Alles braucht seine Zeit – oder der kürzeste Weg ist nicht immer der beste

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Der 10-jährige Kläger zog sich eine Fraktur des linken Schien- und Wadenbeins zu. Ausweislich eines radiologischen Befundes wurde eine komplette Unterschenkelfraktur im mittleren Schaftdrittel festgestellt. In der Folge empfahl der Assistenzarzt die operative Versorgung; der Chefarzt riet davon ab. Die Mutter des Klägers folgte dem Rat des Chefarztes, wodurch die konservative Behandlung eingeleitet wurde. Im Rahmen dessen wurde die Ruhigstellung des Beins anhand einer Oberschenkelgipsschiene veranlasst. Im Rahmen einer späteren radiologischen Untersuchung wurde festgestellt, dass der Kläger schließlich doch operiert werden musste.

LG Koblenz wies die Klage ab 

In erster Instanz habe das LG Koblenz keinen Behandlungsfehler feststellen können, da die konservative Behandlung jedenfalls relativ indiziert gewesen sei und die Mutter des Klägers die OP abgelehnt hatte. Gegen das abweisende Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. 

Berufung vor dem OLG Koblenz 

Im Rahmen der Berufung hat das Berufungsgericht dem Kläger eine Stellungnahmefrist zum Hinweisbeschluss gesetzt. Auf die von vornherein großzügig bemessene Frist des Gerichts beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers Fristverlängerung aufgrund seines bevorstehenden Urlaubs und einer notwendigen Besprechung mit dem Kläger. Der Fristverlängerungsantrag und die Berufung wurden mit Hinweis auf die Ausführungen des Beschlusses zurückgewiesen. 

BGH: Verletzung des rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 Abs. 1 GG 

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers vor dem BGH (Beschluss vom 15. Mai 2018 – VI ZR 287/17) hatte Erfolg. Durch die Nichtgewährung der Fristverlängerung und der Zurückweisung der Berufung sei dem Kläger die Möglichkeit, sich fundiert zum Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern, in unzumutbarer Weise erschwert worden. Dadurch wurde der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Dieser gebietet es, dass die gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrensrechts einem wirkungsvollen Rechtsschutz gerecht wird und den Beteiligten des Verfahrens die Möglichkeit gegeben wird, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Die gesetzte Frist reichte nicht aus und der Fristverlängerungsantrag war ausreichend begründet.

Behandlungsfehler bei widersprüchlichen Informationen

Ein Behandlungsfehler kann – nach dem BGH – grundsätzlich zu verneinen sein, wenn der Patient eine medizinisch gebotene operative Versorgung ablehnt. Ein Behandlungsfehler ist jedoch anzunehmen, wenn der Patient über die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Maßnahme nicht vollständig und widerspruchsfrei informiert worden ist. Machen Chefarzt und Assistenzarzt widersprüchliche Angaben, so kann ein Behandlungsfehler seitens des Chefarztes auch nicht verneint werden, wenn der Patient die zutreffend angeratene Maßnahme des Assistenzarztes abgelehnt hat. Denn es ist nachvollziehbar, dass die Mutter des Klägers auf die Ansicht und Beurteilung des Chefarztes und nicht auf die Meinung des Assistenzarztes vertraute.



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