128.641 Euro Einkünfte übersehen – Glück für Steuerpflichtigen, Pech für Finanzamt

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Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 14.01.2020 – VIII R 4/17 entschieden, dass nach Ablauf der Einspruchsfrist ein Steuerbescheid nicht mehr geändert werden kann, wenn das Finanzamt ordnungsgemäß erklärte Einkünfte des Steuerpflichtigen sorgfaltswidrig nicht im Steuerbescheid berücksichtigt.

Dieses steuerzahlerfreundliche Urteil wird die Finanzverwaltung ärgern. Es ist jedoch das Ergebnis konsequenter Anwendung der Steuergesetze, die nicht nur das Steueraufkommen des Staates sichern, indem Fehler des Steuerzahlers in seiner Steuererklärung zu seinen Lasten behoben werden können. Umgekehrt schützt das Steuerrecht als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips unter bestimmten Voraussetzungen auch den Steuerpflichtigen vor Fehlern des Finanzamts, wenn diese sich steuermindernd ausgewirkt haben.

Der Fall: 128.641 Euro ordnungsgemäß in Steuererklärung angegeben

In dem vom BFH entschiedenen Urteilsfall hatte der Steuerpflichtige in seiner Einkommensteuererklärung ordnungsgemäß unter anderem Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 128.641 Euro angegeben. Die Steuererklärung gab der Kläger auf amtlichem Vordruck in Papierform ab.

Finanzamt übersah Einkünfte aus selbständiger Arbeit

Nach Eingang der Einkommensteuererklärung des Klägers scannte das Finanzamt diese ein, übersah jedoch die Anlage S, in der die 128.641 Euro Einkünfte aus selbständiger Arbeit fehlerfrei angegeben waren. In der Folge wurde die Einkommensteuer des Klägers ohne Berücksichtigung dieser Einkünfte durch Steuerbescheid festgesetzt. Folglich musste der Steuerpflichtige auf seine 128.641 Euro keine Steuern zahlen.

Fehler wurde vom Finanzamt zu spät bemerkt

Erst im Folgejahr fiel dem Finanzamt sein Fehler auf und korrigierte den Fehler zu Lasten des Klägers durch einen geänderten Steuerbescheid. Er sollte nun also die zu wenig entrichtete Einkommensteuer nachzahlen. Allerdings war die Einspruchsfrist schon abgelaufen. Es bestand auch kein sogenannter Vorbehalt der Nachprüfung. Somit war der Einkommensteuerbescheid grundsätzlich nicht mehr anfechtbar oder änderbar, das heißt bestandskräftig.

Kein mechanisches Versehen gemäß § 129 AO

Änderungen von bestandskräftigen Steuerbescheiden sind unter gewissen Umständen möglich. § 129 Abgabenordnung (AO) sieht eine Änderungsmöglichkeit bei mechanischem Versehen vor. Mechanisches Versehen können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Zusammenhang mit dem Erlass des Steuerbescheids sein. Ein solches mechanische Versehen sah der BFH im Urteilsfall jedoch nicht.

Mangelhafte Aufklärung des Sachverhalts

Der Fehler in der ursprünglichen Steuerfestsetzung beruhte auf der mangelhaften Aufklärung des Sachverhalts durch den zuständigen Sachbearbeiter des beklagten Finanzamts. Das finanzbehördliche Risikomanagementsystem hatte die eingescannten Daten der Einkommensteuererklärung maschinell überprüft und dem Sachbearbeiter mehrere Prüf- und Risikohinweise gegeben. Unter anderem wies es auf die sehr geringen Einkünfte des Klägers hin und ordnete die personelle Prüfung an, weil der Fall des Klägers als risikobehaftet eingestuft wurde. Diese Hinweise ignorierte der Veranlagungsbezirk des Finanzamts offenbar. Mithin konnte von einem Schreibfehler, Rechenfehler oder sonstigem mechanischen Versehen im Sinne des § 129 AO nicht die Rede sein. Es lag schlichtweg Sorgfaltswidrigkeit bei der Prüfung des Steuerfalls vor.

Der BFH hob den geänderten Steuerbescheid wieder auf

Im Ergebnis hob der BFH den angefochtenen Einkommensteuerbescheid des beklagten Finanzamts wieder auf. Der Kläger muss seine korrekt in der Steuererklärung angegebenen, aber sorgfaltswidrig vom Finanzamt übergangenen Einkünfte aus selbständiger Arbeit nicht nachträglich versteuern.

Fazit

Man kann als Steuerpflichtiger auch mal Glück haben. Im vorliegenden Fall hat das Finanzamt schlichtweg schlampig gearbeitet. Das hat zu einem enormen Steuervorteil beim Betroffenen geführt. Wichtig zu wissen ist, dass der – nach dem Steuergesetz eigentlich zu Unrecht – begünstigte Steuerpflichtige keine Pflicht hat, den Fehler des Finanzamts aufzuklären. Läuft die Einspruchsfrist ab und existiert auch kein Vorbehalt der Nachprüfung, kann das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid nicht allein deshalb ändern, dass es ordnungsgemäß erklärte Einkünfte trotz Warnhinweise des eigenen Risikomanagementsystems sorgfaltswidrig nicht richtig bei der Steuerveranlagung erfasst hat.

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Dr. Frank Rozanski

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht

Fachanwaltskanzlei Dr. Rozanski

Foto(s): bilderwerk.org Oldenburg

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