Arbeitszeitbetrug: Kündigung wegen überlanger Raucherpausen

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Selbst dann, wenn der Arbeitnehmer regelmäßig seine Raucherpausen im Arbeitszeiterfassungssystem nicht anzeigt, kann die fristlose Kündigung zurückgewiesen werden, wenn die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers ausfällt. Laut LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.01.2010 - 10 Sa 562/09, ist das bei einem Arbeitnehmer der Fall, der über eine 38-jährige Betriebszugehörigkeitszeit verfügt.

Arbeitsrecht für Arbeitgeber heißt: Stets die Frage der Interessenabwägung berücksichtigen

LAG Rheinland-Pfalz: „Der Kläger ist starker Raucher. Er raucht nach eigenen Angaben täglich ca. 50 Zigaretten…Der Kläger arbeitet in Gleitzeit nach der Betriebsvereinbarung „Flexible Jahresarbeitszeit“ (BV 47) auf Basis der tariflichen Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden…Bei Überschreitung dieser Pausenzeiten oder bei Arbeitsunterbrechung aus sonstigen Gründen ist zu Beginn und Ende der Pause das Zeiterfassungsgerät zu bedienen…Auf dem Werksgelände der Beklagten gibt es ausgewiesene Raucherräume und Raucherbereiche. Das Rauchen ist nur dort erlaubt. Der Kläger sucht regelmäßig den in seinem Arbeitsbereich ausgewiesenen Raucherraum auf, ohne das Zeiterfassungsgerät zu bedienen. Mit Schreiben vom 06.03.2008 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, weil er am 19.10.2007 (Anwesenheitszeit von 06:37 bis 14:28 Uhr, unbezahlte Pausenzeit 49 Minuten) insgesamt 3 Stunden und 46 Minuten Pause gemacht haben soll… Mit Schreiben vom 07.03.2008 erteilte ihm die Beklagte eine zweite Abmahnung, weil er am 28.01.2008 (Anwesenheitszeit von 06:37 bis 16:27 Uhr, unbezahlte Pausenzeit 60 Minuten) insgesamt 2 Stunden und 55 Minuten Pause gemacht haben soll.“ Quelle: Beck-online.de

Vorwurf des Arbeitgebers: Arbeitnehmer hat sich Zeitguthaben erschlichen

LAG Rheinland-Pfalz: „Beide Abmahnungen wurden dem Kläger am 01.04.2008 übergeben. Sie haben unter anderem folgenden Wortlaut: „Sie haben sich durch Ihre unredliche Vorgehensweise Zeitguthaben erschlichen, auch indem Sie nicht unmittelbar nach dem Rauchen einer Zigarette Ihre Arbeit aufgenommen haben. (Des Weiteren haben Sie Ihren Arbeitstag mit jeweils einer Pause begonnen und beendet [nur Abmahnung vom 06.03.2008].) Wir fordern Sie auf, künftig Punkt 5 der Betriebsvereinbarung 47 „Flexible Jahresarbeitszeit“ einzuhalten. Wir weisen Sie darauf hin, dass künftige Vorkommnisse ähnlicher Art zur Kündigung des mit Ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses führen werden.“ Quelle: Beck-online.de

Arbeitgeber kündigt fristlos, weil Arbeitnehmer erneut seine Raucherpausen nicht im Zeiterfassungssystem angezeigt hat

LAG Rheinland-Pfalz: „Die außerordentliche Kündigung der Beklagten ist unwirksam…Zwar liegt ein Grund vor, der überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Dieser Grund führt jedoch im Rahmen der Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Verhältnismäßigkeitsprinzips, nicht zum Überwiegen der berechtigten Interessen der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.“ Quelle: Beck-online.de

Wie prüft das Gericht, ob eine fristlose Kündigung wirksam ist oder nicht?

LAG Rheinland-Pfalz: „Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB von einer zweistufigen Prüfung des wichtigen Grundes auszugehen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht.“ Quelle: Beck-online.de

Prüfungsschritt Nr. 1: Liegt eine erhebliche arbeitsvertragliche Pflichtverletzung vor?

LAG Rheinland-Pfalz: „Der Kläger hat erhebliche arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen begangen, weil er seine unbezahlten Pausenzeiten, die sich aus Nr. 5 Abs. 1 der BV 47 ergeben, in gravierendem Umfang überzogen hat. Er hat zusätzlich zu den unbezahlten Pausen weitere Pausen eingelegt, für die er das volle Arbeitsentgelt erhalten hat. Pausen gehören nicht zur bezahlten Arbeitszeit. Der Kläger hat damit die Beklagte veranlasst, ihm Arbeitsentgelt für Zeiten zu zahlen, ohne die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Den wiederholten Entzug der Arbeitsleistung ohne sachlichen Grund hat der Arbeitgeber auch dann nicht hinzunehmen, wenn er nicht vorsätzlich erfolgt sein sollte. Zumindest die Erbringung der Arbeitsleistung in der geschuldeten Zeit ist die Hauptpflicht, die der Arbeitnehmer schuldet. Verstöße in diesem Bereich berühren den Kernbereich des gegenseitigen Austauschverhältnisses. Der Arbeitgeber kann von dem Arbeitnehmer, der keinen bestimmten Erfolg seiner Arbeitsleistung schuldet, wenigstens verlangen, dass er die vereinbarte Arbeitszeit tatsächlich erbringt. Nur für diesen Fall schuldet er auch das vollständige Entgelt.“ Quelle: Beck-online.de

Zwischenergebnis: Erhebliche Pflichtverletzung liegt grundsätzlich vor

LAG Rheinland-Pfalz: „Unterbricht der Arbeitnehmer während er bezahlten Arbeitszeit seine Arbeit und bleibt untätig, weil er sich privaten Dingen widmet (z. B. eine Zigarettenpause einlegt, private (Telefon-) Gespräche führt, Karten spielt, privat im Internet surft, Zeitung liest, etc.) verletzt er seine Hauptleistungspflicht zur Arbeit. In Entscheidungen zur privaten Internetnutzung nimmt das Bundesarbeitsgerichts an, dass eine gravierende zeitliche Vernachlässigung der Arbeitspflicht vorliegt, wenn sich der Arbeitnehmer z. B. über einen längeren Zeitraum ca. 10% der Arbeitszeit oder innerhalb eines Zweiwochenzeitraums an zwei Arbeitstagen jeweils ca. 1 ½ Stunden während der bezahlten Arbeitszeit privaten Dingen widmet. Aus dem Umstand, dass die Beklagte in beschränktem Maße kurze Raucherpausen (1 bis 2 Zigaretten täglich) während der bezahlten Arbeitszeit duldet, konnte der Kläger nicht herleiten, ihm sei gestattet, seine Pausenzeiten nach Belieben in erheblichem zeitlichem Umfang auszunutzen. Der Kläger räumt ein, dass er wegen seiner starken Nikotinsucht täglich ca. 50 Zigaretten raucht und deshalb mehrmals täglich für vier bis zehn Minuten den Raucherraum aufsucht. Legt man diese Angaben zugrunde, dann raucht der Kläger (bei einer täglichen Schlafdauer von acht Stunden) in acht Stunden ca. 20 Zigaretten. Selbst wenn man zu seinen Gunsten unterstellt, dass er zum Rauchen einer Zigarette nur fünf Minuten benötigt (wobei er noch den Arbeitskittel ablegen und den ausgewiesenen Raucherraum aufsuchen muss), so summieren sich die zusätzlichen Zigarettenpausen auf arbeitstäglich ca. 100 Minuten. Der Kläger kann nicht ernsthaft damit rechnen, dass die Beklagte solche exzessiven Raucherpausen innerhalb der bezahlten Arbeitszeit duldet bzw. gestattet.“ Quelle: Beck-online.de

Prüfungsschritt Nr. 2: Fällt die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers aus?

LAG Rheinland-Pfalz: „Die Verfehlungen des Klägers führen im Rahmen der Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht zum Überwiegen der Interessen der Beklagten an der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Bei der Interessenabwägung sind einerseits die Schwere der Verfehlung, deren Folgen für den Arbeitgeber, die Betriebsordnung und den Betriebsfrieden, ein eventuell eingetretener Vertrauensverlust sowie die Größe des Verschuldens und der Grad der bestehenden Wiederholungsgefahr zu berücksichtigen. Andererseits sind die Dauer des Arbeitsverhältnisses, etwaige Verdienste um den Betrieb, die diskriminierende Wirkung der fristlosen Kündigung, das Lebensalter und die Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung zu berücksichtigen. Die Pflichtverletzungen des Klägers sind zwar gravierend. Jedoch fällt zu seinen Gunsten die immens lange Betriebszugehörigkeit deutlich ins Gewicht. Das im Juli 1970 begründete Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien hat im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung im Januar 2009 bereits über 38 Jahre bestanden. Der Kläger ist seit seinem 15. Lebensjahr bei der Beklagten beschäftigt und hat sein ganzes Arbeitsleben in ihrem Werk verbracht. Zugunsten des am ... 1955 geborenen Klägers ist außerdem sein Lebensalter zu berücksichtigen. Er war bei Zugang der Kündigung 54 Jahren alt und damit in einem Alter, in dem es für ihn praktisch aussichtslos ist, einen auch nur annähernd vergleichbaren Arbeitsplatz wie bei der Beklagten zu finden. Die Folgen der Arbeitslosigkeit träfen den Kläger hart.“ Quelle: Beck-online.de

Rechtsanwalt Helmut Naujoks ist seit 25 Jahren ausschließlich als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht tätig. Haben Sie Fragen in Bezug auf die Kündigung von Mitarbeitern/innen? Rufen Sie noch heute Rechtsanwalt Helmut Naujoks an, Spezialist als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht. In einer kostenlosen und unverbindlichen telefonischen Ersteinschätzung beantwortet Rechtsanwalt Helmut Naujoks Ihre Fragen zum Kündigungsschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie zu den Rechten und Pflichten des Betriebsrats gemäß Betriebsverfassungsgesetz.



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