Was passiert, wenn man seinen Verteidiger vor der ersten Vernehmung nicht erreicht?

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Als Beschuldigter in einem Strafverfahren hat man zu jeder Zeit das Recht, einen Verteidiger beizuziehen. Umso eher man einem Rechtsanwalt mit der Verteidigung beauftragt, desto besser. Wurden bereits Angaben zur Sache gemacht, lassen sich diese nicht mehr revidieren. Es sollte daher im Vorfeld mit einem Strafverteidiger besprochen werden, ob es überhaupt Sinn macht, etwas zum Tatvorwurf zu sagen.

In den meisten Fällen bleibt ausreichend Zeit, einen Strafverteidiger zu beauftragen und mit diesem die Verteidigungsstrategie zu besprechen. Denn ist ein Strafverfahren eingeleitet worden, erhält der Beschuldigte in der Regel eine Vorladung von der Polizei zu einem Vernehmungstermin oder einen Äußerungsbogen, auf dem er schriftlich Angaben zur Sache machen kann.

Anders ist dies im Fall einer Festnahme. Denn hier versuchen Polizei und Staatsanwaltschaft oft, die Ausnahmesituation der Freiheitsentziehung zu nutzen und den Beschuldigten so schnell wie möglich zu vernehmen, am besten ohne anwaltlichen Beistand.

Das Recht zur Herbeiziehung eines Strafverteidigers vor der ersten Vernehmung

Zwar muss der Beschuldigte bei der ersten Vernehmung darüber belehrt werden, dass er jederzeit, einen Verteidiger hinzuziehen kann, auch vor der ersten Vernehmung. Oftmals wird von den Vernehmungsbeamten aber suggeriert, dass man doch keinen Verteidiger brauche und im Falle eines Geständnisses auch keine Untersuchungshaft vollzogen werden müsse.

Will der Beschuldigte dennoch einen Verteidiger anrufen, muss Folgendes beachtet werden: 

Hat der Beschuldigte bereits einen Verteidiger, muss die Polizei ihm ermöglichen, diesen zu kontaktieren. Mit der Vernehmung muss gewartet bzw. eine bereits begonnene Vernehmung unterbrochen werden, bis der Verteidiger eingetroffen ist.

Kennt der Beschuldigte keinen Strafverteidiger, muss ihm die Polizei Informationen zur Verfügung stellen, die ihm erleichtern, Kontakt mit einem Verteidiger aufzunehmen. Dazu muss die Polizei dem Beschuldigten Telefonnummern von Verteidigern oder die Nummer des anwaltlichen Notdienstes zur Verfügung stellen.

Erfolgloser Kontaktversuch

Doch was passiert, wenn der angerufene Verteidiger nicht zu erreichen ist? Wie müssen sich die Beamten verhalten? Mit diesen Fragen hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Beschluss vom 19. Juni 2019 – Az.: 5 StR 167/19 – befasst. 

Erneute Belehrung des Beschuldigten

Eigentlich sollte eine Vernehmung nicht fortgesetzt werden dürfen, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger konsultieren will und diesen nicht erreicht. Die ständige Rechtsprechung sieht dies jedoch anders. Sie erlaubt die Fortsetzung der Vernehmung auch dann, wenn der Beschuldigte seinen Rechtsanwalt nicht erreicht hat. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Beschuldigte erneut auf sein Recht zur Herbeiziehung eines Verteidigers belehrt wird und er sich mit der Fortsetzung der Vernehmung einverstanden erklärt. 

Dem Beschuldigten soll damit noch einmal sein Recht auf Verteidigerkonsultation verdeutlicht werden. Er soll nicht denken, dass er den Verteidiger nur herbeiziehen darf, wenn dieser erreicht wird. Vielmehr muss der Beschuldigte auch nach einem fehlgeschlagenen Kontaktversuch wissen, dass er auf die Besprechung mit seinem Verteidiger warten darf und sollte, bevor er Angaben zur Sache macht.

Der Fall des Bundesgerichtshofes

In dem vom BGH zu verhandelnden Fall wurde der Angeklagte als Beschuldigter von der Polizei zur Tat vernommen. Nach der Belehrung verlangte er, mit seinem Rechtsanwalt reden zu können. Die Polizeibeamten unterbrachen daraufhin die Vernehmung und versuchten vergeblich, den benannten Rechtsanwalt telefonisch zu erreichen. Dem Angeklagten wurde dann erlaubt, seinen Vater anzurufen, um den Rechtsanwalt von dem Strafverfahren in Kenntnis zu setzen. 

Danach fragten die Beamten den Angeklagten, ob er nun Angaben zur Sache machen wolle. Der Angeklagte erklärte, dass er es nicht gewesen sei und von der Tat nichts wisse. Doch die Polizeibeamten fragten weiter nach und hielten dem Angeklagten die Ermittlungsergebnisse vor. Der Angeklagte antwortete auf die Fragen und bestritt weiterhin, die Tat begangen zu haben.

In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Berlin widersprach die Verteidigung der Verwertung dieser während der Vernehmung erlangten Angaben des Beschuldigten.

Der Angeklagte wurde vom Landgericht wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 2.352,16 € wurde angeordnet.

In der Revision rügte die Verteidigung, dass die Vernehmungsbeamten den Angeklagten auf den anwaltlichen Notdienst hätten hinweisen und nach Unterbrechung der Vernehmung eine weitere Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation hätte erfolgen müssen. 

Einen Hinweis auf den anwaltlichen Notdienst hielt der BGH für entbehrlich, weil der Angeklagte bereits einen bestimmten Rechtsanwalt als Verteidiger benannt hatte. Die Ermittlungsbehörden seien in diesem Fall darauf beschränkt, dem Beschuldigten bei der Kontaktaufnahme mit dem benannten Rechtsanwalt zu helfen. Etwas anderes gelte nur, wenn der Beschuldigte zu erkennen gebe, dass er nach dem Scheitern der Kontaktaufnahme einen anderen Rechtsanwalt als Verteidiger wählen wolle. 

Allerdings hätten die Polizeibeamten die Vernehmung nach der Rechtsprechung des BGH erst nach einer erneuten Belehrung des Angeklagten über sein Recht auf Hinzuziehung eines Verteidigers fortsetzen dürfen. Da eine erneute Belehrung unterblieben ist, waren die Angaben des Angeklagten unverwertbar.

Da das Landgericht sein Urteil aber nicht auf die Angaben des Beschuldigten in der polizeilichen Vernehmung gestützt hatte, hielt der BGH das Urteil trotz des erheblichen Fehlers der Polizeibeamten aufrecht. 

Fazit

Die Rechtsprechung, dass der Beschuldigte bei einem erfolglosen Kontaktversuch erneut über sein Recht auf die Hinzuziehung eines Verteidigers belehrt werden muss, ist richtig. Die Entscheidung des BGH zeigt aber, dass Polizeibeamte mit einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht davon kommen können und er nicht zu einer zwingenden Aufhebung des Urteils führt. Man sollte als Beschuldigter deshalb immer von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen, bevor man irgendwelche Angaben zum Tatvorwurf macht. Wer sich daran hält, hat schon viel gewonnen. 


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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