EuGH entscheidet: Widerrufsbelehrungen seit 10. Juni 2010 unzulässig

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Millionen von Autofinanzierungen und Immobiliendarlehen betroffen

Im Verfahren um den Widerruf eines 100.000 Euro-Darlehens zur Immobilienfinanzierung hatte das Landgericht Saarbrücken den Europäischen Gerichtshof um eine Entscheidung darüber gebeten, ob sogenannte Kaskadenverweise in Widerrufsbelehrungen im Rahmen der EU-Verbraucherrichtlinien zulässig sind oder nicht. 

Der EuGH sprach nun zur Rechtssache C-66/19 ein Sensationsurteil, das nicht nur Auswirkungen auf die Widerrufsmöglichkeiten von Immobiliendarlehen hat, sondern auch rund 20 Millionen Verbraucherdarlehen zur Finanzierung von Kraftfahrzeugen widerrufbar macht. Dabei widersprach der EuGH dem Bundesgerichtshof, der zuvor seiner bankenfreundlichen Linie treu geblieben war. Nun lebt der Widerrufsjoker neu auf und ist stärker als je zuvor.

Hintergrund: In einem Großteil aller Widerrufsbelehrungen zur Finanzierung von Kraftfahrzeugen und Immobilien verweisen Banken auf den BGB-Paragrafen 492, Abs. 2. Dieser Verweis löst eine Kette von weiteren Verweisen aus, sodass der Darlehensnehmer gezwungen ist, rund 8 Seiten komplexe Gesetzestexte zu lesen, um einordnen zu können, welche Bedeutung sie für sein Widerrufsrecht haben.

Dies ist dem Verbraucher nicht zuzumuten, entschied der EuGH, denn Verbraucherkreditverträge müssen in klarer und prägnanter Form die Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist angeben. Kaskadenverweise sind dazu nicht geeignet.

Auszug aus der Begründung: „Es reicht nicht aus, dass der Vertrag hinsichtlich der Pflichtangaben, deren Erteilung an den Verbraucher für den Beginn der Widerrufsfrist maßgeblich ist, auf eine nationale Vorschrift verweist, die selbst auf weitere nationale Rechtsvorschriften verweist.”

Diesen Fall hatte der EuGH zu entscheiden

Der klagende Verbraucher hatte Ende November 2016 bei der Kreissparkasse Saarlouis einen grundpfandrechtlich gesicherten Kredit über 100.000 Euro mit einem bis zum 30. November 2021 gebundenen Sollzinssatz von 3,61 % pro Jahr aufgenommen. 

Der Kreditvertrag sieht vor, dass der Darlehensnehmer seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen widerrufen kann, und dass diese Frist nach Abschluss des Vertrags zu laufen beginnt, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben erhalten hat, die eine bestimmte Vorschrift des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs vorsieht.

Es gibt nur einen Hinweis auf das Paragrafenwerk, die Vorschrift selbst wird weder dargestellt noch erörtert Allerdings ist Paragraf 492, Abs. 2 wichtig zur Berechnung des Anlaufes der Widerrufsfrist.

Die Passage im Wortlaut: "Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat."

Eigentlich kann der Verbraucher auf Basis dieser Klausel völlig selbständig festlegen, wann die Frist zu laufen beginnt. Diese Ansicht vertreten die Widerrufs-Experten unserer Kanzlei bereits seit mehreren Jahren.

Anfang 2016 widerrief der Darlehensnehmer den Vertrag, indes die Kreissparkasse Saarlouis die Meinung vertrat, ordnungsgemäß widerrufen zu haben, zudem der BGH schon 2016 die Zulässigkeit der entsprechenden Klausel bejaht hatte. Der Kunde sei ordnungsgemäß belehrt worden. Die Frist für einen möglichen Widerruf sei entsprechend 14 Tage nach Übergabe aller maßgeblichen Informationen abgelaufen. 

Das Landgericht Saarbrücken vermochte nicht zu entscheiden und hatte daher den Europäischen Gerichtshof um Auslegung der Richtlinie über Verbraucherkreditverträge ersucht. Im Einzelnen geht es dabei um die Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40 und ABl. 2011, L 234, S. 46).

Warum ist das Urteil mit dem Aktenzeichen C-66/19 so wichtig?

Die besondere Bedeutung, die das LG Saarbrücken dem Fall durch die Einbeziehung des EuGH verleiht, ist dadurch begründet, dass das Gericht davon ausgeht, dass die EuGH-Deutung nicht nur maßgeblichen Einfluss auf grundpfandrechtlich abgesicherte Kredite hat, sondern grundsätzlich für alle Verbraucherkredite.

Unserer Ansicht nach wollte man vor einer Entscheidung, die nicht der BGH-Vorgabe entsprechen würde, auf der sicheren Seite stehen, denn mit rund 20 Millionen davon betroffenen Autofinanzierungen handelt es sich durchaus um eine Entscheidung mit hoher Tragweite.

Widerrufbar sind:

  • Darlehensverträge, z. B. zur Finanzierung von Kraftfahrzeugen
  • Leasingverträge
  • Immobiliendarlehen

Die Übertragbarkeit der Urteils – das ist die eigentliche Sensation. Die EuGH-Entscheidung ist unserer Ansicht nach eine Klatsche für den BGH und es wird spannend, wie auf dem juristischen Parkett damit umgegangen werden wird!

EuGH widerspricht dem Bundesgerichtshof

Das oberste deutsche Gericht wird sich zum Aktenzeichen XI ZR 434/15 aus November 2016 fragen lassen müssen, warum alle anderen Stellen die Bankenpraxis für fragwürdig halten – vom Gesetzgeber über einige OLGs bis hin zum EuGH – während man selbst in Karlsruhe ein aus Verbrauchersicht völlig abwegiges Urteil fällte und damit Millionen von Verbrauchern ihre Ansprüche auf Milliarden Euros vorenthielt.

Der EuGH entschied übrigens ohne die Schlussanträge der Generalanwältin anzuhören, was gemäß der Bestimmungen nur in ganz klaren Fällen möglich ist und klar war es offensichtlich. Es wurde festgestellt, „dass kein Raum für vernünftige Zweifel besteht."

Unsere Kanzlei empfiehlt Verbrauchern, die entsprechende Darlehen abgeschlossen haben, ihre Widerrufsmöglichkeiten im Rahmen einer kostenlosen Erstberatung prüfen zu lassen und ggf. günstig neu zu finanzieren.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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