Als Student berufsunfähig – Anforderungen zur in gesunden Tagen ausgeübten Berufstätigkeit

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OLG Dresden, Beschluss vom 19.12.2018 – 4 W 1091/18

Als Student berufsunfähig – Anforderungen an die Darlegung zur in gesunden Tagen ausgeübten Berufstätigkeit 

Die Anforderungen an die Darlegung zur in gesunden Tagen ausgeübten Berufstätigkeit darf bei Ansprüchen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung nicht überspannt werden. Ist die Tätigkeit als Student versichert und behauptet der Versicherungsnehmer, in Vorbereitung seiner Abschlussarbeit seine Tage überwiegend mit dem Selbststudium verbracht zu haben, ist die Vorlage eines exemplarischen Wochenplanes nicht erforderlich.

Der Student und seine Berufsunfähigkeitsversicherung 

Der Versicherungsnehmer schloss Ende 2011 eine Berufsunfähigkeitsversicherung ab, wonach ihm eine Rente in Höhe von 1.000,00 € monatlich zustehen sollte. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war der Versicherungsnehmer Student der Fächer Literatur, Kultur und Medien mit dem Abschlussziel Bachelor. Als Berufsziel hatte er im Antrag „Museumsleiter“ angegeben. Leistungserbringung seitens des Versicherers war ab einer Berufsunfähigkeit von 50 % vereinbart. Im Jahre 2014 befand sich der Versicherungsnehmer im 11. Semester und musste im April des Jahres seine Bachelorarbeit abgeben. Anfang März wurde er in einem Augenzentrum notfallmäßig wegen Verschwommensehens behandelt. Es wurden eine Entzündung, die den hinteren Augenabschnitt im Bereich der Aderhaut befällt (Uveitis posterior) und eine Ansammlung von extrazellulärer Flüssigkeit im Bereich des gelben Flecks des menschlichen Auges (Makulaödem) diagnostiziert. Im November 2014, Juli 2015 sowie Juli 2016 wurden am linken Auge Netzhautoperationen wegen Netzhautablösung (Traktive Amotio) durchgeführt. Die zweite Bachelorarbeit erhielt der Versicherungsnehmer im März 2016 und gab sie im Mai ab.

Eintritt der Berufsunfähigkeit während des Studiums

Der Versicherungsnehmer wandte sich wegen seiner Berufsunfähigkeit an den Versicherer. Er teilte mit, dass er vor seiner Erkrankung als Student an Seminaren und Vorlesungen teilgenommen habe und nebenberuflich einer Beschäftigung am Stadttheater nachgegangen sei. Diese Beschäftigung habe er aber wegen der Abschlussarbeit aufgegeben. In den letzten Monaten vor Beginn der Abschlussarbeit habe er keine Seminare und Vorlesungen besucht, sondern insgesamt vier Hausarbeiten geschrieben. Zum Zeitpunkt der Erkrankung habe er für seine Bachelorarbeit überwiegend Recherchen in der Bibliothek oder am Computer betrieben. Er habe an mindestens fünf Tagen die Woche sieben bis zehn Stunden gearbeitet, wobei er circa 90 bis 95 % gelesen und 5 bis 10 % der Zeit nachgedacht und seine Überlegungen notiert habe. Er sei seit März 2014 bis heute als Student und auch in dem angestrebten Beruf als Redakteur berufsunfähig. Denn er habe mit dem linken Auge praktisch nichts mehr sehen können. Seine Sehschärfe habe sich auf 0,2 so verschlechtert, dass er nur noch „Handbewegungen“ sehen könne. Zudem sei das Auge sehr lichtempfindlich. Er habe sich schon im März 2014 einer intensiven Kortisonbehandlung unterziehen müssen, die zu starken Nebenwirkungen (Müdigkeit, Gewichtszunahme, Muskelschwund) geführt habe. Er habe keine dreidimensionale Wahrnehmung mehr. Am rechten Auge bestehe eine Hornhautverkrümmung und die Lesestärke betrage 1,75 Dioptrien. Er könne daher maximal noch zwei Stunden am Tag lesen oder schreiben. Er habe seine erste Bachelorarbeit im April 2014 abbrechen müssen. Ihm sei ein Grad der Behinderung von 30 % bescheinigt worden.

Ohne konkrete Arbeitsbeschreibung keine Einstandspflicht

Der Versicherer lehnte seine Einstandspflicht allerdings mit der Begründung ab, der Versicherungsnehmer habe keine konkrete Arbeitsbeschreibung für seinen Beruf als Student in der Examensphase abgegeben. Die von ihm geschilderten Beschwerden schränkten seine Tätigkeit nicht im bedingungsgemäßen Umfang ein. Weder als Student noch als Redakteur sei ein dreidimensionales Sehen erforderlich. Darüber hinaus bestritt der Versicherer die Beschwerden des Versicherungsnehmers. Dieser könne ja auch mit seinem rechten Auge sehen und lesen. Die Unterbrechung des Studiums sei daher gesundheitlich nicht indiziert gewesen. Gegen diese Entscheidung ging der Versicherungsnehmer gerichtlich vor und beantragte zunächst die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Das Landgericht wies diesen Antrag mangels Erfolgsaussichten des Vorhabens des Versicherungsnehmers zurück. Der Versicherungsnehmer legte hiergegen Beschwerde ein. 

Die summarische Prüfung im Prozesskostenhilfeverfahren

Das OLG hielt die Beschwerde für begründet. Dem Versicherungsnehmer wurde Prozesskostenhilfe bewilligt, da aus Sicht des OLG die Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg hatte und nicht mutwillig erschien. Anders als das Landgericht gelangte das OLG zu dem Ergebnis, dass der Versicherungsnehmer die Voraussetzungen für seinen Anspruch schlüssig dargelegt hat. Das Gericht betonte mit Verweis auf die Rechtsprechung des BGH, dass für die Prüfung, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit eingetreten ist, grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung maßgebend ist, so wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war, d. h., so lange die Leistungsfähigkeit des Versicherten noch nicht eingeschränkt war. Maßgeblich sei, wie sich die gesundheitliche Beeinträchtigung in der konkreten Berufsausübung auswirke. Hierzu müsse bekannt sein, wie das Arbeitsumfeld des Versicherungsnehmers tatsächlich beschaffen sei und welche Anforderungen an ihn stelle. Diesbezüglich genüge nicht nur die Angabe des Berufsbildes und der Arbeitszeit. Vielmehr müsse eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung verlangt werden, mit der die anfallenden Tätigkeiten ihrer Art, ihres Umfanges und ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden. Die Klärung des Berufsbildes diene in erster Linie dazu, einem Sachverständigen die notwendigen tatsächlichen Vorgaben zur medizinischen Beurteilung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit in die Hand zu geben. Diesen Anforderungen habe der Versicherungsnehmer genügt. Er habe zuletzt dargelegt, dass er an fünf Tagen der Woche mindestens sieben Stunden, in der Regel jedoch acht bis zehn Stunden an Lese- und Recherchearbeiten geleistet hat. Er habe diese Tätigkeit in der Bibliothek und zu Hause durch Lesen von Büchern oder am Computer durchgeführt, um die Bachelorarbeit fertigzustellen. Zwar sei in der Regel die Vorlage eines exemplarischen Wochenplanes einer typischen Arbeitswoche in Form eines Stundenplans angezeigt. Dies sei hier jedoch schon deshalb entbehrlich, weil die Tätigkeit des Versicherungsnehmers an jedem Tag nach seinen Ausführungen gleich gewesen ist. Eine nähere Konkretisierung, was unter Recherche- und Lesearbeit zu verstehen ist, sei entbehrlich, da allgemein bekannt sei, was darunter zu verstehen ist. 

Die tatsächliche Überprüfung der Berufsunfähigkeit 

Ob und inwieweit die Sehfähigkeit und die sonstigen vom Versicherungsnehmer geschilderten Einschränkungen tatsächlich vorlagen und zu einer Einschränkung der Berufsausführung geführt haben, wird nur ein Sachverständiger beantworten können. Das OLG wies darauf hin, dass sich allein aus den vorgelegten Arztbriefen der tatsächliche Umfang und die Dauer der Beeinträchtigung nicht feststellen lassen. Durch die Gewährung der Prozesskostenhilfe wurde dem Versicherungsnehmer somit der Weg geebnet, das Landgericht und den Versicherer von seiner Berufsunfähigkeit überzeugen zu können; notfalls durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. 


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