Anwalt bei Vorladung, Anklage Vorwurf Nichtanzeige geplanter Straftaten; Ist es strafbar eine Straftat nicht anzuzeigen?

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Pro Minute werden in Deutschland zehn Straftaten begangen. Das Repertoire reicht dabei von Beleidigung bis hin zu Mord und Totschlag. Nicht selten sind – vor allem schwere – Straftaten bereits im Voraus geplant und Unbeteiligte haben davon erfahren. Auch im Nachhinein vertrauen Täter sich mitunter einem Familienmitglied an.

Wer als Unbeteiligter von einer Straftat erfährt, sieht sich dabei mit einer Frage konfrontiert: Mache ich mich selbst strafbar, wenn ich die Tat nicht anzeige?

Wie hoch ist die Strafe bei Nichtanzeige geplanter Straftaten?

Für ein vorsätzliches Nichtanzeigen bestimmter Straftaten zu einem Zeitpunkt, in dem die Ausführung der Tat noch abgewendet werden kann, droht grundsätzlich eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe.


Wird die Anzeige nur „leichtfertig“ (das heißt nicht wissentlich und willentlich, sondern durch Außerachtlassen der erforderlichen Sorgfalt aus besonderem Leichtsinn oder besonderer Gleichgültigkeit) unterlassen, droht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe.

Müssen alle Straftaten angezeigt werden?

Das Gesetz verpflichtet den Bürger nicht dazu, jede mögliche Straftat anzuzeigen. Erfahren Sie beispielsweise vom geplanten einfachen Ladendiebstahl oder dem Denkzettel-Verpassen durch Zerkratzen des Autolacks gehören diese Straftaten nicht zu den Straftaten, die eine „Anzeigepflicht“ auslösen.


Nur (!) bei den folgenden schweren Straftaten besteht eine Anzeigepflicht:

  • Hochverrat,
  • Landesverrat, Gefährdung der äußeren Sicherheit,
  • Geld- oder Wertpapierfälschung, Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion,
  • Mord, Totschlag, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Verbrechen der Aggression,
  • Menschenhandel, Zwangsprostitution, Zwangsarbeit, Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung, Menschenraub, Verschleppung, Erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme,
  • Raub, Räuberische Erpressung,
  • Brandstiftung, Herbeiführung einer Explosion durch Kernenergie, Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, Missbrauch ionisierender Strahlen, Vorbereitung eines Explosions- oder Sprengstoffverbrechens, Herbeiführen einer Überschwemmung, Gemeingefährliche Vergiftung, Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr, Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr,
  • Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und
  • Bildung von terroristischen Vereinigungen


Teilweise sind auch nur einzelne Variationen der Straftaten anzeigepflichtig. Ob dies konkret der Fall ist, bedarf immer einer Einzelfallprüfung. Wenden Sie sich daher bestenfalls an einen spezialisierten Anwalt für Strafrecht. Dieser kann eine genaue Prüfung des konkreten Falles für Sie vornehmen, Sie umfassend beraten und für den Fall der Fälle eine geeignete Verteidungsstrategie für Sie erarbeiten.


Auf den Zeitpunkt kommt es an: Strafbarkeit bei Nichtanzeige geplanter Straftaten

Das Strafgesetzbuch legt jedermann in seinem § 138 StGB die Pflicht auf, sich um die Verhinderung bestimmter Straftaten zu bemühen, wenn er vor deren Ausführung davon weiß. Daraus folgt: Wer erst nach der Ausführung einer Tat davon Kenntnis erlangt hat, ist grundsätzlich nicht zu einer Anzeige verpflichtet. Vertraut sich Ihnen also ein Familienmitglied, guter Freund oder sogar ein gänzlich Fremder an und berichtet von einer bereits beendeten (mitunter schweren) Straftat, haben Sie in der Regel nicht die Pflicht, ihn anzuzeigen.

Wann und wo muss ich eine geplante Straftat anzeigen?

Damit eine Anzeigepflicht entsteht, müssen Sie zunächst vom Bevorstehen einer der oben genannten Taten erfahren haben. Dies muss glaubhaft geschehen sein; der reinen „Gerüchteküche“ müssen Sie demnach keinen Glauben schenken.


Die Tat muss außerdem vom Täter konkret geplant sein; mit der Vorbereitung muss jedoch noch nicht begonnen worden sein. Es reicht daher zum Beispiel aus, zu erfahren, dass der Täter seinen ungeliebten Feind nach dem kommenden Tennisspiel ernsthaft umbringen möchte, das Beschaffen der Tatwaffe muss noch nicht geschehen sein.


Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, muss die Anzeige rechtzeitig erfolgen. Das bedeutet: rechtzeitig, um die Abwendung des Schadens noch zu ermöglichen. Eine Ausnahme besteht bei Taten im Zusammenhang mit Terrorismus, hier muss die Anzeige unverzüglich – also ohne schuldhaftes Zögern – gegenüber einer Behörde erfolgen. In der Regel müssen daher – soweit bekannt – Angaben zur Art der Tat sowie zum Tatzeitpunkt und -ort überbracht werden. Ist es für die Schadensabwendung nicht relevant, wer der Täter ist, muss dies auch nicht mitgeteilt werden.


Die Anzeige kann gegenüber der Behörde (vor allem Polizei, auch Staatsanwaltschaften und Gerichte) oder dem Bedrohten selbst (potentielles Opfer der Tat) erfolgen. Auch hierbei ist die Möglichkeit der Schadensabwendung zentral: Ist der Bedrohte bereist in akuter Gefahr und kann sich möglicherweise nicht mehr selbst behelfen, ist in der Regel eine (zusätzliche) Anzeige bei einer Behörde erforderlich. Auch eine andere Behörde kann zur Anzeige geeignet sein, wenn sie zur Schadensabwehr in Betracht kommt – bei einer Brandstiftung also zum Beispiel die Feuerwehr. Praktisch gilt: Mit einer Anzeige an die Polizei machen Sie in der Regel nichts falsch.


Eine Anzeige ist im Übrigen nicht nötig, wenn sie sinnlos ist: Ist es nicht mehr möglich, durch Anzeige bei der Behörde oder dem Bedrohten die Straftat zu verhindern, braucht man nichts zu tun. Zugespitzt: Wer erfährt, dass der Geiselnehmer gerade die Bankfiliale betreten hat, in der er in zehn Sekunden mit der Tatausführung beginnen wird, braucht demnach wohl nicht mehr zum Telefon zu greifen. Auch ist eine Anzeige nicht vonnöten, wenn die Anzeige zur Abwendung der Tat nicht mehr erforderlich ist (die Strafverfolgungsbehörden also zB schon Kenntnis von der Tat haben).


Übrigens: Grundsätzlich ist auch eine Anzeige der Tat über einen zuverlässigen Dritten oder anonym möglich. Wer also zB Vertrauensschäden zum entschlossenen Täter befürchtet, aber trotzdem die Tat verhindern und sich gesetzeskonform verhalten will, kann sich ggf. mit einer anonymen Anzeige behelfen.


Angehörige, Patienten und nicht stattgefundene Taten – Anwalt informiert über Ausnahmen von der Anzeigepflicht

Das Anzeigen einer Straftat geht nicht immer leicht von der Hand. Ob der Betroffene ein Angehöriger oder Patient ist oder die Tat letztendlich gar nicht stattfindet, findet deshalb im Gesetz Berücksichtigung.

Angehörige

Zwischen Angehörigen besteht oft ein besonderes Vertrauensverhältnis. Betroffene stecken in einer moralischen Zwickmühle zwischen Loyalität zu den Angehörigen und ihrem eigenen Gesetzesgehorsam. Dies hat auch der Gesetzgeber erkannt und deshalb im § 139 StGB eine besondere Regelung getroffen:

Auch Angehörige sind zur Anzeige geplanter Straftaten verpflichtet, soweit sie in der o.g. Auflistung enthalten sind. Indes sind sie straffrei, wenn

  • sie die Anzeige gegen einen Angehörigen (Verwandte und Verschwägerte gerader Linie, Ehegatte, Lebenspartner, Verlobter, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner der Geschwister, Geschwister der Ehegatten oder Lebenspartner, Pflegeeltern und -kinder; nicht: enge Freunde oder nicht eingetragene Lebenspartner) stellen müssten und
  • sie sich ernsthaft bemüht haben, den Täter von der Tat abzuhalten oder den Taterfolg zu verhindern.


Dies gilt jedoch nicht bei: Mord und Totschlag, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, erpresserischem Menschenraub, Geiselnahme oder Angriff auf den Luft- und Seeverkehr durch eine terroristische Vereinigung.

Arzt, Psychotherapeut und Anwalt

Auch zwischen Arzt, Psychotherapeut, Rechtsanwalt und dem jeweiligen Patienten bzw. Mandanten besteht ein entsprechendes Vertrauensverhältnis. Daher sind diese Personengruppen, soweit sie von der Straftat in ihrer entsprechenden beruflichen Eigenschaft erfahren haben, unter denselben Umständen wie Angehörige straflos.

Geistliche

Geistliche sind im Rahmen ihrer seelsorgerischen Tätigkeit nicht verpflichtet, ihnen mitgeteilte geplante Straftaten anzuzeigen und werden dementsprechend nicht bestraft. Geistlicher ist, wer von staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften zum Träger eines geistlichen Amtes bestimmt ist. Die Verpflichtung besteht nur dann nicht, wenn dem Geistlichen von der Tat in seiner Eigenschaft als Seelsorger in Erwartung der Geheimhaltung mitgeteilt worden ist.

Wenn die Tat nicht stattfindet

Von Strafe kann (nicht „muss“) das Gericht absehen, wenn die anzeigepflichtige Tat nicht versucht wird (der Täter sich also zB dazu entscheidet, den Totschlag doch nicht zu begehen).


Straffrei ist gem. § 139 Abs.4 StGB außerdem, wer die Ausführung oder den Erfolg der Tat anders als durch Anzeige abwendet. Unterbleibt die Tat ohne Zutun des Anzeigepflichtigen, genügt sein ernsthaftes Bemühen. Diese Regelung trägt dem Zweck der Strafbarkeit der Nichtanzeige geplanter Strafbarkeiten Rechnung: Wer die Straftat verhindert, stellt sicher, dass es zu gar keinem Schaden kommt. Konsequenterweise gilt dieser Strafaufhebungsgrund deshalb auch nicht nur für Angehörige oder bestimmte Berufsgruppen, sondern für jedermann.

Die konkrete Sachlage ist dabei nicht immer eindeutig. Was zum Beispiel ein „ernsthaftes Bemühen“, einen Angehörigen von der Begehung der Tat abzuhalten ist, bedarf immer einer Einzelfallbetrachtung. Deshalb ist eine anwaltliche Beratung unabdingbar, wenn Sie sich dem Vorwurf der Nichtanzeige geplanter Straftaten gegenübersehen.



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