Wegweisende Urteile im Arzthaftungsrecht - Teil 2

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  • Konsequenzen einer nicht ordnungsgemäßen Aufklärung gemäß § 8 TPG

Bundesgerichtshof (BGH)

Die Vorgaben des Transplantationsgesetzes, wie beispielsweise die Anwesenheit eines unparteiischen Arztes während des Aufklärungsgesprächs und die Notwendigkeit einer schriftlichen Aufklärungsdokumentation, sind formelle und verfahrenstechnische Vorschriften, die die Aufklärungspflicht des Arztes begleiten. Ein Verstoß gegen diese Vorschriften führt nicht zur Ungültigkeit der Einwilligung des lebenden Organspenders zur Organentnahme und zu deren Rechtswidrigkeit, sondern erzeugt Zweifel an der ordnungsgemäßen Aufklärung. Der Einwand, dass der Spender auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung der Organentnahme zugestimmt hätte, wird nicht berücksichtigt, da dies dem Schutzziel der strengen Aufklärungsanforderungen nach § 8 TPG widerspricht. Denn für den Spender kann jedes Risiko bedeutsam sein, da die Ablehnung der Zustimmung keine Gesundheitsgefährdung darstellen kann, sondern ihm die Möglichkeit bietet, sein gesundes Organ zu behalten.

  • Verantwortlichkeiten von Wohnheimen für Menschen mit geistigen Behinderungen (hier: Schutz vor Verbrühungen durch heißes Badewasser)

Bundesgerichtshof (BGH)

Ein Heimbewohner, der dem Heimträger die Verantwortung für seine körperliche Unversehrtheit übertragen hat, darf erwarten, dass der Heimträger ihn vor Gefahren schützt, die zumindest in einer DIN-Norm beschrieben sind, wie etwa die fehlende Temperaturbegrenzung in der Wasserinstallation. Dies gilt insbesondere, wenn der Heimbewohner aufgrund seiner körperlichen oder geistigen Einschränkungen nicht in der Lage ist, die Gefahr eigenverantwortlich zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Um dieser Obhutspflicht nachzukommen, muss der Heimträger nach eigenem Ermessen entweder die Empfehlungen der DIN-Norm umsetzen oder auf andere Weise die erforderliche Sicherheit gegenüber der in dieser Norm beschriebenen Gefahr gewährleisten, um Schäden bei den Heimbewohnern zu verhindern. Dies gilt jedenfalls dann, wenn dies mit vertretbarem finanziellen und personellen Aufwand machbar ist und für die Heimbewohner sowie das Pflege- und Betreuungspersonal zumutbar ist.

  • Konsequenzen der Unterlassung medizinisch notwendiger Untersuchungen oder Sicherungen

Bundesgerichtshof (BGH)

Das Fehlen einer Dokumentation einer erforderlichen medizinischen Maßnahme führt zur Annahme, dass diese Maßnahme nicht durchgeführt wurde. Es liegt in der Verantwortung der medizinischen Seite, diese Vermutung zu widerlegen. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Erhebung und Sicherung medizinischer Befunde sowie zur ordnungsgemäßen Aufbewahrung der Befundunterlagen kann zu einer vereinfachten Beweisführung zugunsten des Patienten führen, wenn ein positives Befundergebnis in diesem Fall ausreichend wahrscheinlich ist. Diese Vereinfachung gilt jedoch nur, wenn die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ergebnisses hinreichend hoch ist. Es ist nicht angemessen, automatisch anzunehmen, dass die vom Patienten dargestellten Tatsachen für den Befund als bestätigt gelten, unabhängig von der Wahrscheinlichkeit des Ergebnisses, wenn medizinisch notwendige Untersuchungen oder Sicherungen unterlassen wurden.

  • "Schockschaden" und Arzthaftung

Bundesgerichtshof (BGH)

Die Grundsätze, die für "Schockschäden" entwickelt wurden, gelten auch dann, wenn das schadensverursachende Ereignis nicht in einem eigentlichen Unfall, sondern in einem ärztlichen Fehler besteht. Es gibt grundsätzlich keine Rechtfertigung dafür, die Ersatzfähigkeit von "Schockschäden" aufgrund ärztlicher Behandlungsfehler weiter einzuschränken als bei Unfallereignissen.

  • Darlegungspflichten bei der Behauptung eines Hygieneverstoßes

Bundesgerichtshof (BGH)

Auch bei der Behauptung von Hygieneverstößen seitens des Patienten gelten angemessene Anforderungen an die anfängliche Darlegungspflicht. Es reicht aus, wenn der Patient Behauptungen vorlegt, die den Verdacht eines Hygienefehlers nahelegen. In diesem Fall liegt es im Rahmen der nachfolgenden Darlegungspflicht beim Beklagten, konkrete Maßnahmen zur Gewährleistung der Hygiene und des Infektionsschutzes bei der Patientenbehandlung darzulegen, einschließlich der Vorlage von Desinfektions- und Reinigungsplänen sowie einschlägiger hausinterner Anordnungen und Hygienevorschriften, insbesondere in Bezug auf die Intensivstation.

  • Anwendung eines nicht allgemein anerkannten Behandlungskonzepts

Bundesgerichtshof (BGH)

Die Anwendung eines nicht allgemein anerkannten Behandlungskonzepts, das den üblichen medizinischen Standards abweicht, stellt nicht zwangsläufig einen Behandlungsfehler dar. Die Wahl der Therapie liegt primär in der Verantwortung des Arztes. Jedoch sollte eine nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode nur dann angewendet werden, wenn eine verantwortungsvolle medizinische Abwägung ergibt, dass die Vorteile dieser Methode die zu erwartenden Nachteile im Vergleich zur standardgemäßen Behandlung rechtfertigen, unter Berücksichtigung des Wohlergehens des Patienten. Höhere Belastungen oder Risiken für den Patienten müssen in den besonderen Umständen des Einzelfalls oder einer besseren Prognose für die Heilung eine sachliche Rechtfertigung finden.

  • Verpflichtung des Allgemeinarztes zur Überweisung zu einer fachärztlichen Behandlung

Oberlandesgericht Dresden (OLG Dresden)

Ein Allgemeinarzt ist dazu verpflichtet, einen Patienten bei Bedarf zu einer fachärztlichen Behandlung zu überweisen. In Fällen, in denen ein Patient mit gerötetem Auge einen Allgemeinarzt aufsucht, sollte eine solche Überweisung nur dann erfolgen, wenn aufgrund einer Untersuchung mit den zur Verfügung stehenden Mitteln in der Hausarztpraxis und der Patientenanamnese ein konkreter Verdacht auf eine Augenerkrankung oder das Vorhandensein eines Fremdkörpers besteht. Bei unspezifischen Beschwerden kann es hingegen angemessen sein, auf eine Überweisung zu verzichten und den Patienten zu einer erneuten Vorstellung zu ermutigen.

  • Keine hypothetische Einwilligung bei Verzicht auf einen operativen Eingriff aufgrund eines tatsächlichen Entscheidungskonflikts

Bundesgerichtshof (BGH)

  1. Wenn die Aufklärung nicht den erforderlichen Standards entspricht, kann der Behandelnde geltend machen, dass der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte. Dies erfordert einen strengen Nachweis, der in der Verantwortung des Behandelnden liegt, um sicherzustellen, dass der Aufklärungsanspruch des Patienten nicht untergraben wird.

  2. Der Arzt hat die Beweislast für die Behauptung, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte, erst dann, wenn der Patient überzeugend darlegt, dass er - wenn ihm die Risiken des Eingriffs rechtzeitig vermittelt worden wären - in einem tatsächlichen Entscheidungskonflikt gestanden hätte.

  3. Eine hypothetische Einwilligung setzt immer voraus, dass eine ordnungsgemäße, einschließlich vollständiger, Aufklärung erfolgt ist.

  4. Wenn eine Einwilligung für einen unaufschiebbaren Eingriff nicht rechtzeitig eingeholt werden kann, darf der Eingriff ohne Einwilligung durchgeführt werden, sofern er dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. In solchen Fällen ist auch eine Aufklärung nicht erforderlich.


  • Pflichten eines Allgemeinarztes bei einem Patienten mit gerötetem Auge

Oberlandesgericht Dresden (OLG Dresden)

Die Maßnahmen, die ein Arzt ergreifen muss, richten sich immer nach den beruflichen Standards seines Fachgebiets unter Berücksichtigung der in diesem Fachbereich erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten in der jeweiligen Behandlungssituation. Ein Allgemeinarzt ist dazu verpflichtet, den Patienten bei Bedarf zu einer fachärztlichen Behandlung zu überweisen. Wenn ein Patient mit einem geröteten Auge bei einem Allgemeinarzt vorspricht, sollte eine solche Überweisung nur dann erfolgen, wenn aufgrund einer Untersuchung mit den in der Hausarztpraxis verfügbaren Mitteln und der Patientenanamnese ein konkreter Verdacht auf eine Augenerkrankung oder das Vorhandensein eines Fremdkörpers besteht. Lediglich unspezifische Beschwerden rechtfertigen es, von einer Überweisung abzusehen und den Patienten zu einer erneuten Vorstellung zu ermutigen.

Arzthaftungsrecht

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Weitere allgemeine Informationen zum Artzhaftungsrecht finden Sie auf unserem Blog zum Thema und auf unserem Projekt www.recht-und-rat.info.

Foto(s): www.kanzlei-steinwachs.de


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