Corona-Krise: Allgemeinverfügung zur Schließung von Einzelhandelsgeschäften: Eilanträge ohne Erfolg

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von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Christian Thome, Diplom-Verwaltungswirt (FH)

Mehrere Gerichte haben sich zwischenzeitlich im Rahmen von Eilanträgen im vorläufigen Rechtsschutz mit der Schließung von bestimmten Einzelhandelsgeschäften beschäftigt. In beiden Bundesländern blieben die Eilanträge erfolglos. Das bedeutet praktisch, dass die Einzelhandelsgeschäfte geschlossen bleiben müssen.

  • Hamburg

Das OVG Hamburg hat mit Beschluss vom 26.03.2020 – 5 Bs 48/20 die Beschwerde einer Betreiberin mehrerer Einzelgeschäfte für den Handel mit elektronischen Zigaretten und Nachfüllbehältern gegen einen Beschluss des VG Hamburg vom 20.03.2020 – 10 E 1380/20 zurückgewiesen.

  • Bremen

Auch das VG Bremen hat mit Beschluss vom 26.03.2020 – 5 V 553/20 den Eilantrag einer Einzelhandelsgesellschaft gegen das mit Allgemeinverfügung vom 23.03.2020 (Allgemeinverfügung über das Verbot von Veranstaltungen, Zusammenkünften und der Öffnung bestimmter Betriebe zur Eindämmung des Coronavirus) erlassene Verbot der Ladenöffnung abgelehnt. Die Antragstellerin betreibt mehrere Einzelhandelsmärkte mit gemischtem Angebot, das auch aus dauerhaft verfügbaren Artikeln besteht. Es handelt sich teilweise um Lebensmittel und Getränke, überwiegend jedoch um andere Produkte, wie sie zum Teil auch in Baumärkten, Drogerien und Kiosken vertrieben werden.

1. Fall

Die Entscheidungen aus Hamburg liegen bereits im Volltext vor und sollen hier näher untersucht werden.

Nach Erhebung eines Widerspruchs bei der Antragsgegnerin suchte die Antragstellerin mit Antrag vom 20.03.2020 bei dem Verwaltungsgericht Hamburg um vorläufigen Rechtsschutz gegen die Allgemeinverfügung nach, da von dem Schließungsgebot für Verkaufsstellen des Einzelhandels unter Ziffer 1. der Allgemeinverfügung auch ihre Filialen erfasst seien. Zu Unrecht habe die Antragsgegnerin es unterlassen, im Rahmen der unter Ziffer 3. zugelassenen Ausnahmen von der Schließung auch Verkaufsstellen für E-Zigaretten und deren Zubehör aufzunehmen.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag abgelehnt. Während die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage in § 28 Abs. 1 IfSG vorlägen und das Entschließungsermessen der Antragsgegnerin im Sinne eines Tätigwerdens gebunden sei, könne im Rahmen der summarischen Prüfung nicht abschließend beurteilt werden, ob die Antragsgegnerin ihr Auswahlermessen hinsichtlich der zu treffenden Schutzmaßnahmen fehlerfrei ausgeübt habe; dies erscheine nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens offen. Die erforderliche Folgenabwägung ginge aber zu Lasten der Antragstellerin aus.

Der Eilantrag blieb in beiden Instanzen erfolglos.

2. Lösung

a) Das VG Hamburg ging davon aus, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützten Allgemeinverfügung vorliegen. Bei der Krankheit SARS-CoV-2 (sog. Coronavirus) handelt es sich um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG.

Bemerkenswert ist, dass das VG Hamburg (das OVG hat dem nicht widersprochen) davon ausgeht, dass die Bevölkerung insgesamt (!) als ansteckungsverdächtig anzusehen ist (vgl. § 2 Nr. 7 IfSG), was den großen Ernst der Lage verdeutlicht. Weiter ging das VG Hamburg zu Recht davon aus, dass hinsichtlich des „ob“ der Schutzmaßnahmen kein Ermessen bestanden hat.

b) Das VG Hamburg erkannte dann zwar „nicht unerhebliche rechtlichen Bedenken“ hinsichtlich der „stringenten Zielverfolgung“ und der Auswahl der zu schließenden Geschäfte und der diesbezüglichen Ausnahmeregelungen vor dem Hintergrund von Art. 3 GG (Hundesalons sind/waren etwa von dem Verbot nicht erfasst). Gleichwohl wurde zu Recht aus Gründen der Rechtssicherheit und Durchsetzbarkeit eine Typisierung als gerechtfertigt angesehen, zumal die „gleichheitswidrigen Verwerfungen“ – so das VG – nur für einen zeitlich beschränkten Zeitraum herbeigeführt werden.

c) Letztlich entscheidend wurde m. E. im Rahmen der Folgenabwägung völlig zu Recht berücksichtigt, dass dem Schutz der Gesundheit der gesamten Bevölkerung als überragend wichtigem Gemeinschaftsgut (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) der Vorzug vor den wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin (Art. 12 Abs. 1 GG) und möglichen Gleichheitsverstößen (Art. 3 GG) zu geben war. 

d) Das OVG Hamburg hatte im Hinblick auf mögliche Verstöße gegen Art 3 GG M.E. zutreffend noch folgendes ergänzt: Für Rechtsbereiche der Gefahrenabwehr wie das Infektionsschutzrecht ist zu berücksichtigen, dass die Verwaltung ihre Entscheidungen hier oftmals – wie die vorliegende Konstellation zeigt – unter Zeitdruck und Bedingungen einer sich ständig verändernden Lage zu treffen hat. 

3. Eigene Bewertung

  • Durch den Erlass von auf § 28 IfSG gestützten Allgemeinverfügungen kommen die Städte und Gemeinden ihrer grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zur Bekämpfung der Corona-Krise nach.
  • Die temporäre Schließung von bestimmten Einzelhandelsgeschäften durch eine solche Allgemeinverfügung ist grundsätzlich rechtlich zulässig. Grundsätzliche Bedenken haben die Gerichte nämlich – was ohne Weiteres auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren möglich gewesen wäre – nicht vorgebracht.
  • Dem Schutz der Gesundheit der gesamten Bevölkerung als überragend wichtigem Gemeinschaftsgut (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ist der Vorzug vor den wirtschaftlichen Interessen Gewerbetreibender (Art. 12 Abs. 1 GG) und möglichen Gleichheitsverstößen (Art. 3 GG) zu geben.

4. Folgen für die Praxis

  • Entsprechende Eilanträge dürften in der Praxis nach derzeitigem Stand regelmäßig erfolglos bleiben (vgl. etwa bereits VG Bayreuth, ablehnender Beschluss vom 11.03.2020 – B 7 S 20.223: zum Besuch von Schulen, Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflegestellen und Heilpädagogischen Tagesstätten).
  • Zu beachten ist zudem, dass die Sach- und Rechtslage in anderen Bundesländern vielfach bereits durch den Erlass entsprechender Landesverordnungen (vgl. etwa in Baden-Württemberg (Stand 28.03.2020): CoronaVO vom 17. März 2020 in der Fassung vom 22. März 2020) ergänzt bzw. überlagert sein dürfte. 
  • Die verfassungsrechtliche Argumentation zu den staatlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sowie die oben dargelegte praktische Konkordanz der Grundrechtspositionen ist im Übrigen M.E. aber auch auf die entsprechenden Landesverordnungen analog anwendbar. Hier wird ein wichtiger Gesichtspunkt in Zukunft auch die zeitliche Dauer weiterer Verlängerungen vorhandener Schließungen (bis hin zu einem dauerhaften „Shutdown“) sein.
  • Ein in der gesamten Diskussion in diesem Zusammenhang bisher kaum beachteter Gesichtspunkt dürfte aber – auch in Bezug auf die bestehenden Landesverordnungen – die Frage des Vorrangs des Primärrechtschutzes bei zukünftigen Haftungs- und Entschädigungsklagen sein (vgl. § 839 Abs. 3 BGB), was aber im Einzelfall noch näher zu prüfen ist.

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