Wegfall der Geschäftsgrundlage hinsichtlich unerwarteter Preiserhöhungen für Baustoffe

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Die im Zuge der Corona-Krise und als Folge des Ukraine-Krieges zugespitzten
politischen sowie wirtschaftlichen Bedingungen bedeuten für viele Bauunternehmer eine
finanzielle Belastung existenzbedrohenden Ausmaßes. Insbesondere in
baumaschinenintensiven Gewerken treten Lieferengpässe von Baustoffen sowie starke
Preissteigerungen spezieller Produkte und Betriebsstoffe ein. Im privaten
Baurechtsverhältnis sind die vertraglich vereinbarten Baupreise grundsätzlich bindend.
Fraglich ist, welche rechtlichen Möglichkeiten dem Bauunternehmer bleiben, sich vor
unerwarteten Preissprüngen zu schützen und zusätzlich entstehende Kosten
möglicherweise anteilig auf den Bauherren umzulagern.


Risikoverteilung

Der Bauunternehmer hat grundsätzlich die Wahl, die benötigten Baumaterialien nach
Abschluss des Bauvertrags zeitnah bei seinem Materiallieferanten zu bestellen, sodass
er ausschließlich das Risiko solcher Materialpreissteigerungen trägt, die in den Zeitraum
zwischen Angebot und Vertragsschluss fallen. Entscheidet er sich hingegen die
Beschaffung des Materials nicht auf diese Weise sicherzustellen, ist er im Hinblick auf
die nach Vertragsschluss in der Zukunft liegende Bauausführung an die vereinbarten Preise gebunden,
sodass ihn das Risiko einer später eintretenden Preiserhöhung trifft. Denn die typische vertragliche Risikoverteilung weist das Risiko der Kostensteigerung bei Baustoffen ausschließlich dem Auftragnehmer zu (OLG Hamburg, Urteil vom 28.12.2005 - 14 U 124/05). Das Risiko künftiger Preisentwicklungen trifft den Bauunternehmer auch bei Vereinbarung eines
Pauschalpreises, die in aller Regel eine Erhöhung der Vergütung ausschließt.

Der Grundsatz „pacta sunt servanda“ – „Verträge sind einzuhalten“

Dem Grundsatz der Vertragstreue „pacta sunt servanda“ zufolge sind die Parteien eines
Vertrags dazu verpflichtet, ihre vertraglichen Verpflichtungen einzuhalten. Der
Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt und findet seine Grenze insbesondere in
dem wertungsmäßigen Kriterium der Zumutbarkeit, das im Rahmen des § 313 BGB
maßgebend ist, ob eine Anpassung des Vertrags trotz des Grundsatzes der
Vertragstreue verlangt werden kann.


Wegfall der Geschäftsgrundlage


Wird ein Bauvertrag geschlossen, der im Hinblick auf Preisschwankungen keine
Regelungen in Form einer sog. Stoffgleitklausel enthält, bleibt dem Bauunternehmer bei
Eintritt erheblicher Materialpreissteigerungen die Möglichkeit, sich gem. § 313 BGB auf
eine sog. Störung der Geschäftsgrundlage zu berufen.
Eine Störung der Geschäftsgrundlage liegt gem. § 313 Abs. 1 BGB vor, wenn:


o es nach Vertragsschluss zu einer schwerwiegenden Veränderung derjenigen
Umstände kommt, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind und
o die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wäre
diese Veränderung voraussehbar gewesen.


Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die
zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen, vgl. § 313
Abs. 2 BGB. Liegt eine Störung der Geschäftsgrundlage vor, ergeben sich aus der
Vorschrift mehrere Reaktionsmöglichkeiten für den unzumutbar Vertragspartner. Eine
Anpassung des Vertrags kann dann verlangt werden, soweit einem Teil unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder
gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten im Vertrag unzumutbar ist, vgl. § 313 Abs.
1 BGB. Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem der Vertragspartner
nicht zumutbar, kann der benachteiligte Vertragspartner vom Vertrag zurücktreten, bzw.
im Falle von Dauerschuldverhältnissen den Vertrag kündigen, vgl. § 313 Abs. 3 BGB.

Im bauspezifischen Kontext kommt eine Störung der Geschäftsgrundlage insbesondere
dann in Betracht, wenn für den Bau benötigte Materialien nicht zu beschaffen sind oder
ein Einkauf den eigentlich kalkulierten Preis deutlich überschreitet und der
Bauunternehmer bei Kenntnis der sich geänderten Umstände den Bauvertrag nicht
abgeschlossen hätte.

Wann einer Vertragspartei das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht mehr
zumutbar ist, es also zu einer Überschreitung der sog. Opfergrenze kommt, bedarf einer
einzelfallbezogenen Klärung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles.
Maßgeblich ist auch die vertragliche Risikoverteilung. Unzumutbarkeit ist folglich dann
auszuschließen, wenn es sich um einen Umstand handelt, der dem Risikobereich einer
der Vertragsparteien zuordenbar ist. Das Risiko von baubezogenen Preissteigerungen
darf folglich nicht vom Bauunternehmer übernommen worden sein. Da der Grundsatz
gilt, die Preisbildung sowie Entwicklung der preisgebenden Umstände gehören dem
Risikobereich des Bauunternehmers an, kann sich dieser nur gegen solche massive
Preissteigerung wenden, die bei Vereinbarung des Vertrags nicht vorhersehbar waren.
Wird zwar z.T. bei Mengenabweichungen eine Grenze von 20 % Mehraufwand
angenommen, lehnt der BGH dies ab und verweist auf das Erfordernis einer
Einzelfallentscheidung (vgl. BGH, BauR 2013, S. 1116 ff.). Eine Überschreitung der
Opfergrenze dürfte jedenfalls dann angenommen werden, wenn nicht nur der Gewinn
des Bauunternehmers vollständig verbraucht ist, sondern eine Deckung seiner Kosten
ebenfalls nicht erreicht werden kann (der Auftragnehmer also Verluste macht), es also zu einer massiven Störung des
Gleichgewichts zwischen Leistung und Gegenleistung des Gesamtvertrags gekommen
ist (BGH NJW 2003, 1805). Das Festhalten an der vereinbarten Regelung darf für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führen (BGH NJW 2015, 1014; BGH NJW 2012, 1718), damit von Wegfall der Geschäftsgrundlage gesprochen werden kann.


Um einen Rechtsanspruch aus § 313 BGB zu gewinnen, muss der Bauunternehmer
zur Entwicklung der finanziellen Gesamtentwicklung des abgeschlossenen Vertrags
vortragen. Bloße Ausführungen zu einzelnen Leistungspositionen des Vertrags sowie
hierauf bezogene Preissteigerungen können eine Vertragsanpassung gem. § 313 BGB
nicht rechtfertigen.

Stoffgleitklauseln

Eine Stoffgleitklausel soll sicherstellen, dass Bauunternehmer vor sog. ungewöhnlichen
Wagnissen, d.h. unerwarteten Preissprüngen bei Bau- oder Betriebsstoffen geschützt
werden können. Entstehen Mehrkosten für den Bauunternehmer, können diese mithilfe
einer Stoffgleitklausel durch den Auftraggeber abgedeckt werden. Fallen die Preise,
findet eine Umlagerung der entstehenden Ersparnisse auf den Auftraggeber statt.
Anders als im öffentlichen Baurecht haben ministeriell erlassene Stoffgleitklauseln keine
unmittelbare Bindungswirkung. Eine der Stoffgleitklausel vergleichbare Wirkung kann
erreicht werden, indem vertraglich vereinbart wird, dass eine Zahlung und Bereitstellung
der Baumaterialien durch den Auftraggeber selbst erfolgt oder Angebote „freibleibend“
oder mit kurzfristiger Bindung angenommen werden.


Behinderungsanzeige nach § 6 VOB/B

Gilt im Rahmen eines privaten Baurechtsvertrags die VOB/B, kann der Bauunternehmer
in wohl begrenztem Umfang einen vollständigen Verlust seines Gewinns abwenden.
Unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) VOB/B besteht die Möglichkeit
einer Verlängerung der Ausführungsfristen, soweit durch höhere Gewalt oder andere für
den Bauunternehmer unabwendbare Umstände eine Behinderung eintritt. Zwar dürfte
außer Frage stehen, dass Umstände wie die Corona-Pandemie und damit
einhergehende Preisentwicklungen als höhere Gewalt klassifiziert werden können. Es
bleibt bisher jedoch offen, ob hieraus eine Behinderung resultiert. Eine Behinderung
i.S.d. Vorschrift kann jedenfalls dann angenommen werden, wenn das für den Bau
erforderliche Material tatsächlich nicht mehr beschaffbar ist.


Ich berate Sie gern.

Ihr Rechtsanwalt und Fachanwalt für Baurecht Markus Erler


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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