arbeitgeber gewährten Erleichterungen, wie beispielsweise für den Feuerwehrmann ein zur Verfügung gestelltes Einsatzfahrzeug mit Blaulicht, sind mit zu berücksichtigen. Auch zu berücksichtigen ist die Häufigkeit der Arbeitseinsätze innerhalb der Rufbereitschaft. Wenn sich allerdings die Reaktionsfrist zur Aufnahme der beruflichen Tätigkeit objektiv gesehen ganz erheblich auf die Möglichkeit zur freien Freizeitgestaltung auswirkt und diese erheblich einschränkt, so wird Rufbereitschaft auch bei nur seltener Inanspruchnahme der Arbeitsleistung als Arbeitszeit zu qualifizieren sein.

Wenn die Rufbereitschaft als Arbeitszeit eingeordnet wird, ist separat zu prüfen, welche Vergütungbestimmungen Anwendung finden. Denn die Einordnung von Rufbereitschaft als Arbeitszeit heißt nicht, dass diese automatisch wie die sonstige Arbeitsleistung des Arbeitnehmers vergütet wird. Insoweit sind dann beispielsweise tarifvertragliche Regelungen oder entsprechende Betriebsvereinbarungen zu prüfen.


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