Warum der EuGH nicht das Ende des Widerrufsjokers beschlossen hat (Az. C-143/18)

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EuGH-Urteil zu Widerruf schlägt hohe Wellen

Die Entscheidung des EuGH (EuGH, Urteil v. 11.9.2019, C-143/18) schlug hohe Wellen. „EuGH schließt späten Widerruf aus“ verkündete der Spiegel. „EuGH verfügt partielles Ende des ewigen Widerrufsrechts“ titelt eine Fachseite. Verbraucher sind verunsichert: Gibt es nun das oft von Verbraucherschützern und Medien besprochene Widerrufsrecht nicht mehr? Schließlich sollen doch Vertragsfehler in Autokreditverträgen zu einem Widerrufsrecht auch Jahre nach Vertragsschluss führen. So soll es möglich sein, den Diesel zurückzugeben und den Kaufpreis abzüglich Nutzungsentschädigung zurück zu bekommen. Alles vorbei?

Die Antwort ist ein klares Nein.

EuGH-Urteil wird weithin falsch verstanden

Von Anfang an ging es in der Entscheidung des EuGH nur um Darlehensverträge, die im Fernabsatz geschlossen wurden. Fernabsatz bedeutet: unter ausschließlichem Einsatz von Fernkommunikationsmitteln wie Mail, Telefon, Post und Fax etc. Das ist bei Autokrediten ohnehin fast nie der Fall. Zudem musste der Kredit auf ausdrücklichen Wunsch von beiden Seiten bereits voll erfüllt sein. Für diese Konstellation sieht die entsprechende EU-Richtlinie vor, dass kein Widerrufsrecht mehr bestehen soll. Nach deutschem nationalem Recht war das aber trotzdem der Fall. Grund für das LG Bonn, dem EuGH die Frage vorzulegen, was nun gelten soll.

Der EuGH entschied nun, dass der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung von den nationalen Trägern öffentlicher Gewalt verlange, unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles zu tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem vom Unionsrecht verfolgten Ziel im Einklang steht. 

Die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung dürfe zwar nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem (also nicht gegen das geschriebene Gesetz) des nationalen Rechts dienen, die nationalen Gerichte müssen aber gegebenenfalls eine gefestigte Rechtsprechung abändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Richtlinie nicht vereinbar ist. Insgesamt sei die EU-Richtlinie so auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung in ihrer Auslegung durch die nationale Rechtsprechung entgegensteht, die bei einem im Fernabsatz zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossenen Vertrag über eine Finanzdienstleistung nicht das Widerrufsrecht dieses Verbrauchers für den Fall ausschließt, dass dieser Vertrag auf seinen ausdrücklichen Wunsch von beiden Seiten bereits voll erfüllt ist, bevor er sein Widerrufsrecht ausübt. 

Es ist Sache des Gerichts, das gesamte innerstaatliche Recht zu berücksichtigen und die darin anerkannten Auslegungsmethoden anzuwenden, um zu einer mit dieser Vorschrift im Einklang stehenden Lösung zu gelangen. Dabei hat es erforderlichenfalls eine gefestigte nationale Rechtsprechung abzuändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit dieser Vorschrift unvereinbar ist.

Das heißt: Nationale Gerichte wie der Bundesgerichtshof sollen die nationalen Gesetze wie das Bürgerliche Gesetzbuch so auslegen, dass es so weit wie möglich mit EU-Recht vereinbar ist, aber nicht contra legem – d. h., auch der EuGH fordert den BGH nicht auf, sich über nationale Gesetze hinwegzusetzen, wenn sie eindeutig sind und eine Auslegung im Sinne des EU-Rechts nicht erlauben.

BGH ändert seine Rechtsprechung nicht

Der Bundesgerichtshof ist auch nach der EuGH-Entscheidung konsequent geblieben und hat seine Rechtsprechung nicht geändert. Die Rechtsprechung besteht in dem Fall darin, dass der BGH keinen Spielraum für Auslegung sieht, weil das nationale Recht eindeutig sei. Wenn der BGH das Widerrufsrecht in der Vergangenheit nicht eingeschränkt habe, so der BGH, so sei dies nicht auf Auslegung von nationalen Gesetzen zurückzuführen, sondern auf Anwendung eindeutiger Gesetze, die nicht auslegungsfähig sein. So zuletzt der BGH (BGH. Urt. v. 22.10.2019 – XI ZR 203/18, Rz. 12):

„Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht zudem angenommen, es könne dahinstehen, ob die Darlehensverträge im Wege des Fernabsatzes geschlossen worden seien, weil auch in diesem Fall die Regelung über das Erlöschen des Widerrufsrechts nach § 312d Abs. 3 Nr. 1 BGB in der hier weiter maßgeblichen, zwischen dem 8. Dezember 2004 und dem 3. August 2009 geltenden Fassung keine Anwendung finde. Der Senat hat mit Urteil vom 15. Oktober 2019 (XI ZR 759/17, n.n.v.) im Anschluss an sein Urteil vom 3. Juli 2018 (XI ZR 702/16, WM 2018, 1601 Rn. 10 ff.) nochmals eingehend begründet, dass und warum es ihm auch im Lichte des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 11. September 2019 (C-143/18, „Romano“, WM 2019, 1919 ff.) aufgrund der eindeutigen deutschen Gesetzeslage nicht möglich ist, im demokratisch verfassten Rechtsstaat (Art. 20 Abs. 3 GG) contra legem eine Regelung anzuwenden, deren Geltung für den Verbraucherdarlehensvertrag der deutsche Gesetzgeber ausdrücklich gemäß § 312d Abs. 5 BGB in der ab dem 8. Dezember 2004 geltenden Fassung ausgeschlossen hat. Das Berufungsurteil entspricht dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung.“

Vereinfacht lässt es sich so zusammenfassen: Das Missverständnis besteht darin, dass der EuGH dem BGH eine bestimmte Rechtsprechung (= Auslegung von Gesetzen) „verboten“ haben soll. Eine solche Rechtsprechung des BGH gab es aber nie. Sie war im hier diskutierten Fall immer direkte Anwendung von Gesetzen und keine Auslegung. Von daher war auch nichts zu ändern.

Am Ende bleibt also vom vermeintlichen „Ende des Widerrufsjokers“ nichts übrig.


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