Bei unwiderruflicher Freistellung kann anderweitiger Verdienst angerechnet werden

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Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat im Urteil vom 23. Februar 2021, Az. 5 AZR 314/20 entschieden, dass sich ein Arbeitnehmer den Verdienst, den er während seiner unwiderruflichen Freistellung bei einem anderen Arbeitgeber erzielt, auf Vergütungsansprüche gegenüber dem früheren Arbeitgeber grundsätzlich nur dann anrechnen lassen muss, wenn dies entsprechend im – hier- Aufhebungsvertrag vereinbart wurde. Enthält der Aufhebungsvertrag hierüber (also über die Anrechnung anderweitigen Verdienstes) keine Regelung, so ist er auszulegen.

Aufnahme neuer Tätigkeit ohne von der Sprinterklausel Gebrauch zu machen

In dem vom BAG zu entscheidenden Fall hatten sich die Parteien (also der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer) in einem Aufhebungsvertrag darauf geeinigt, dass das Arbeitsverhältnis in ca. sechs Monaten, d.h. zu 30. April 2019 aufgelöst werden soll. Der Arbeitnehmer war bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses (30. April 2019) unwiderruflich und unter Anrechnung des Resturlaubs und etwaiger Freizeitguthaben von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt. Während der Freistellung sollte er seine bisherige vertraglich vereinbarte Vergütung (ca. 9000 € brutto) vom Arbeitgeber fortgezahlt bekommen. Weiterhin wurde ihm nachgelassen, das Arbeitsverhältnis auch schon vorzeitig vor dem 30. April 2019 mit einer sehr kurzen an Kündigungsfrist zu beenden (sog. Sprinter- oder Exitklausel). Für den Fall der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses sollte der Arbeitnehmer eine Abfindungszahlung in Höhe von ca. 3.000 EUR brutto für jeden Monat der vorzeitigen Beendigung erhalten (vereinfachte Widergabe der Regelungen).

Der Arbeitnehmer hatte tatsächlich bereits im Dezember 2019 einen neuen Job. Die Vergütung im neuen Job war höher als die Vergütung beim bisherigen Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer teilte dem Arbeitgeber brav mit, zu welchen Konditionen und ab wann er einen neuen Job habe. Von der sogenannten Sprinterklausel, d. h. dem Recht auf vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses machte er jedoch keinen Gebrauch. Vielmehr verlangte er vom bisherigen/früheren Arbeitgeber, dass dieser ihm weiterhin, d.h. bis zum 30. April 2019 (Vertragsende) die vertraglich vereinbarten ca. 9000 € brutto pro Monat bezahlt. Er kassierte also „doppelt“, d.h. vom früheren und vom neuen Arbeitgeber. Der frühere Arbeitgeber bezahlte jedoch nichts. Dies mit der Begründung, der Arbeitnehmer müsse sich den Verdienst, den er beim neuen Arbeitgeber erzielt, anrechnen lassen.

Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien /deren Interessenlagen

Der Aufhebungsvertrag enthielt -  und das war entscheidend -  keine Regelung darüber, ob sich der Arbeitnehmer den anderweitigen Verdienst beim bisherigen Arbeitgeber anrechnen lassen muss oder nicht. Das Bundesarbeitsgericht kam zu dem Ergebnis, dass der Aufhebungsvertrag daher auszulegen sei. Eine Vereinbarung, wonach der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vorzeitig beenden darf (sog. Sprinterklausel) könne je nach Ergebnis der Auslegung des Vertrages eine sogenannte konkludente Vereinbarung einer Anrechnung anderweitigen Verdienstes, d. h. des Verdienstes, der beim neuen Arbeitgeber erzielt wird, enthalten. Ob dem tatsächlich so sei, sei-so die Richter wie erwähnt-im Zuge der Auslegung der zwischen dem bisherigen Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer getroffenen Vereinbarung zu ermitteln. Dies insbesondere dann, wenn der Vertrag keine Regelung darüber enthält, was gelten soll, wenn der Arbeitnehmer zwar eine neue Beschäftigung bei einem neuen Arbeitgeber aufnimmt, von der Sprinterklausel jedoch keinen Gebrauch macht. Ein solcher Vertrag enthalte eine planwidrige Regelungslücke, so die Richter. Der wirkliche Wille der Parteien und deren jeweiligen Interessen seien in einem solchen Falle zu ermitteln. Entscheidend dafür, dass der Vertrag eine sog. planwidrige Regelungslücke enthielt und die Richter zu dem Ergebnis kamen, dass eine Anrechnung des anderweitigen Verdienstes erfolgen müsse, war im vorliegenden Fall folgendes:

Für den Fall, dass der Arbeitnehmer bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses (30. April 2019) lediglich unwiderruflich freigestellt bleibt, d.h. keine anderweitige Erwerbstätigkeit aufnimmt, sollte er keine finanzielle Schlechterstellung erleiden. Denn für diesen Fall sollte er vom bisherigen Arbeitgeber weiterhin die vertraglich vereinbarten ca. 9000 € brutto pro Monat ausbezahlt bekommen. Für den Fall, dass der Arbeitnehmer jedoch eine anderweitige Beschäftigung bei einem neuen Arbeitgeber aufnimmt, sollte er vom bisherigen Arbeitgeber eine Abfindungszahlung erhalten, die jedoch deutlich niedriger als seine vertraglich vereinbarte Bruttomonatsvergütung sein sollte, nämlich ca. 3000 € brutto pro Monat. Mit dieser summenmäßigen Differenzierung hätten die Parteien, so die Richter, einerseits der Berufsausübungsfreiheit des Arbeitnehmers Rechnung getragen. Andererseits hatte die Sprinterklausel zur Folge, dass der Arbeitgeber bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses wirtschaftlich bessergestellt wird (weil die sogenannten Lohnnebenkosten entfallen). Und nur hierfür, also für diese Besserstellung des Arbeitgebers, sollte er dem Arbeitnehmer einen finanziellen Ausgleich zahlen. Wenn der Arbeitnehmer jedoch "doppelt kassiert" (d.h. sowohl vom bisherigen Arbeitgeber die Bruttomonatsvergütungen erhält als auch vom neuen Arbeitgeber), stünde er (der Arbeitnehmer) ohne entsprechenden Ausgleich/ ohne entsprechende Anrechnung dieses Verdienstes finanziell besser. Dieses "doppelt kassieren" sei ganz offensichtlich von den Parteien nicht gewollt gewesen; vielmehr sei beabsichtigt gewesen, dass der Arbeitnehmer während der Freistellung keine finanziellen Nachteile erleiden soll, hierdurch aber auch nicht bessergestellt werden soll.

Für die Zeiten, während derer der Arbeitnehmer während seiner Freistellung Urlaub in Anspruch nahm, erfolge jedoch keine Anrechnung des anderweitigen Verdienstes, so die Richter.

Fazit:
 
Auch wenn es die Verhandlungen nicht einfacher machen wird:  Zukünftig ist es ratsam, bei Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen aber auch in gerichtlichen Vergleichen auch darüber zu verhandeln, ob und welche Regelungen im Hinblick auf die Anrechenbarkeit anderweitigen Verdienstes während der unwiderruflichen Freistellung notwendig sind. Dies insbesondere dann, wenn gleichzeitig eine sog. Sprinterklausel vereinbart wird.

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