Steuerfalle Kurzarbeitergeld – ein Beispiel aus der Praxis

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Die Corona-Krise hat zum Glück bei vielen Arbeitnehmern nicht zur betriebsbedingten Kündigung geführt, obwohl zahlreiche Arbeitgeber erhebliche Umsatzeinbußen erleiden mussten, z. B. in der Hotel- und Gastronomiebranche. Möglich macht dies unter anderem das Kurzarbeitergeld, das vom Staat vorübergehend für genau solche Unternehmenskrisen gezahlt wird. Eine böse Überraschung kann dem einen oder anderen betroffenen Arbeitnehmer allerdings in Gestalt einer Steuernachzahlung nach Ablauf des Krisenjahres drohen. Arbeitgeber sollten darüber aufklären. Nachfolgend zeige ich auf, in welchen Fällen das passieren kann.

Einen solchen Fall erlebe ich selbst gerade im Freundeskreis. Mein langjähriger Freund Olaf ist Arbeitgeber und musste im Zuge der Corona-Krise einen Teil seiner Mitarbeiter auf Kurzarbeit setzen. Das war für ihn äußerst unangenehm, aber immerhin konnte er auf diese Weise alle Arbeitsplätze erhalten. Zudem gingen Beantragung und Bewilligung des Kurzarbeitergelds durch die Arbeitsagentur schnell und komplikationslos.

Steuerliche Besonderheiten

Olaf hat mich als Steuerfachmann natürlich gleich gefragt, ob steuerlich irgendetwas zu beachten ist. Ja, in der Tat – beim Kurzarbeitergeld sind einige Besonderheiten zu berücksichtigen, um mit dem Finanzamt keinen Ärger zu bekommen.

Steuererklärungspflicht

Die wichtigste Besonderheit ist, dass der Arbeitnehmer, der Kurzarbeitergeld bezieht, für das betreffende Jahr eine Einkommensteuererklärung abgeben muss. Viele Arbeitnehmer sind im Normalfall – also ohne Kurzarbeit – dazu nicht verpflichtet. Die Besteuerung wird bei ihnen über den monatlichen Lohnsteuerabzug in der Lohn- bzw. Gehaltsabrechnung durch den Arbeitgeber erledigt. Für das Jahr der Kurzarbeit ist grundsätzlich bis zum 31. Juli des Folgejahres die Steuererklärung elektronisch beim Finanzamt einzureichen. Olaf muss seinen Mitarbeitern also mitteilen, dass sie für 2020 spätestens bis zum 31. Juli 2021 eine Einkommensteuererklärung abgeben müssen.

Kurzarbeitergeld ist steuerfrei

Zunächst einmal die gute Nachricht für Olaf und seine Angestellten: Kurzarbeitergeld ist steuerfrei. Weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer müssen darauf Lohnsteuer bzw. Einkommensteuer abführen. 

VORSICHT: Progressionsvorbehalt

Allerdings habe ich auch eine schlechte Nachricht, denn es ist der sogenannte Progressionsvorbehalt zu beachten. „Was bitte ist Progressionsvorbehalt?“ Das ist eine der Eigenarten des deutschen Steuersystems, die für Nicht-Fachleute nur schwer zu verstehen ist. Ich versuche mal, sie mit möglichst einfachen Worten anhand eines Beispiels zu erklären.

Steigender Steuersatz von 14 % bis 45 %

Die Hauptursache für den Progressionsvorbehalt ist der variable Einkommensteuersatz beginnend bei 14 %, steigend bis zu 45 %, nach Abzug des Grundfreibetrags von derzeit 9.408 Euro (Ledige) / 18.816 Euro (Verheiratete/Lebenspartner). Olaf weiß von seinem BWL-Studium noch, warum das so ist. Besserverdienende sollen prozentual mehr Steuern zahlen. So will der Staat Steuergerechtigkeit schaffen. Steuern sollen also je nach finanzieller Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen gezahlt werden.

Kurzarbeitergeld erhöht die finanzielle Leistungsfähigkeit

Aus Sicht der Steuergerechtigkeit und des damit zusammenhängenden Besteuerungsprinzips nach Leistungsfähigkeit wäre es unfair, wenn derjenige, der kein Kurzarbeitergeld bekommt und damit unter dem Strich weniger Geld in der Tasche hat, genauso viel Steuern bezahlen müsste wie jemand, der das gleiche zu versteuernde Einkommen und zusätzlich noch steuerfreies Kurzarbeitergeld erhalten hat. Zudem wird das Kurzarbeitergeld durch Steuergelder finanziert. Diese Ungerechtigkeit versucht der Progressionsvorbehalt auszugleichen. Dafür hat Olaf Verständnis. Aber wie findet dieser Ausgleich nun in der Praxis statt?

Beispiel für Progressionsvorbehalt

Die Wirkung des Progressionsvorbehalts erklärt man am besten am Beispiel eines leitenden Mitarbeiters von Olaf, etwas vereinfacht. 

Der Mitarbeiter erzielt dieses Jahr für neun Monate ein steuerpflichtiges Bruttogehalt von 60.000 Euro, anstatt wie üblich 80.000 Euro Jahresgehalt für zwölf Monate. In der Corona-Krise hat er drei Monate lang steuerfreies Kurzarbeitergeld von insgesamt 12.000 Euro erhalten. Der Mitarbeiter muss am Ende des Jahres also nur 60.000 Euro versteuern.

Bekäme er kein Kurzarbeitergeld, käme auch kein Progressionsvorbehalt zur Anwendung und betrüge der Steuersatz im Durchschnitt 27 %. Dann müsste der Mitarbeiter 16.200 Euro Einkommensteuer bezahlen.

Nun muss aus Gründen der Steuergerechtigkeit aber irgendwie das zusätzlich erhaltene Kurzarbeitergeld Berücksichtigung finden, denn der Mitarbeiter von Olaf hatte in diesem Jahr insgesamt 72.000 Euro Einnahmen. Er war somit finanziell leistungsfähiger als jemand, der nur 60.000 Euro insgesamt im Jahr bekommen hat.

Und nun greift der Progressionsvorbehalt: Ausschließlich für Zwecke der Steuersatzermittlung wird das Kurzarbeitergeld mit einbezogen. Es wird also der Steuersatz angewandt, der bei 72.000 Euro zu zahlen ist. Das sind durchschnittlich30 %. Am Ende werden aber nur die steuerpflichtigen 60.000 Euro (vom Arbeitgeber bezahltes Bruttogehalt) mit 30 % versteuert. Das führt im Ergebnis zu einer vom Mitarbeiter zu zahlenden Einkommensteuer von 18.000 Euro, mithin 1.800 Euro mehr Steuer als ohne Kurzarbeitergeld.

Lohnsteuerabzug kann Steuernachzahlung verhindern

Am Ende kann Olaf seinen Mitarbeiter aber beruhigen, denn er muss keine Angst vor einer Steuernachzahlung haben. Warum? In seinem Beispiel hilft ihm der Lohnsteuerabzug auf die ganz normal zu versteuernden 60.000 Euro Bruttogehalt, die sein Arbeitgeber jeden Monat vornimmt. 

Der Steuersatz für die monatliche Lohnsteuer ist bemessen am eigentlich mit dem Arbeitgeber vereinbarten Jahresgehalt des Mitarbeiters in Höhe von 80.000 Euro. Der Durchschnittssteuersatz liegt hierfür bei sogar 31 %, somit 1 % über dem Steuersatz infolge des Progressionsvorbehalts. Das heißt also, dass Olaf für seinen Mitarbeiter außerhalb der Krise schon so viel Lohnsteuer abgeführt hat, dass sich der Progressionsvorbehalt trotz Kurzarbeitergelds nicht negativ auswirkt. Glück gehabt!

Problem: Nur 50 % Kurzarbeit

Dennoch kann es in bestimmten Fällen zu Steuernachzahlungen kommen. Eine Möglichkeit ist, dass Kurzarbeit nur zu 50 % stattfindet, der Arbeitnehmer also zur Hälfte ganz normal weiterarbeitet. Hierfür erhält er 50 % seines regulären, voll zu versteuernden Arbeitslohns. ABER: Der Steuersatz für den Lohnsteuerabzug ist hierfür grundsätzlich deutlich niedriger als der Steuersatz, der für das volle Monatsgehalt zu bezahlen wäre. Im Ergebnis ist die in der Zeit der Kurzarbeit erzielte steuerpflichtige Vergütung zu niedrig versteuert und es kommt in solchen Fällen nach Ablauf des betreffenden Jahres regelmäßig zu einer Steuernachzahlung im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung.

Weitere negative Auswirkungen bei Ehegatten/Lebenspartnern möglich

Es können sich weitere negative Auswirkungen bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten bzw. Lebenspartnern ergeben, z. B. bei unterschiedlichen Steuerklassen (3 und 5) oder wenn der Partner selbständig ist. In diesen Konstellationen sind Steuernachzahlungen ohnehin keine Seltenheit. Durch den Progressionsvorbehalt infolge Kurzarbeitergelds könnten diese Nachzahlungen von Einkommensteuer aber höher als sonst ausfallen.

Fazit

Wer Kurzarbeitergeld bezieht, muss für das betreffende Jahr zwingend eine Einkommensteuererklärung bis zum 31. Juli des Folgejahres abgeben. Kurzarbeitergeld führt nicht notgedrungen zu einer Steuernachzahlung. Hierbei ist insbesondere der Umfang der Kurzarbeit entscheidend. Aufpassen müssen diejenigen, die nur zu einem Teil Kurzarbeitergeld beziehen, im Übrigen aber ganz normal ihren vereinbarten Arbeitslohn bzw. ihr Gehalt bekommen. Ebenso müssen betroffene zusammenveranlagte Ehegatten/Lebenspartner mit negativen steuerlichen Auswirkungen der Kurzarbeit rechnen. Pauschale Aussagen sind hier kaum möglich. Wer sichergehen will, sollte umgehend seinen Steuerberater oder einen Fachanwalt für Steuerrecht kontaktieren und konkret seinen Fall steuerlich beurteilen lassen.

Haben Sie aktuell mit Kurzarbeitergeld zu tun und wollen wissen, was Sie in steuerlicher Hinsicht jetzt noch unternehmen können, um Ärger mit dem Finanzamt zu vermeiden? Dann kontaktieren Sie mich umgehend telefonisch unter der angegebenen Nummer oder per E-Mail. Besuchen Sie mich gern auch auf meiner Internetseite.

Dr. Frank Rozanski

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht

Fachanwaltskanzlei Dr. Rozanski


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