BAG: automatische Verjährung von Urlaubsansprüchen?

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Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt (BAG) hat mit seinem Urteil vom 20.12.2022 im Ergebnis einer zuvor beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingeholten Vorabentscheidung vom 22.9.2022 (EuGH, Az. - C-120/21 -) festgestellt, dass Urlaubsansprüche von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland grds. nicht automatisch verjähren (vgl. BAG-Pressemitteilung 48/22 - Verjährung von Urlaubsansprüchen v.  20.2.2022 zu BAG, U. v. 20.12.2022, Az.: 9 AZR 266/20; )

Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub unterliege zwar durchaus der gesetzlichen Verjährung (a. a. O.). Allerdings beginne die reguläre dreijährige Verjährungsfrist erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen habe (a. a. O.).

Sachverhalt und Urteil des BAG

Der Beklagte hatte die Klägerin vom 1.11.1996 bis zum 31.07.2017 als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin beschäftigt (a. a. O.). Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte der Beklagte an die Klägerin zur Abgeltung von 14 Urlaubstagen 3.201,38 Euro brutto und kam der weitergehenden Forderung der Klägerin, Urlaub im Umfang von 101 Arbeitstagen aus den Vorjahren abzugelten, nicht nach (a. a. O.).

Während das Arbeitsgericht die im Februar 2018 eingereichte Klage insoweit abgewiesen hatte, sprach das Landesarbeitsgericht der Klägerin 17.376,64 Euro brutto zur Abgeltung weiterer 76 Arbeitstage zu (a. a. O.). Dabei hielt schon das Landesarbeitsgericht den Verjährungseinwand des Beklagten für nicht durchgreifend (a. a. O.).

Auch die Revision des Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg (a. a. O.). Zwar fänden nach Auffassung des BAG die Vorschriften über die Verjährung (hier § 214 Abs. 1, § 194 Abs. 1 BGB) auch auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung (a. a. O.). Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginne aber bei richtlinienkonformer Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen habe (a. a. O.).

Damit  setzte der 9. Senat an BAG die Vorgaben des EuGH aufgrund der Vorabentscheidung vom 22.09.2022 (- C-120/21 -) um, wonach der Zweck der Verjährungsvorschriften (die Gewährleistung von Rechtssicherheit) in der vorliegenden Fallkonstellation hinter dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zurücktrete, die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme zu schützen (a. a. O.). Die Gewährleistung der Rechtssicherheit dürfe nicht als Vorwand dafür dienen, zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis berufe, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben (a. a. O.). Der Arbeitgeber könne die Rechtssicherheit gewährleisten, indem er seine Obliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachhole (a. a. O.).

Der dortige Beklagte hatte die Klägerin nicht durch Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen (a. a. O.). Die Ansprüche verfielen deshalb weder am Ende des Kalenderjahres (vgl. § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (vgl. § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG) noch könne der Beklagte mit Erfolg einwenden, der nicht gewährte Urlaub sei bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren verjährt (a. a. O.). Den Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs habe die Klägerin daher innerhalb der Verjährungsfrist von drei Jahren erhoben (a. a. O.).

Rechtliche Bewertung

Die Auswirkungen der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts dürften einzelfallabhängig u. U. durchaus erheblich sein. Insofern wird insbesondere abzuwarten bleiben, ob nun an den Arbeitsgerichten zahlreiche Klagen zu rückständigen Urlaubs-/abgeltungsansprüchen aus der Vergangenheit (auch aus ggf. bereits  längere Zeit beendeten Arbeitsverhältnissen) eingehen. Im Rahmen solcher Verfahren stellen sich dann allerdings neben der Verjährung regelmäßig weitere Fragen (insbesondere zu u. U. spezielleren Verfallfristen und ggf. auch zu etwaiger Verwirkung von Ansprüchen). Insgesamt ist betroffenen Arbeitnehmern somit auch weiterhin zu raten, etwaige Ansprüche zeitnah schriftlich geltend zu machen und ggf. auch gerichtlich einzufordern.

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