Wegweisende Urteile im Arzthaftungsrecht - Teil 1

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Das Arzthaftungsrecht  basiert im Wesentlichen auf sich stets weiter entwickelnder Rechtsprechung. In den folgenden Tipps verschaffen wir daher dem interessierten Leser einen Überblick. 

  1. Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden vom 27. Juni 2023, unter dem Aktenzeichen 4 U 694/21: Das Gericht ist verpflichtet, nach dem Prinzip der fachlichen Gleichheit einen Sachverständigen auszuwählen, dessen Expertise im Bereich der zu beurteilenden medizinischen Behandlung liegt. Dabei sollte auf die Richtlinien der Fachärzteausbildung geachtet werden.

  2. Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 8. Februar 2022, unter dem Aktenzeichen VI ZR 409/19: Auch in Fällen von ärztlicher Haftung sollte bei der Festsetzung des Schmerzensgeldes nicht nur die Kompensationsfunktion, sondern auch die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden. Insbesondere dann, wenn dem Arzt grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann, sollte dies schmerzensgelderhöhend in Betracht gezogen werden.

  3. Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19. Februar 2019, unter dem Aktenzeichen VI ZR 505/17: Wenn ein Patient im Krankenhaus eine Infektion erleidet und diese auf Hygienemängel im Krankenhaus zurückführt, fehlen ihm in der Regel die notwendigen Informationen, um diesen Fehler detailliert darzulegen. Wenn ein Hygienefehler als Ursache für die Infektion vom Patienten behauptet wird, führt dies zu einer sekundären Darlegungslast für das Krankenhaus. Die Klinikleitung muss dann offenlegen, welche konkreten Maßnahmen zur Infektionskontrolle ergriffen wurden und entsprechende Unterlagen wie Desinfektions- und Reinigungspläne, relevante interne Anweisungen und Hygienevorschriften vorlegen. Dies ermöglicht dem Gericht, die Einhaltung der erforderlichen Hygienemaßnahmen durch ein Sachverständigengutachten zu überprüfen.

  4. Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vom 16. Januar 2019, unter dem Aktenzeichen 5 U 29/17: Die Klägerin erlitt eine Schenkelhalsfraktur, die operiert werden musste. Die Operation hätte jedoch nicht sofort durchgeführt werden müssen. Im Krankenhaus wurde den Patienten üblicherweise direkt nach dem Aufklärungsgespräch nahegelegt, die vorgefertigte Einwilligungserklärung zu unterschreiben. Obwohl die Klägerin Bedenken gegen die Operation äußerte, unterzeichnete sie die Einwilligungserklärung. Der Klägerin wurde jedoch keine angemessene Bedenkzeit für die Entscheidung eingeräumt, und die Ärzte überprüften nicht erneut, ob die Operation im Einklang mit dem Willen der Patientin stand. Da dies nicht geschah, wurde die Einwilligung als unwirksam angesehen. Der Klägerin wurde ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro sowie weiterer Schadensersatz zugesprochen.

  5. Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 24. Oktober 2018, unter dem Aktenzeichen 5 U 102/18: Bei einem arthroskopischen Eingriff am Knie wurde eine abgelöste Metallspitze des Trokars unbeabsichtigt im Knie des Patienten zurückgelassen. Der Arzt bemerkte das Fehlen der Metallspitze erst am Ende des Operationstages, konnte jedoch nicht feststellen, bei welcher Operation dies passiert war. Auch als der betroffene Patient erneut vorstellig wurde, wurde keine entsprechende Untersuchung durchgeführt. Erst später wurde aufgrund starker Schmerzen eine Röntgenuntersuchung veranlasst, die die Metallspitze im Gelenk zeigte. Das Gericht beurteilte die Behandlung als grob fehlerhaft und verurteilte den Arzt zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 20.000 Euro.

  6. Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13. September 2018, unter dem Aktenzeichen III ZR 294/16: Ein Zahnarzt führte Zahnimplantate in fehlerhafter Position ein, die so fehlerhaft waren, dass selbst eine im Wesentlichen den zahnärztlichen Standards entsprechende Zahnersatzversorgung nicht möglich war. Dennoch wurden die Implantate aufgrund fehlender Behandlungsalternativen im Kiefer belassen. Das Gericht entschied, dass die Leistung des Zahnarztes trotzdem für den Patienten völlig unbrauchbar sei und daher ein Schadensersatzanspruch auf Befreiung von der Vergütungspflicht bestehe.

  7. Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26. Juni 2018, unter dem Aktenzeichen VI ZR 285/17: Die Hausärztin des Klägers überwies ihn aufgrund von Kniebeschwerden an einen Facharzt. Aufgrund starker Schmerzen suchte der Kläger später ein Krankenhaus auf, wo eine histologische Untersuchung einen bösartigen Nervenscheidentumor ergab. Dieses Ergebnis wurde in einem Arztbrief festgehalten, den jedoch weder der Facharzt noch der Patient, sondern nur die beklagte Hausärztin erhielt. Diese informierte jedoch niemanden über diesen Befund. Der BGH entschied, dass die Ärztin den Befund trotz der vorangegangenen Überweisung in Bezug auf das Knie hätte weitergeben müssen und daher einen Fehler gemacht habe.

  8. Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 17. Mai 2018, unter dem Aktenzeichen 7 U 32/17: Bei einer Patientin wurde eine septische Arthritis zu spät diagnostiziert, da sie nicht zur weiteren Diagnostik einbestellt wurde. Das Gericht stellte fest, dass dieses Versäumnis in diesem Fall einen Befunderhebungsfehler darstellt, der nicht durch die Sperrwirkung des Diagnoseirrtums erfasst ist und auch nicht nur einen Fehler hinsichtlich der therapeutischen Aufklärung darstellt. Der Patientin wurde ein Schmerzensgeld von 70.000 Euro sowie weiterer Schadensersatz zugesprochen.

  9. Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 19. März 2018, unter dem Aktenzeichen 3 U 63/15: Aufgrund einer fehlerhaften Verzögerung bei der Auswertung eines CTGs wurde eine unzureichende Sauerstoffversorgung des Kindes nicht rechtzeitig erkannt. Zudem wurde die notwendige Einweisung ins Krankenhaus nicht schnell genug veranlasst. Dies führte zu schweren Hirnschäden. Das Gericht stellte einen groben Behandlungsfehler fest und sprach dem Kind ein Schmerzensgeld von 400.000 Euro sowie weiteren Schadensersatz zu.

  10. Entscheidung des Landgerichts Münster vom 1. März 2018, unter dem Aktenzeichen 111 O 25/14: Während einer Bandscheibenoperation durch einen Belegarzt kam es zu einer Verletzung des Rückenmarks der Patientin, was zu einer schweren Lähmung führte. Das Krankenhaus war darüber informiert, dass der Arzt alkoholabhängig war. Dennoch erlaubte das Krankenhaus den Belegarzt trotz dieser Abhängigkeit, in seinen Räumlichkeiten zu operieren. Der Krankenhausträger wurde daher - gemeinsam mit dem Belegarzt - aufgrund des Organisationsverschuldens zur Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie weiteren Schadensersatzes verurteilt.

Arzthaftungsrecht

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Foto(s): www.kanzlei-steinwachs.de


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