Wann kann ein Gericht von Strafe absehen?

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Das Absehen von Strafe nach § 60 StGB 

Der § 60 StGB (Strafgesetzbuch) stellt eine besondere Vorschrift dar, nach der das Gericht trotz Strafbarkeit von Strafe absehen kann. So heißt es in § 60 StGB wie folgt: 

„Das Gericht sieht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre. Dies gilt nicht, wenn der Täter für die Tat eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verwirkt hat.“

Nach der ständigen Rechtsprechung hat der § 60 StGB jedoch Ausnahmecharakter. Voraussetzung ist stets, dass die Funktion der Strafe allein durch den Schuldspruch erfüllt wird, weil der Beschuldigte sich selbst derart schwer geschädigt hat, dass es zum einen einer weitergehenden Einwirkung auf ihn nicht bedarf und zum anderen der Allgemeinheit das Absehen von Strafe als Ausdruck humaner Strafrechtspflege so verständlich erscheint, dass sie diese Rechtsfolge nicht als Infragestellung notwendigen und sinnvollen Rechtsgüterschutzes empfindet.

Demnach kommt ein Absehen von Strafe also in Betracht, wenn der Beschuldigte durch die Tat bereits einen hohen, zum Beispiel wirtschaftlichen oder persönlichen, Schaden erlitten hat und die zusätzliche Verhängung einer Strafe auf ihn keinen Eindruck mehr machen würde und nutzlos erscheint. Ein Beispiel wäre, dass der Beschuldigte nach einem Unfall nach einer Trunkenheitsfahrt den Führerschein und die Fahrerlaubnis und eventuell noch die Arbeit verloren hat und so schon „ausreichend bestraft“ ist.

Gesamtabwägung als Voraussetzung von § 60 StGB 

In seinem Urteil vom 20. August 2020 (3 StR 40/20) musste sich der Bundesgerichtshof mit den Voraussetzungen des § 60 StGB näher auseinandersetzen.

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall war der Angeklagte wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung und einem Verstoß gegen das Versammlungsgesetz verurteilt worden, nachdem er unter anderem am „Marsch der Unsterblichen“, einer damals neuen Aktionsform der rechten Szene, teilgenommen und rechte Parolen wie zum Beispiel „Hitzefrei statt Völkerbrei“, „Die Deutsche Jugend wehrt sich“ und „Bad G. bleibt deutsch“ auf Schulgebäude gesprüht hatte.

Das Landgericht hatte wegen der Gesamtdauer des Strafverfahrens von mehr als sieben Jahren und des Vollzugs der Untersuchungshaft von fast einem Jahr gemäß § 60 StGB von Strafe abgesehen. Das Verfahren, im Rahmen dessen der Angeklagte an 367 Hauptverhandlungsterminen teilgenommen hatte, habe sein gesamtes Leben beeinflusst. Er habe sich nicht beruflich frei entfalten und sein privates Leben nicht nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten können.

Der Bundesgerichtshof war mit der Entscheidung des Landgerichts jedoch nicht einverstanden. In seiner Entscheidung führte der BGH aus, dass die Anwendung des § 60 StGB  eine Gesamtabwägung aller strafzumessungsrelevanten Umstände voraussetze.

Das Landgericht habe vorliegend jedoch nur die strafmildernden Umstände in den Blick genommen, namentlich die mit der Gesamtdauer des Verfahrens einhergehenden Belastungen des Angeklagten und die mit dem Untersuchungshaftvollzug verbundenen besonderen Nachteile für ihn, daneben seine Unbestraftheit sowie den großen zeitlichen Abstand zwischen den Taten und deren Aburteilung. Strafschärfende Umstände, hier insbesondere die fremdenfeindliche Gesinnung des Angeklagten, hätten allerdings mit in die gebotene umfassende Gesamtabwägung einbezogen werden müssen. Jedenfalls im Hinblick auf den Ausnahmecharakter des § 60 StGB hätte eine solche Motivation nicht unerörtert bleiben dürfen.

Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Landgerichts daher auf und verwies die Sache zurück.

Hilfe durch Fachanwalt für Strafrecht 

Wenn bei einer Straftat zu erwarten ist, dass das Strafmaß nicht mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe beträgt, kann ein Strafverteidiger prüfen, ob ein Absehen von Strafe nach § 60 StGB in Betracht kommt und dies dem Gericht vorschlagen. Wenn der Beschuldigte durch die Folgen der Tat so schwer getroffen ist, dass die zusätzliche Verhängung einer Strafe als nutzlos erscheint, kann das Gericht von Strafe absehen.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich arbeitet seit vielen Jahren als Strafverteidiger in Berlin. Er wird bei Mandanten, gegen die ein Ermittlungsverfahren geführt wird, auch die Möglichkeit prüfen, dass ein Gericht von Strafe gänzlich absieht. Sollten Sie bereits Kenntnis von einem Ermittlungsverfahren gegen Sie erlangt haben, sollten Sie einen Strafverteidiger konsultieren und von Ihrem Schweigerecht Gebrauch machen.


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