OVG Magdeburg: Müssen Lehrkräfte mehr arbeiten?

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Das OVG Magdeburg hatte sich kürzlich mit dieser Frage in zwei Normenkontrollverfahren im Rahmen seiner Urteile vom 7.3.2024 zu beschäftigen (OVG Magdeburg, Urteile vom 7.3.2024 – 1 K 66/23, 1 K 67/23). Hiernach müssen Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt sich damit anfreunden, dass sie in den nächsten Jahren eine zusätzliche Pflichtstunde pro Woche unterrichten müssen, weil die betr. Regelung in der Arbeitszeitverordnung zur sogenannten „Vorgriffsstunde“ rechtens wäre (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, PM 3/2024 vom 07.03.2024; s.a. FD-ArbR 2024, 806745, beck-online).


Sachverhalt

Die sog. Vorgriffsstunde wurde in Sachsen-Anhalt gemeinsam mit Langzeitarbeitszeitkonten für Lehrkräfte i. R. d. „Verordnung zur Einführung eines Langzeitarbeitszeitkontos für Lehrkräfte und zur Änderung arbeitszeitrechtlicher Vorschriften im Schuldienst“ vom 14.3.2023 (GVBl. LSA S. 56) ab April 2023 eingeführt. Lehrerinnen und Lehrer müssen nach  § 4b der Verordnung über die Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen (ArbZVO-Lehr LSA) bis 31.7.2028 jede Woche eine Unterrichtsstunde zusätzlich unterrichten, wobei die Stunden auf einem Lebensarbeitszeitkonto gutgeschrieben werden (a.a.O.). Die Lebensarbeitszeit soll sich hiernach nicht verlängern (a.a.O.). Betroffen sind davon direkt nur Lehrkräfte an öffentlichen Schulen in Sachsen-Anhalt (a.a.O.). Eine im Beamtenverhältnis stehende Lehrerin und ein angestellter Lehrer riefen einer Normenkontrolle das OVG an, welches die Normenkontrollanträge nun abwies (a.a.O.).


Entscheidung und Begründung des OVG

Zunächst hat das OVG einen Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt verneint (a.a.O.). Das Land Sachsen-Anhalt habe bereits die Pflicht- und Regelstundenzahl für seine Lehrkräfte auf gesetzlicher Grundlage durch Rechtsverordnung festsetzen dürfen, weshalb es auch die daran anknüpfende Regelung über die Vorgriffsstunden im Verordnungsweg habe treffen dürfen (a.a.O.).

Die Regelung verstoße entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht gegen die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (a.a.O.). Es gebe keine Grundsätze, dass der Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit nicht über 40 Stunden hinausgehen dürfe, dass die Lebensarbeitszeit eines Beamten nicht phasenweise unterschiedlich bestimmt werden dürfe oder dass Erhöhungen oder Ermäßigungen der Arbeitszeit vollbeschäftigter Beamter auf teilzeitbeschäftigte Beamte nur proportional übertragen werden dürften (a.a.O.).

Auch weitere Einwände der beiden Lehrkräfte wies das OVG als unbegründet zurück (a.a.O.). Im Hinblick auf die Einbeziehung und Behandlung teilzeitbeschäftigter Lehrkräfte verletze die Regelung zu den Vorgriffsstunden nicht den Gleichheitssatz (a.a.O.). Auch sonstige Gleichbehandlungsverstöße seien aus Sicht des OVG nicht ersichtlich (a.a.O.). Ebenso sei hiernach nicht zu beanstanden, dass nur tatsächlich erteilte Vorgriffsstunden dem Ausgleichskonto gutgeschrieben oder ausgezahlt würden (a.a.O.). Das bedeute schließlich nur, dass nur diejenige Lehrkraft in den Genuss des zeitlichen oder finanziellen Ausgleichs gelange, die zuvor entsprechende Vorleistungen tatsächlich erbracht hätte (a.a.O.).


Rechtliche Bewertung

Der Hintergrund des vorliegenden Rechtsstreits ist klar. Infolge des überall zuletzt stetig zunehmenden Lehrermangels, überfüllter Klassenräume und leider allzu oft unzähliger Ausfallstunden sind die Länder gezwungen, dem effektiv entgegenzuwirken, um den bestehenden Unterrichtsverpflichtungen und dem staatlichen Bildungsauftrag weiter nachzukommen. Dies betrifft auch eine möglichst effektive/adäquate Personalverwaltung und -bewirtschaftung der an den Schulen vorhandenen Lehrkräfte.

Zustimmung verdient der Verweis des OVG darauf, dass insbesondere die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums keine Verpflichtung kennen, dass der Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit nicht auch über 40 Stunden hinausgehen dürfe. Dabei steht es dem Gesetzgeber i.Ü. grds. offen, die Lebensarbeitszeit insgesamt (etwa für Beamte z. B. auch über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus) z.B. auch zu verlängern.

Allerdings stellt sich mit Blick auf die im Schulwesen generell (d. h., auch außerhalb Sachsen-Anhalts) häufig nur „fiktive“ Festsetzung von Unterrichts-/Lehrverpflichtungsstunden/-kontingenten wegen der aus Art 3, 5 und 6 EGRL 88/2003 - Art 31 Abs 2 EUGrdRCh - EWGRL 391/89 zwingend folgenden Pflicht des Arbeitgebers/Dienstherrn zur Erfassung der effektiven/objektiven Arbeitszeit (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Mai 2019 – C-55/18 –, juris; zur Geltung dieser Pflicht i. S. d. ArbSchG zuletzt auch BAG, Beschluss vom 13. September 2022 – 1 ABR 22/21 –, juris) durchaus die Frage, ob die vorliegende Art der Kontingentberechnung i. S. d. ArbZVO-Lehr LSA insgesamt (vor dem Hintergrund der einzuhaltenden wöchentlichen Höchstarbeitszeit) u.a. auch den o.g. gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben genügt/genügen kann. Schließlich werden die mit den Unterrichtsstunden (einschließlich der nun normierten Vorgriffsstunden) tatsächlich einhergehenden effektiven Arbeitszeiten (z. B. Zeiten für Vor- und Nachbereitung sowie diverse mit dem Unterricht an den Schulen zusammenhängende Aufgaben der Lehrkräfte) i. d. R. zeitlich nicht exakt erfasst.

Dies ist zum einen aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen und zum anderen aber auch i. R. d. (u. a. auch haushaltsverfassungsrechtliche Pflicht zur) effektiven Stellenbewirtschaftung mehr als nur „bedauerlich“.

Es wird jedenfalls auch i. Erg. der hier besprochenen Entscheidungen des OVG Magdeburg  abzuwarten bleiben, wie sich die Situation an den Schulen und konkret die Arbeitszeit der Lehrkräfte zukünftig weiter entwickelt. In Zeiten des überall beklagten Lehrermangels dürften Bestrebungen wie die des Landes Sachsen-Anhalt auch in anderen Bundesländern sicherlich nun umso mehr ernsthaft erwogen werden. Es wird aber abzuwarten bleiben, ob die hier besprochenen Entscheidungen des OVG Sachsen-Anhalt tatsächlich rechtskräftig werden.

Unabhängig davon werden die betr. Bundesländer (neben der arbeitszeitrechtlichen Problematik) auch zu berücksichtigen haben, dass sie sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt „im Wettbewerb“ um Lehrkräfte auch mit anderen Bundesländern befinden, sodass durchaus nicht sicher ist, dass sich weitere Dienstherren dem „Modell“ des Landes Sachsen-Anhalt schlicht anschließen werden. Zumindest wäre wegen des insbesondere arbeitsschutz-/-zeitrechtlichen Problems trotz des Ausgangs der Normenkontrollverfahren durchaus weiterhin individueller Rechtsschutz zu erwägen.


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