Die neue Pflichtverteidigung

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Am 13. Dezember 2019 hat die Bundesrepublik eine Richtlinie der EU umgesetzt und damit den Anwendungsbereich der Pflichtverteidigung im Strafrecht erweitert. Dieser Beitrag soll die aus meiner Sicht wichtigsten Änderungen erklären.

Um mit einem großen Denkfehler aufzuräumen eines vorne weg: Jeder Anwalt kann als Pflichtverteidiger beigeordnet werden. Es gibt zwar eine Pflichtverteidigerliste, das bedeutete aber nicht, dass nur Anwälte auf dieser Liste Pflichtverteidiger sind. Sie können sich ihren Anwalt aussuchen und ihn dann direkt auf die Pflichtverteidigung ansprechen. 

1. Das alte Recht

Die Pflichtverteidigung ist in §§140 ff. StPO geregelt. Vor dem 13.12.2019 konnte man nur nach § 140 StPO ein Pflichtverteidiger bestellt werden. Dies ist jetzt genauso, aber die Reichweite von §140 StPO wurde sowohl zeitlich als auch nach Instanzen verändert.

2. Änderung in Nr. 1

Nach dem alten §140 Absatz 1 Nr. 1 StPO war ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Hauptverhandlung vor dem Land- oder Oberlandesgericht stattfindet. Dies wurde nun geändert. Es reicht jetzt aus, dass zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung vor dem Land- oder Oberlandesgericht stattfindet. Das heißt, dass es nicht mehr darauf ankommt, vor welchem Gericht tatsächlich verhandelt wird. Damit ist der Anwendungsbereich bereits ein wenig nach „vorne“ verschoben, sodass die Bestellung eines Verteidigers schon bei der reinen Erwartung in Betracht kommt. Nr. 1 wurde aber noch weiter geändert. Jetzt ist ein Pflichtverteidiger auch in den Fällen zu bestellen, in denen zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht stattfindet. Damit ist ein weiteres Gericht dazu gekommen, bei dem ein Verteidiger zu bestellen ist.

Dass die Einführung des Schöffengerichts zu einer massiven Erhöhung der Pflichtverteidigerbestellungen führt, glaube ich nicht. Vor dem Schöffengericht wird in der Regel dann angeklagt, wenn eine Straferwartung von mehr als zwei Jahren besteht. Diese Fälle wurden früher auch schon von Absatz 2 erfasst. Daher ist diese Änderung wohl nicht sehrt bedeutend. Viel wichtiger wird aus meiner Sicht, dass bereits bei der Erwartung, dass die Hauptverhandlung vor einem der Gerichte stattfindet, ein Verteidiger zu bestellen ist.

3. Änderung in Nr. 4 

Eine weitere wichtige Änderung ist, dass es nach §140 Absatz 1 Nr.4 StPO jetzt ausreicht, dass ein Beschuldigter dem Gericht zur Entscheidung über die Haft oder die Unterbringung vorzuführen ist. Nach altem Recht musste sich der Beschuldigte bereits in Haft befinden. Das bedeutet, dass jetzt schon bei der Entscheidung über die Haft zwingend ein Verteidiger beizuordnen ist. Dies ist vor allem in Fällen wichtig, in denen der Beschuldigte festgenommen wird, um dann am nächsten Tag dem Haftrichter vorgeführt zu werden. Das bedeutet, dass bereits am Tag der Festnahme klar ist, dass ein Pflichtverteidiger bestellt werden muss. Bereits jetzt sollten Sie sich Gedanken machen.

Ohne einen Verteidiger ist es extrem schwierig, hier eine positive Entscheidung zu bekommen. Die Bestellung muss auch unverzüglich geschehen. Da nach §§115a, 128 StPO in diesen Fällen, die wohl die aller meisten sind, die Vorführung spätestens am Tag nach der Festnahme stattfinden muss, muss spätestens auch dann ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden.

Hier sollten Sie auf einen Verteidiger bestehen. Sie müssen als Beschuldigter zwar keinen Antrag stellen, weil der Richter einen Verteidiger beiordnen muss. Sie sollten es aber immer machen, am besten sobald Sie festgenommen werden.

Wichtig ist aber zu unterscheiden, dass es nicht immer eine Festnahme ist, wenn Ihnen z. B. Handschellen angelegt werden. Es kann auch eine reine Schutzmaßnahme der Polizei sein, die keine Festnahme darstellt. Trotzdem melden Sie sich bei einem Anwalt! Je früher desto besser.

Ich selbst wurde einmal direkt bei der Festnahme eines Mandanten angerufen und habe noch vor Ort (einem öffentlichen Parkplatz) die Verteidigung begonnen. 

Sie sollten auch auf einen Anwalt Ihrer Wahl bestehen! Lassen Sie nicht auf Vorschläge des Gerichts oder der Polizei ein. Zur Klarstellung: Die Kollegen, die Ihnen von Gericht oder Polizei vorgeschlagen werden, sind nicht schlechter als andere Anwälte. Aber am Ende des Tages müssen Sie Ihrem Anwalt vertrauen, deshalb sollten Sie immer entscheiden, wer es wird! 

4. Ausblick

§140 StPO und das gesamte System der Pflichtverteidigung hat nun einige Änderungen erfahren. Wie sich diese in der Praxis schlagen werden, muss sich noch zeigen. Die Änderungen sind noch keine zwei Monate alt.

Ich gehe davon aus, dass sich die Anzahl der Pflichtverteidigungen erhöhen wird. In welchem Umfang, muss sich zeigen.

Sofern Sie eine Straftat beschuldigt werden, sollten Sie immer umgehend einen Anwalt einschalten, der Sie umfassend verteidigt. Jedes Zögern oder jede Kooperation kann Nachwirkungen haben, die Sie nicht abschätzen können.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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