Abmahnung: Wirkungslosigkeit einer Abmahnung wegen Zeitablaufs

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„Eine Abmahnung gegenüber dem Arbeitnehmer wird in der Regel nach Ablauf von zwei Jahren wirkungslos, so daß der Arbeitgeber sich auf sie zur Rechtfertigung einer Kündigung nicht mehr berufen kann. Dies gilt nicht, wenn dem Arbeitnehmer während des zweijährigen Zeitraums eine weitere Abmahnung wegen einer gleichen oder gleichartigen Arbeitsvertragsverletzung erteilt worden ist. In diesem Falle tritt die Wirkungslosigkeit der ersten Abmahnung nicht vor Ablauf von zwei Jahren seit der zweiten Abmahnung ein.“ So lauten die amtlichen Leitsätze LAG Hamm, Urteil vom 14.05.1986 - 2 Sa 320/86 (ArbG Siegen Urteil 21.01.1986 2 Ca 1417/85); Quelle: Beck-online.de

Was ist passiert?

LAG Hamm: „Die Parteien streiten in erster Linie über die soziale Rechtfertigung einer Kündigung. Am 10. 2. und 16. 2. 1983 blieb die Kl. unerlaubt ihrer Arbeit fern. Außerdem nahm sie in diesem Monat dreimal um 3 bis 12 Minuten verspätet ihre Arbeit auf. Die Bekl. erteilte ihr deswegen die schriftliche Abmahnung vom 25. 2. 1983. Nachdem die Kl. am 12. 4. und 15. 4. 1983 wiederum unentschuldigt gefehlt hatte, erhielt sie das Abmahnungsschreiben der Bekl. vom 26. 4. 1983. Als die Kl. am 11. 7. 1983 abermals nicht zur Arbeit erschien und am 15. 7. 1983 ihren Arbeitsplatz vorzeitig ohne Abmeldung verließ, teilte die Bekl. dem Betriebsrat am 15. 7. 1983 ihre Absicht mit, ordentlich zu kündigen. Da dieser am 9. 8. 1983 widersprach, unterblieb eine Kündigung. Die Bekl. nahm jedoch die Vorfälle zum Anlaß, die Kl. mündlich abzumahnen. Ab 7. 3. 1984 fehlte die Kl. erneut. Sie meldete sich nicht krank, sondern reichte am 9. 3. ein ärztliches Attest ein, das ihr eine Arbeitsunfähigkeit vom 7. 3. an bescheinigte. Die Bekl. reagierte hierauf mit der schriftlichen Abmahnung vom 15. 3. 1984. Am Montag, dem 2. 9. 1985, blieb die Kl. ebenfalls ohne weiteres ihrem Arbeitsplatz fern. Die Bekl. leitete daraufhin am 4. 9. das Anhörungsverfahren ein. Der Betriebsrat nahm die Absicht, der Kl. ordentlich zu kündigen, am 11. 9. 1985 "zur Kenntnis". Mit der Begründung, die Kl. habe trotz mehrerer vorhergehender schriftlicher und mündlicher Abmahnungen am 2. 9. wiederum unentschuldigt gefehlt, sprach die Bekl. durch Schreiben vom 11. 9., zugegangen am 12. 9., eine Kündigung zum 31. 10. 1985 aus. Hiergegen wendet sich die am 1. 10. 1985 eingereichte Kündigungsschutzklage.“ Quelle: Beck-online.de

Frühere Abmahnungen wegen Zeitablaufs ohne rechtliche Bedeutung

LAG Hamm: „Auf die früheren Verstöße der Kl. gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten und die in diesem Zusammenhang ausgesprochenen Abmahnungen kann die Bekl. sich zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung vom 11. 9. 1985 nicht berufen. Das unentschuldigte Fehlen der Kl. am 10. 2., 14. 2. und 16. 2. 1983 und die dreimalige verspätete Arbeitsaufnahme in diesem Monat sind von der Bekl. zum Gegenstand der Abmahnung vom 25. 2. 1983 gemacht worden. Die beiden nächsten unerlaubten Fehltage vom 12. 4. und 15. 4. 1983 sind am 26. 4. 1983 abgemahnt worden. Das grundlose Fehlen am 11. 7. und das vorzeitige Verlassen der Arbeit am 15. 7. 1983 führten nach Aufgabe der ursprünglichen Kündigungsabsicht der Bekl. vom 15. 7. Anfang August 1983 zu einer mündlichen Abmahnung durch ihren Personalleiter. Zwischen dem letzten Vorfall (15. 7. 1983) und dem nächsten Vorkommnis dieser Art (2. 9. 1985) liegen mehr als 2 Jahre. Auch waren seit der letzten Abmahnung (Anfang August 1983) über 2 Jahre verstrichen, als es zu dem Fehltag vom 2. 9. 1985 kam. Bei dem Geschehnis im März 1984 handelt es sich nicht - wie in den genannten Fällen - um einen Verstoß gegen die Arbeitspflicht, also die arbeitsvertragliche Hauptpflicht, sondern um eine Verletzung der Anzeigepflicht, d. h. einer Nebenpflicht des Arbeitnehmers. Vorzuwerfen ist der Kl. insoweit lediglich, daß sie entgegen § 8 Nr. 7 I MTV ihre (am 7. 3. 1984 eingetretene) Verhinderung durch Krankheit der Bekl. nicht unverzüglich mitgeteilt (und demzufolge auch die Angabe der Gründe und der voraussichtlichen Dauer ihrer Verhinderung unterlassen) hat. Ihrer weiteren Verpflichtung, vor Ablauf des dritten Kalendertages nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit eine entsprechende ärztliche Bescheinigung nachzureichen (§ 8 Nr. 7 II MTV), ist die Kl. hingegen durch Vorlage des Attestes am 9. 3. 1984 nachgekommen. Das bedeutet, daß die Pflichtverletzung vom 7./8. 3. 1984 keine Wiederholung des zuletzt Anfang August 1983 abgemahnten Fehlverhaltens, sondern eine auf einem anderen, nicht vergleichbaren Gebiet liegende Vertragswidrigkeit darstellt.“ Quelle: Beck-online.de

Grundsätze eines sozialen Rechtstaates

LAG Hamm: „Die Abmahnungen der Bekl. vom 25. 2., 26. 4. und Anfang August 1983 hatten infolge eines mehr als zweijährigen Zeitablaufs ihre rechtliche Wirksamkeit bereits verloren, als es am 2. 9. 1985 erstmals wieder zu einem unerlaubten Fernbleiben der Kl. von der Arbeit kam. Die Grundsätze eines sozialen Rechtsstaates, nach denen sogar Eintragungen über strafgerichtliche Verurteilungen nach Ablauf einer bestimmten Frist zu tilgen sind (vgl. §§ 43, 44 Bundeszentralregistergesetz (BZRG)), erfordern es, daß auch Abmahnungen, die bloß auf einer Vertragswidrigkeit beruhen und deren Bedeutung mit einer Straftat überhaupt nicht vergleichbar ist, nach Ablauf einer gewissen Zeit wirkungslos werden. Es wäre mit diesen Prinzipien unvereinbar, wenn eine Abmahnung während der gesamten weiteren Betriebszugehörigkeit für den Arbeitnehmer belastend verwertet werden dürfte. Aber auch die dem Arbeitgeber kraft Arbeitsvertrages obliegende Fürsorgepflicht gebietet es, Abmahnungen als gegenstandslos zu betrachten (und aus Personalakten zu entfernen), an denen er kein schutzwertes Interesse mehr hat. Ebenso ist anerkannt, daß selbst Betriebsbußen trotz ihres Strafcharakters nach gewisser Zeit zu tilgen sind.“ Quelle. Beck-online.de

Rechtlich unklar, wann eine Abmahnung ihre rechtliche Wirkung verliert

LAG Hamm: „Allerdings besteht Streit darüber, nach Ablauf welchen Zeitraums die Abmahnung ihre rechtliche Wirkung verloren hat. So werden bei leichten Verfehlungen (z. B. Unpünktlichkeit, Schlechtarbeit) 2 bis 3 Jahre angenommen und bei schweren Verfehlungen (z. B. Diebstahl, Trunkenheit im Dienst) 5 bis 6 Jahre angesetzt. Teilweise werden sogar die 5, 10 bzw. 15 Jahre betragenden Tilgungsfristen des BZRG für entsprechend anwendbar erklärt. Andere bejahen eine Pflicht des Arbeitgebers zur Entfernung der Abmahnung und damit deren Wirkungslosigkeit, wenn das beanstandete Verhalten des Arbeitnehmers "lange" bzw. "längere Zeit" zurückliegt, in keiner Weise mehr von Bedeutung ist und das Interesse des Arbeitnehmers überwiegt oder wenn eine "angemessene Frist" verstrichen ist. Nach der Auffassung der Berufungskammer scheidet ein Zeitraum von 5 Jahren und mehr von vornherein aus, weil die Abmahnung nicht mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe gleichgesetzt werden kann. Wird weiter bedacht, daß selbst Betriebsbußen bereits nach 2 Jahren gelöscht werden sollen, so kann der Zeitraum für Abmahnungen nicht länger sein. Die Wirkungslosigkeit der Abmahnung ist also regelmäßig anzunehmen, wenn seither mindestens zwei Jahre verstrichen sind.“ Quelle: Beck-online.de

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