Zehn Fakten über Verfassungsbeschwerden

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Verfassungsbeschwerden sind einer der wenigen Aspekte des Rechtswesens, mit denen eigentlich jeder etwas anfangen kann. „Ich geh nach Karlsruhe!“ oder „Karlsruhe hat entschieden“ sind zu geflügelten Worten geworden, obwohl damit nicht immer nur das Bundesverfassungsgericht, sondern teilweise auch der ebenfalls in Karlsruhe angesiedelte Bundesgerichtshof gemeint ist. 

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Verfassungsbeschwerden sorgen häufig für Diskussionen in den Medien oder auch im privaten Bereich.

Die Details einer Verfassungsbeschwerde sind dabei häufig alles andere als klar. Dieser Artikel soll daher einige wissenswerte Aspekte dieses Verfahrens darstellen.

1. Die Verfassungsbeschwerde steht am Ende eines Rechtsstreits

Der „Gang nach Karlsruhe“ ist regelmäßig der letzte Schritt innerhalb eines längeren Rechtsstreits. Zuvor haben Sie bereits zwei bis drei fachgerichtliche Instanzen (z. B. Strafkammer beim Landgericht/Bundesgerichtshof oder Sozialgericht/Landessozialgericht/Bundessozialgericht) durchlaufen. Erst danach kann man sich beim Bundesverfassungsgericht beschweren.

Fälle, in denen es keine fachgerichtliche Überprüfung einer Grundrechtsverletzung gibt oder man diese nicht zuerst durchlaufen muss, sind sehr selten. Grundsätzlich schaltet sich das BVerfG erst dann ein, wenn man vor den „normalen“ Gerichten keinen Erfolg hatte.

Regelmäßig nicht anfechtbar sind aber bloße Zwischenentscheidungen im Rechtsstreit, die dem Sachurteil vorausgehen.

2. Die Verfassungsbeschwerde dient nicht der Korrektur eines falschen Urteils

Teilweise gibt es die Ansicht, „Karlsruhe“ sei eine Art letzter Rettungsanker, um ein falsches Urteil zu korrigieren und so die Sache doch noch zu gewinnen. Das ist aber nicht ganz richtig: Ob das Urteil richtig oder falsch ist, ob es also die relevanten Gesetze zutreffend auslegt, interessiert das Bundesverfassungsgericht nicht. Die Richter betonen auch immer wieder, dass sie sich nicht in die Fachrechtsprechung einmischen wollen.

Das BVerfG prüft einzig, ob das Urteil gegen Verfassungsrecht verstößt, ob es also ein Grundrecht des Beschwerdeführers verletzt. Nur insoweit erfolgt eine Korrektur durch die Verfassungsgerichtsbarkeit.

3. Die Beschwerdeerhebung ändert nichts an Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Urteils

Innerhalb des normalen Rechtsweges ist ein Urteil erst dann rechtskräftig und endgültig, wenn alle Rechtsmittelinstanzen durchlaufen wurden. Je nach Rechtsgebiet kann die Vollstreckbarkeit schon früher eintreten, dies ist dann aber immer nur vorläufig.

Bei der Verfassungsbeschwerde ist das anders. Diese ändert nichts daran, dass der Rechtsweg abgeschlossen und das Urteil „vorübergehend endgültig“ ist. Das bedeutet, dass das Urteil während des laufenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens bereits seine Wirksamkeit entfalten kann – eine vermeintliche Schuld muss bezahlt werden, eine Kündigung beendet einen Vertrag oder auch eine Freiheitsstrafe muss angetreten werden.

4. Ein bisschen Verfassungswidrigkeit darf sein

Das Bundesverfassungsgericht kann Verfassungsbeschwerden nicht nur ablehnen, sondern sie auch gar nicht erst zur Entscheidung annehmen. Eine derartige Ablehnung ist mittlerweile sogar die Regel.

Grund dafür kann zum einen sein, dass die Verfassungsbeschwerde aus Sicht der drei dafür zuständigen Richter („Kammer“) keine Erfolgsaussichten hat. Aber auch dann, wenn die Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung von Grundrechten nicht angezeigt ist, kann sie abgelehnt werden. Das ist dann der Fall, wenn es sich um eine Bagatellverletzung handelt. Mit einem bisschen Verfassungswidrigkeit muss sich der Bürger also abfinden – das ist nicht gerade selbstverständlich.

5. Bei der Verfassungsbeschwerde ist Eile geboten

Eine Verfassungsbeschwerde muss innerhalb einer recht kurzen Frist von einem Monat nach Zustellung der letzten Entscheidung (z. B. des Revisionsurteils) erhoben und begründet werden. Es können grundsätzlich keine Argumente oder Tatsachendarstellungen nachgeschoben werden.

Daher muss man unmittelbar nach Erhalt der Entscheidung das weitere Vorgehen planen und sich am besten sofort mit einem spezialisierten Anwalt in Verbindung setzen, der die Verfassungsbeschwerde ausarbeitet.

6. Die Form der Verfassungsbeschwerde ist eine Kunst für sich

Normalerweise sind juristische Schriftsätze kein unendlich schwieriges Unterfangen. Solange der Inhalt stimmt, kommt es auf die äußere Form nicht allzu sehr an. Und wenn irgendetwas fehlt oder unklar ist, geben Gerichte durchaus Hinweise oder fragen nach.

Bei der Verfassungsbeschwerde ist das anders. Hier scheitern viele Beschwerdeführer (und auch Anwälte!) durchaus an den Formalien. Denn man muss innerhalb der kurzen Frist (siehe oben) alles vorgebracht haben, das dem Gericht seine Entscheidung ermöglicht. Es muss nur aus den eingereichten Unterlagen sagen können: „Ja, hier hat eine Grundrechtsverletzung stattgefunden, der wir abhelfen müssen.“

7. Ohne Fax geht's nicht.

Im Geschäftsleben und erst recht im privaten Bereich ist das Fax so gut wie ausgestorben. Vor allem die E-Mail hat als unkomplizierter und schneller Übermittlungsweg weitestgehende Verbreitung gefunden. Im juristischen Metier setzt sich der elektronische Rechtsverkehr langsam durch, der ein sicheres Versenden mit verifiziertem Absender ermöglicht.

Die Verfassungsgerichtsbarkeit ist hiervon aber ausgenommen. Hier muss man Schriftsätze nach wie vor schriftlich einreichen. Weil man bei Sendungen per Post nie so ganz sicher sein kann, ob und wann sie ankommen, wäre das Risiko wegen der Fristproblematik viel zu groß. 

Daher schickt man die Dokumente am besten per Fax an das BVerfG. Und zwar alle Dokumente, denn sie müssen alle fristgerecht ankommen. Eine „Vorab per Fax ohne Anlagen“-Sendung reicht gerade nicht.

8. Für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde braucht man keinen Anwalt

Jeder Bürger kann selbst eine Verfassungsbeschwerde einreichen. Einen Anwaltszwang wie bei den meisten anderen Gerichten schon ab der zweiten Instanz gibt es beim allerhöchsten deutschen Gericht nicht. Allerdings muss man als „Normalbürger“ trotzdem alle Formalitäten beachten und kann sich bei Fehlern nicht darauf hinausreden, man sei kein Anwalt und habe das nicht gewusst. Insofern empfiehlt es sich nicht unbedingt, auf eigene Faust eine Verfassungsbeschwerde zu erheben.

In der (seltenen) mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgericht muss man auf jeden Fall durch einen Anwalt vertreten sein.

9. Das verletzte Grundrecht muss genannt werden

„Da mihi facta, dabo tibi ius – gib mir die Fakten, dann gebe ich euch das Recht“ lautet ein juristischer Spruch. Das bedeutet aus Sicht des Gerichts, dass die Beteiligten den Sachverhalt darlegen müssen, die Rechtsanwendung dann aber allein Aufgabe des Gerichts ist. 

Juristische Argumente können die Parteien vorbringen, sind dazu aber nicht verpflichtet – und auch als Anwalt sollte man aufpassen, das Gericht nicht allzu sehr belehren zu wollen, da dies oft nicht besonders gut ankommt.

Vor dem BVerfG ist das anders, eine Verfassungsbeschwerde muss das verletzt geglaubte Grundrecht sogar eindeutig nennen, idealerweise mit der Fachbezeichnung und der Artikelnummer im Grundgesetz. Auch die Art und Weise der Verletzung muss regelmäßig dargelegt werden. Nur ausnahmsweise, wenn sich aus den Ausführungen ganz eindeutig erschließt, was der Beschwerdeführer gemeint hat, kommt eine Verfassungsbeschwerde ohne diese rechtlichen Ausführungen aus – riskieren sollte man das keinesfalls.

10. Eine Verfassungsbeschwerde ist nur ein Zwischenschritt

Eine Verfassungsbeschwerde steht am Ende des Rechtswegs, aber eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde beendet das Verfahren in aller Regel nicht. Sogar, wenn man vor dem Bundesverfassungsgericht Recht bekommt, verweist dieses das Verfahren normalerweise an eines der Instanzgerichte zurück. Dieses muss dann erneut – unter Berücksichtigung des BVerfG-Urteils – entscheiden.

Umgekehrt kann auch eine erfolglose Verfassungsbeschwerde eine gewisse Wirkung entfalten, weil sie für ähnliche Fälle zeigt, dass man bereit ist, bis zum Äußersten zu gehen. Gerade im Familienrecht, in dem viele Entscheidungen (z. B. über das Sorgerecht) regelmäßig neu getroffen werden können oder müssen, kann dies ein wertvolles Zeichen sein.

Hier geht's weiter: Weitere zehn Fakten über Verfassungsbeschwerden (Nr. 11 bis 20) | Nochmal zehn Fakten über Verfassungsbeschwerden (Nr. 21 bis 30)

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