Berufsunfähigkeitsversicherung: Das Problem der konkreten Verweisung des Versicherten (OLG Hamm)

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Ein Beitrag von: Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte

Das OLG Hamm hat mit Urteil vom 04.07.2016 (Az. 6 U 222/15) zur Thematik der konkreten Verweisung im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung entschieden. Dabei ging es um die konkrete Verweisung eines stellvertretenden Werkstattleiters auf eine Tätigkeit als Ausgangsexpedient.

Der Sachverhalt vor dem OLG Hamm:

Der Kläger war gelernter Energieelektroniker mit Ausbildung in der Fachrichtung Anlagentechnik. Bei der Bundeswehr war er Kommunikationselektroniker. Es folgte eine Fortbildung zum Systemelektroniker, wobei der Kläger bei einem EDV-Servicecenter sich um die Einrichtung von Computern und Wartung von Druckern und Kopierern kümmerte.

Anschließend war der Kläger für ca. sechs Jahre als Wachmann in einem Sicherheitsdienst tätig. Nach dieser Tätigkeit war der Kläger in einem Logistikzentrum als Haustechniker tätig und zum stellvertretenden Werkstattleiter befördert worden. Zu diesem Anforderungsprofil gehörte eine abgeschlossene Ausbildung der Elektrotechnik. Der Kläger war zuständig für allgemeine Wartungen, kleinere Reparaturen und die Kontrolle größerer Reparaturen der Anlagen durch Fremdfirmen, wobei er wesentliche eigenständige Entscheidungsbefugnis innehatte und weisungsbefugt war. Sein Monatsgehalt betrug durchschnittlich 2.083,65 Euro brutto, zuzüglich einer Zulage in Höhe von 200 Euro für den Bereitschaftsdienst. Im Zeitraum von Dezember 2011 bis Dezember 2012 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt wegen Divertikulitis mit notwendiger Durchführung einer Operation. 

Mit Schreiben vom 09.11.2012 machte der Kläger Ansprüche bei der beklagten Berufsunfähigkeitsversicherung geltend. Danach wechselte er innerhalb der Firma den Arbeitsplatz und war mit Wirkung zum 01.01.2013 als Ausgangsexpedient im Bereich Transport/Transportdisposition in demselben Logistikzentrum eingesetzt, nachdem er eine spezielle Schulung absolvierte, die in der Einweisung mit dem Umgang der in der Lagerverwaltung verwendeten Computersysteme bestand. Das Anforderungsprofil für diese Tätigkeit beinhaltete eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung, auf die die Firma aufgrund der Berufserfahrung des Klägers und der durchgeführten Schulung jedoch verzichtete. 

Als Ausgangsexpedient war der Kläger zuständig für die Erstellung und Verwaltung der Liefer- und Palettenscheine sowie der Gefahrgutpapiere, wobei die Prüfung der Einhaltung der entsprechenden Vorschriften durch die Lkw-Fahrer durch den Kläger eigenverantwortlich erfolgte. Auch hatte der Kläger Weisungsbefugnis gegenüber dem Hof- und Verladepersonal. Sein Gehalt betrug ca. 2.100 Euro brutto monatlich ohne Zulagen.

Die Beklagte Versicherung gab bis zum 31.12.2012 ein befristetes Anerkenntnis ab und lehnte eine weitere Leistung über diesen Zeitpunkt hinaus ab und verwies auf die neue Arbeitstätigkeit als Ausgangsexpedient. Der Kläger forderte die Beklagte sodann zur Fortleistung der Berufsunfähigkeitsrente auf.

Das LG Dortmund wies die Klage ab. Die Berufung vor dem OLG Hamm hatte keinen Erfolg.

Die rechtliche Würdigung des OLG Hamm:

Das Berufungsgericht hat in nachvollziehbarer Weise einen weiteren Anspruch aus dem Versicherungsvertrag verneint, denn Voraussetzung für die Gewährung weiterer Leistungen über den 31.12.2012 hinaus ist, dass der Kläger infolge Krankheit nicht nur seinen bisherigen Beruf als stellvertretender Werkstattleiter nicht mehr ausüben kann, sondern dass er außerstande ist, auch „eine andere Tätigkeit auszuüben, die eraufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten ausüben kann und die seiner bisherigen Lebensstellung entspricht“ (§ 2 Abs. 1 BB-BUZ).

Daran fehlt es hier, denn der Kläger ist aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten jedenfalls in der Lage die Tätigkeit als Expedient auszuüben, welche auch seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Übt der Versicherungsnehmer bereits eine Tätigkeit tatsächlich aus, obliegt es ihm darzulegen und zu beweisen, dass die Voraussetzungen für eine Verweisung nicht vorliegen, weil es an der Gleichwertigkeit fehlt. Dabei indiziert die tatsächliche Ausübung eines neuen Berufs grundsätzlich die Wahrung der bisherigen Lebensstellung. Der Versicherungsnehmer ist also in der Beweislast.

Die hier zuletzt ausgeübte Tätigkeit des Klägers als Expedient, auf die er verwiesen werden soll, stellt sich jedoch als prägend dar, da er diese über einen Zeitraum von mindestens zweieinhalb Jahren tatsächlich ausgeübt hat. Auch ist die Verweisung auf eine bestimmte Tätigkeit, die auch ohne Ausbildung ausgeübt werden kann, nicht bereits deswegen ausgeschlossen, weil es sich dabei nicht um einen Ausbildungsberuf handelt, denn es kommt insoweit vielmehr auf für die Verweisungstätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten an sowie darauf, dass die neue Tätigkeit in ihrer Vergütung und ihrer sozialen Wertschätzung nicht deutlich unter das Niveau der zuvor ausgeübten Tätigkeit absinkt. Unter diesen Voraussetzungen kann von einer fehlenden Gleichwertigkeit der vorgenannten Berufe nicht ausgegangen werden. Zu berücksichtigen ist auch, dass es sich bei der Tätigkeit des Klägers als stellvertretender Werkstattleiter und bei der Tätigkeit als Expedient um Ausbildungsberufe handelt, für die der Kläger jeweils eine zweckentsprechende Ausbildung mitgebracht hat. 

Hinzu kommt, dass sich der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Laufbahn durch seine langjährigen Tätigkeiten im EDV-Service-Center und als Wachmann immer weiter inhaltlich von seinem Ausbildungsberuf entfernt hat. Das hat zur Folge, dass seine Lebensstellung im Zeitpunkt des streitgegenständlichen Berufswechsels weniger durch seine ursprünglich absolvierte Ausbildung, sondern vielmehr durch seine im Beruf erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse bestimmt worden ist. Auch ist der Kläger durch seinen Wechsel vom stellvertretenden Werkstattleiter zum Expedienten von seiner Stellung als Arbeiter zum Angestellten aufgestiegen. Damit war ein höheres Maß an sozialer Wertschätzung in der Öffentlichkeit verbunden.

Dass der Wechsel der Arbeitsstelle vom stellvertretenden Werkstattleiter zum Expedienten mit einem spürbaren Verlust an Entscheidungskompetenz verbunden war, die geeignet ist, sich auf die Wertschätzung des Klägers in der Öffentlichkeit auszuwirken, konnte nicht festgestellt werden. Nach Ansicht des Gerichts sind beide Berufe miteinander vergleichbar. Auch die wirtschaftliche Gleichwertigkeit der beiden Berufe als stellvertretender Werkstattleiter und als Expedient ist gegeben.

Zusammenfassung

Fest steht, dass der Kläger sich durch das tatsächliche Ausüben einer anderen Tätigkeit, für welche er auch eine entsprechende Qualifikation besitzt, selbst auf eine Tätigkeit verwiesen hat, die gleichwertig ist. Dieses Ergebnis überrascht nicht, denn es bestätigt die ständige Rechtsprechung zur konkreten Verweisung, welche sich lediglich in Einzelfällen unterscheidet. Bei der Problematik der konkreten Verweisung werden stets im Einzelfall die vorgenannten Voraussetzungen in Verbindung mit der Beweislastumkehr zu prüfen sein, so dass der Versicherungsnehmer gut beraten ist, sich versierten Rechtsbeistand in derartigen Berufsunfähigkeitsangelegenheiten zu suchen.

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz

Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB



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