Arbeitszeitbetrug – Abmahnung: Abmahnungserfordernis bei Arbeitszeitbetrug grundsätzlich erforderlich

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„Auch beim „Arbeitszeitbetrug“ einer langjährig Beschäftigten bedarf es grundsätzlich zunächst einer Abmahnung.  Die Einladung zur Anhörung vor Ausspruch einer Verdachtskündigung muss den Gegenstand des Gesprächs beinhalten und den Mitarbeiter in die Lage versetzen, eine Vertrauensperson hinzuzuziehen.“ So das LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30. 3. 2012 − 10 Sa 2272/11 (Vorinstanz: ArbG Berlin, Urt. v. 27. 10. 2011 – 38 Ca 10928/11); Quelle: Beck-online.de

Was ist passiert?

LAG Berlin-Brandenburg: „Am Dienstag, dem 31. 5. 2011, trug die Kl. als Arbeitsende 16:00 Uhr ein. Tatsächlich beendete sie ihre Arbeitszeit bereits um 15:30 Uhr. Am Mittwoch, dem 1. 6. 2011, trug die Kl. als Arbeitsende 16:30 Uhr ein. Tatsächlich beendete sie ihre Arbeitszeit bereits um 15:30 Uhr. Nachdem die Kl. am Donnerstag und Freitag nicht im Dienst war, überprüften Mitarbeiter der Bekl. daraufhin ab Montag, den 6. 6. 2011, die Arbeitszeit der Kl. Da die Bekl. davon ausging, dass sie weitere Abweichungen zwischen den eingetragenen und den tatsächlichen Arbeitszeiten festgestellt habe, fand am 14. 6. 2011 von 10:40 Uhr bis 11:08 Uhr ein Personalgespräch statt, zu dem die Arbeitgeberin ein Protokoll fertigte. An diesem Gespräch nahmen auf Seiten der Bekl. zwei Vorstandsmitglieder, ein Abteilungsleiter und eine Personalsachbearbeiterin teil. Der Themenkomplex des Gesprächs wurde der Kl. zuvor nicht mitgeteilt. Ob der Kl. eine Gelegenheit eingeräumt wurde, eine Vertrauensperson (Betriebsrat) hinzuzuziehen, ist streitig. Jedenfalls ist ein solcher Hinweis in dem Gesprächsprotokoll nicht enthalten. In diesem Gespräch wurde der Kl. vom Vorstandsmitglied O mitgeteilt, dass auf Grund des Anfangsverdachts wegen der Abweichungen von 30 Minuten bzw. einer Stunde am 31. 5. 2011 und 1. 6. 2011 eine tägliche Prüfung erfolgt sei und es tägliche Abweichungen gegeben habe. Dazu wurden der Kl. einzelne Tage und Arbeitszeiten aufgezählt. Die Kl. bestreitet das Fehlverhalten mit Ausnahme der Abweichungen am 31. 5. und 1. 6. 2011. Im Übrigen sei eine Manipulation der erfassten Zeiten durch andere nicht auszuschließen.“ Quelle: Beck-online.de

Fristlose Kündigung ist als unbegründet zurückzuweisen

LAG Berlin-Brandenburg: „Im Ergebnis ist jedoch keine andere Beurteilung als in erster Instanz gerechtfertigt. Die Berufung ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Dieses gilt für die außerordentliche und die ordentliche Kündigung und zwar sowohl soweit es sich um eine Verdachtskündigung handelt als auch soweit es sich um eine Tatkündigung handelt. Die Angriffe der Berufung sind nicht geeignet, die Rechtslage anders zu beurteilen und geben nur Anlass zu folgenden Anmerkungen:…Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten der Arbeitnehmerin, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ihr künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient zugleich der Objektivierung der negativen Prognose. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung also nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 II BGB i. V. mit § 323 II BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist.“ Quelle: Beck-online.de

„Der vorsätzliche Verstoß einer Arbeitnehmerin gegen ihre Verpflichtung, die abgeleistete Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung i. S. von § 626 I BGB darzustellen.“ – so das LAG Berlin-Brandenburg klarstellend; Quelle: Beck-online.de

LAG Berlin-Brandenburg: „Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare und wie für mit Hilfe des Arbeitsplatzrechners in einer elektronischen Zeiterfassung zu dokumentierende Arbeitszeiten (vgl. BAG, NZA 2011, 1027 = NJW 2011, 2905). Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch (BAG, NZA 2006, 484). Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit der am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmer vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt eine Arbeitnehmerin die dafür zur Verfügung gestellten Tabellen wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Die Arbeitnehmerin verletzt damit in erheblicher Weise ihre ihr gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 II BGB).“ Quelle: Beck-online.de

Es gibt keine „absoluten“ Kündigungsgründe

LAG Berlin-Brandenburg: „Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten…Die Kl. stand zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits mehr als 19 Jahre in einem bis dahin beanstandungsfreien Arbeitsverhältnis mit der Bekl. Angesichts der für alle Mitarbeiter und Vorgesetzten einsehbaren Zeiterfassungstabelle sowie der überschaubaren Organisationseinheit in der Verwaltung der Bekl. handelte es sich nicht um ein heimliches Verfahren, sondern um ein – wie das Verhalten der Bekl. nach dem 1. 6. 2011 belegt – jederzeit kontrollierbares Verhalten. Dass die Kl. durch die fehlerhaft dokumentierten Arbeitszeiten ihre Arbeit nicht geschafft hätte bzw. Arbeit liegen geblieben wäre, hat die Bekl. nicht vorgetragen und war auch ansonsten nicht ersichtlich. Dem entspricht auch der Hinweis der Bekl. in der Berufungsverhandlung, dass sie kein anderes Zeiterfassungssystem einführen wolle, weil sie grundsätzlich ihren Arbeitnehmerinnen vertraue, dass sie die ihnen übertragenen Aufgaben in der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit erledigen, ohne dass es besonderer Kontrollmechanismen bedürfe…Das in mehr als 19 Jahren Beschäftigungszeit von der Kl. erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Bekl. schlägt hoch zu Buche und ist höher zu bewerten als der Wunsch der Bekl., nur eine solche Arbeitnehmerin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Bekl. die Weiterbeschäftigung der Kl. trotz ihrer Pflichtenverstöße mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Kl. nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.“ Quelle: Beck-online.de

Rechtsanwalt Helmut Naujoks ist seit 25 Jahren ausschließlich als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht tätig. Haben Sie Fragen in Bezug auf die Kündigung von Mitarbeitern/innen? Rufen Sie noch heute Rechtsanwalt Helmut Naujoks an, Spezialist als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht. In einer kostenlosen und unverbindlichen telefonischen Ersteinschätzung beantwortet Rechtsanwalt Helmut Naujoks Ihre Fragen zum Kündigungsschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie zu den Rechten und Pflichten des Betriebsrats gemäß Betriebsverfassungsgesetz.



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