Weshalb sollte ich mir meinen Pflichtverteidiger selbst aussuchen?

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Was sind die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigung

Schauen wir erstmal ins Gesetz. Dies steht in Paragraf 140 der Strafprozessordnung. Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn zu erwarten ist:

  • dass die Hauptverhandlungen im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet
  • dem Beschuldigen ein Verbrechen zur Last gelegt wird,
  • wenn das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann

und was vielleicht am häufigsten vorkommt

  • der Beschuldigte sich aufgrund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet. Übersetzt heißt das, wenn man im Knast sitzt.

Verbrechen sind Delikte, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr sanktioniert werden. Vergehen sind solche die nicht im Mindestmaß mit einem Jahr Freiheitsstrafe bestraft werden.

Notwendige Verteidigung nach Paragraph 140 der Strafprozessordnung bedeutet, dass ein Beschuldigter von einem Rechtsanwalt und Strafverteidiger verteidigt werden muss.

Heißt, er darf sich nicht allein verteidigen. Er kann also nicht sagen ich brauche keinen Anwalt, ich verteidige mich selbst. Das geht nicht.

Hat man sich keinen eigenen Verteidiger ausgesucht, den sogenannten Wahlverteidiger, wird das Gericht einen auffordern einen Pflichtverteidiger zu benennen.


Darf ich mir einen Pflichtverteidiger aussuchen?

Ja, ihr dürft euch euren Pflichtverteidiger aussuchen. Ihr dürft selbst nicht nur einen Pflichtverteidiger aussuchen, sondern solltet unbedingt selbst einen Anwalt eures Vertrauens aussuchen. Das ist unser Rat.

Macht ihr das nicht, wird das Strafgericht einen Pflichtverteidiger für euch auswählen. Das solltet ihr unbedingt vermeiden!


Warum sollte das vermieden werden?

Wenn ihr Fußball spielt und der Schiedsrichter dürfte euren Torwart für euch aussuchen,… Das geht nicht gut für euch aus.

Falls der Schiedsrichter dann einen Mittelfeldspieler der gegnerischen Mannschaft als euren Torwart aussuchen würde. Bei diesem Spiel könnt ihr nicht gewinnen.
 
Genauso ist das, wenn der Strafrichter, der über euren Fall urteilen soll, euren Pflichtverteidiger aussucht.


Warum sollte der Strafrichter nicht meinen Pflichtverteidiger aussuchen?

Vereinzelt gibt es Strafrichter die ganz gerecht einen Pflichtverteidiger aus allen Anwälten in einem Gerichtsbezirk auswählen. Die haben eine Liste mit allen Anwälten vor Ort und gehen die Liste streng nach dem Alphabet durch. Kein Anwalt wird dadurch bevorzugt, kein Anwalt wird benachteiligt.

Das halten wir zumindest für fair, passiert aber selten.

Für noch weniger Strafrichter steht der Rechtsstaat über alles. Das heißt sie versuchen den besten Pflichtverteidiger für euch auszusuchen, weil sie wollen, dass man bestmöglich verteidigt wird.

Das wäre der Idealfall, machen aber nur ganz wenige old school Strafrichter.


Meistens läuft die Auswahl eines Pflichtverteidigers durch einen Richter aber völlig anders ab.

In nahezu jeden Gerichtsbezirk in Deutschland sind es immer die gleichen Pi mal Daumen 3 Anwälte, die sämtliche Pflichtverteidigungen bekommen. Die anderen Anwälte im Gerichtsbezirk gehen meist leer aus. Regelmäßig sind dies hunderte Anwälte in einem Gerichtsbezirk, die keine Pflichtverteidigungen bekommen.

Wir kennen Strafverteidiger, die als Fachanwälte für Strafrecht noch dazu besonders qualifiziert sind und dennoch seit Jahren keine einzige Pflichtverteidigung bekommen haben, während gleichzeitig ein Kollege von ihnen, der eigentlich auf Familienrecht spezialisiert ist, regelmäßig jede Woche 2 bis 3 Pflichtverteidigungen bekommt.

Meist sind diese 3 Pflichtverteidiger mit dem Strafrichter gut bekannt. Er kennt sie noch aus der Schul- bzw. Studienzeit. Er spielt in seiner Freizeit mit ihnen Fußball, sie haben einen gemeinsamen Stammtisch oder machen als Pflichtverteidiger wenig Arbeit.

Bei diesen Pflichtverteidigungen geht es, wenn man sie regelmäßig bekommt, um Einnahmen zwischen 50.000 und 100,000, Euro pro Jahr und Pflichtverteidiger.

In keinem Unternehmen, in keiner Firma und auch nicht bei der öffentlichen Hand werden Aufträge ohne nachvollziehbare Regeln oder auch ohne Kontrolle vergeben. Das wäre dort undenkbar.

Dies passiert alleine nur bei der Strafjustiz.

Dies passiert außerhalb der Strafjustiz deshalb nicht, weil eine solche Auftragsvergabe extrem korruptionsanfällig ist. Wir reden hier noch nicht einmal von Geldzahlungen an Strafrichter.

Es genügt schon, wenn Strafrichter die Pflichtverteidiger auswählen, die am schwächsten sind. Pflichtverteidiger, die dem Richter wenig Arbeit machen. Keine aufwändigen Anträge stellen, Zeugen nicht scharf fragen oder einfach gesagt, den Strafrichter viel zusätzliche Arbeit machen und gut verteidigen.

Auch für den Pflichtverteidiger ist das einer ungute Situation. In der Verhandlung hat er neben sich seinen Mandanten, den er eigentlich bestmöglich verteidigen sollte.

Vor sich hat er aber den Strafrichter, der ihm regelmäßig neue Pflichtverteidigeraufträge gibt und damit Einnahmen verschafft. Soll er jetzt diesen Strafrichter mit einer harten Strafverteidigung vielleicht nerven oder sogar verärgern, anstatt seinen Mandanten zu einem Geständnis zu überreden?
 
 Hier steht leider immer das wirtschaftliche Interesse des Anwalts auf weitere Aufträge für Pflichtverteidigungen durch diesen Strafrichter, gegen die Interessen des Mandanten auf beste Verteidigung.

Als Strafverteidiger empfinde ich diese Klüngelei und Vetterleswirtschaft fürchterlich und hat mit Rechtsstaat nichts mehr zu tun.

Aber weder der Gesetzgeber noch die Strafjustiz wollen das ändern. Dabei gibt es aus unserer Sicht hier nur Verlierer.

Der Strafrichter, der unnötig in Versuchung geführt wird, schwache Verteidiger auszuwählen. Weil sie ihm weniger Arbeit machen.

Der Pflichtverteidiger, der immer im Zwiespalt arbeitet, keine Pflichtverteidigungen mehr zu bekommen, wenn er nur im Interesse seines Mandanten handelt.

Und natürlich der Angeklagte, der Gefahr läuft schlecht verteidigt zu werden.



Weitere Infos finden Sie unter:

GLÜCK - Kanzlei für Strafrecht

Foto(s): GLÜCK - Kanzlei für Strafrecht

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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