Die bayerische Verfassungsbeschwerde

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Wenn von einer Verfassungsbeschwerde die Rede ist, ist meist die Verfassungsbeschwerde wegen Grundrechten des Grundgesetzes gemeint, über die das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Weniger bekannt ist aber, dass es (mittlerweile in den meisten Bundesländern) auch Verfassungsbeschwerden auf Landesebene gibt.

In Bayern steht die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde bereits seit 1946 in der Verfassung und wurde im Juli 1947 durch das Gesetz über den Verfassungsgerichtshof (VfGHG, teilweise auch mit VerfGHG oder BayVfGHG abgekürzt) näher ausgeführt. Die Bundesverfassungsbeschwerde wurde später in vielerlei Hinsicht nach dem bayerischen Vorbild konstruiert.

Informationen zur Bundes-Verfassungsbeschwerde: Zehn Fakten über Verfassungsbeschwerden (Nr. 1 bis 10) | Weitere zehn Fakten über Verfassungsbeschwerden (Nr. 11 bis 20) | Nochmal zehn Fakten über Verfassungsbeschwerden (Nr. 21 bis 30)

Dieser Artikel stellt Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der deutschen und der bayerischen Verfassungsbeschwerde dar und erklärt, wann Letztere in Betracht kommt.


Umfassende Statthaftigkeit (Art. 51 Abs. 1 VfGHG)

Die bayerische Verfassungsbeschwerde ist gegen jede Handlung oder Unterlassung einer bayerischen Behörde oder eines bayerischen Gerichts zulässig. Prüfungsmaßstab sind die Grundrechte der Bayerischen Verfassung.


Ausschluss von Bundesgerichtsbarkeit

Führt der Rechtsweg jedoch vor die Bundesgerichte (z. B. Bundesgerichtshof, Bundesfinanzhof, Bundesverwaltungsgericht), ist eine bayerische Verfassungsbeschwerde unzulässig. Auch gegen die Entscheidungen der untergeordneten bayerischen Gerichte kann dann keine Verfassungsbeschwerde nach bayerischem Recht eingelegt werden.

Daher beschränkt sich die Landes-Verfassungsbeschwerde hier auf Strafsachen, die beim Amtsgericht beginnen (Revisionsinstanz Oberlandesgericht), auf Bußgeldverfahren, auf familiengerichtliche Entscheidungen (regelmäßig keine Rechtsbeschwerde zum BGH möglich) sowie auf Verwaltungsprozesse, die über den Verwaltungsgerichtshof nicht hinausgingen.

In jedem Fall kann aber Bundesverfassungsbeschwerde eingelegt werden.


Vorrang des Fachrechtswegs (Art. 51 Abs. 2 Satz 1 VfGHG)

Auch die bayerische Verfassungsbeschwerde ist nur das letzte Mittel. Zuvor muss versucht werden, im Wege des normalen Rechtswegs eine Abhilfe durch die Gerichte zu erreichen. Erst, wenn es kein weiteres Rechtsmittel mehr gibt, ist die Verfassungsbeschwerde möglich.


Zwei-Monats-Frist (Art. 51 Abs. 2 Satz 2, Abs. 5 VfGHG)

Ein großer Unterschied zur Bundesverfassungsbeschwerde ist die zweimonatige Frist. In der Praxis bedeutet das eine ganz erhebliche Erleichterung, da der Zeitdruck deutlich geringer ist als bei nur einem Monat Frist nach Bundesrecht.

In einigen Sonderfällen berechnet sich die Frist abweichend, bei der Unterlassung einer beantragten, nicht einklagbaren Handlung bspw. auf sechs Monate.


Abhilfe beim Ministerium (Art. 51 Abs. 3 VfGHG)

Im seltenen Fall, dass es keinen Rechtsweg gegen eine Entscheidung gibt, muss zunächst eine Eingabe beim zuständigen Staatsministerium erfolgen, um Abhilfe zu schaffen. Nach Verstreichen von drei Monaten oder nach Erlass einer negativen Entscheidung muss innerhalb zweier weiterer Monate die Verfassungsbeschwerde erhoben werden. Eine derartige Vorschrift kennt das Bundesrecht in dieser Form nicht.


Keine mündliche Verhandlung (Art. 53 Abs. 1 VfGHG)

Für die Verfassungsbeschwerde sieht das bayerische Recht von vornherein keine mündliche Verhandlung vor. Eine solche kann aber vom Gericht angeordnet werden, wenn es diese für notwendig hält.

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet ebenfalls fast immer ohne mündliche Verhandlung.


Keine Nichtannahme möglich

Das Bundesverfassungsgericht erledigt viele Verfassungsbeschwerden, indem es diese gar nicht erst zur Entscheidung annimmt. Diese Nichtannahme bedarf keinerlei Begründung und beschleunigt das Verfahren damit ungemein.

Eine derartige Möglichkeit gibt es im bayerischen Recht nicht, hier muss über jede Verfassungsbeschwerde entschieden werden und es ist stets eine Begründung nötig (Art. 25 Abs. 3 Satz 1 VfGHG). Freilich kann die Begründung kurz gehalten werden und der Verzicht auf mündliche Verhandlung (siehe oben) verkürzt das Verfahren ebenfalls.


Kostenfreiheit/Missbrauchsgebühr (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 bis 3 VfGHG)

Auch die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof ist kostenlos. Bei Unzulässigkeit oder offensichtlicher Unbegründetheit kann aber eine Gebühr bis 1500 Euro auferlegt und diese auch als Vorschuss verlangt werden. Im Bundesrecht sind hier sogar 2600 Euro möglich.


Kein Anwaltszwang (Art. 16 Abs. 1 und 2 VfGHG)

Die bayerische Verfassungsbeschwerde kann auch ohne Anwalt eingereicht werden, ein Anwaltszwang besteht nicht. Allerdings kann der Gerichtshof einen Verfassungsbeschwerdeführer dazu verpflichten, sich anwaltlich vertreten zu lassen, wenn es die Sach- und Rechtslage erfordert oder er selbst „zum Vortrag nicht geeignet“ ist.

Vor dem Bundesverfassungsgericht besteht Anwaltszwang nur in der mündlichen Verhandlung.


Wechselnde Besetzung (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VfGHG)

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof entscheidet über Verfassungsbeschwerden in der Besetzung von vier (aus 23) Berufsrichtern und fünf (aus 15) weiteren Mitgliedern. Diese weiteren Mitglieder sind nicht etwa Schöffen, sondern in der Regel verdiente Juristen wie Rechtsanwälte, Professoren oder ehemalige Richter oder Politiker.

Im Gegensatz zu den 16 „festen“ Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts, die lediglich in Senate und Kammern unterteilt werden, wechseln die Münchner Richter aber durch.


Wann ist die bayerische Verfassungsbeschwerde sinnvoll?

Nach diesen Ausführungen stellt sich nun die Frage, wann eine Verfassungsbeschwerde nach bayerischem Recht sinnvoll ist. Notwendig ist natürlich zunächst einmal die Zulässigkeit, dass also ein bayerisches Gericht das letzte Wort hatte und zudem ein Grundrecht der Bayerischen Verfassung tangiert sein könnte. Dann müssen aber auch die allgemeinen Anforderungen an eine Verfassungsbeschwerde vorliegen.

Grundsätzlich können beide Verfassungsbeschwerden parallel zueinander eingelegt werden. Dies ist im Endeffekt auch notwendig, wenn man beide Rechtsbehelfe nutzen will. Denn die Frist der einen Verfassungsbeschwerde wird nicht unterbrochen, wenn man die andere einlegt. Man kann also in der Regel nicht zunächst die Landesverfassungsbeschwerde einlegen und dann, wenn diese abgewiesen wurde, auch noch das Bundesverfassungsgericht anrufen. Die längere Frist des bayerischen Rechts bietet hier gewisse Vorteile.

Für einen Vorzug der Landesverfassungsbeschwerde kann es auch sprechen, wenn ein sehr spezifisches landesrechtliches Thema vorliegt. In diesen Fällen ist das Gericht des Landes möglicherweise näher an der Problematik als das Bundesverfassungsgericht.

Es kann sich zudem, wenn man die Kosten senken und nur eine von beiden Beschwerden einlegen will, aber auch anbieten, die Rechtsprechung der Gerichte zu vergleichen und danach zu entscheiden, wo in diesem speziellen Verfahren die Chancen höher sein könnten. Da die Rechtsprechung für den Einzelfall aber schwer zu prognostizieren ist, liegt hier immer auch ein gewisses Risiko.

Allgemein empfiehlt sich die frühe Konsultation eines auf Verfassungsbeschwerden spezialisierten Anwalts, um Ihnen alle realistischen Chancen offenzuhalten.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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