EuGH-Generalanwalt: Restschuldbefreiung darf maximal sechs Monate gespeichert werden

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Am 16.03.2023 hat der Generalanwalt Pikamäe in den Rechtssachen C-26/22 und C-64/22 seine Schlussanträge zum Thema Schufa und die Speicherung der Restschuldbefreiung verkündet. Der Generalanwalt bestätigt damit die Rechtsauffassung der Kanzlei AdvoAdvice nahezu vollständig. Insgesamt gab es mehrere Fragen zu bewerten:

Entscheidung einer Aufsichtsbehörde überprüfbar

Zunächst weist der Generalanwalt darauf hin, dass eine verbindliche Entscheidung einer Aufsichtsbehörde einer vollständigen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Was sich zunächst nach einer Selbstverständlichkeit anhört, wurde von Aufsichtsbehörden häufig anders bewertet. Vielfach wurde davon ausgegangen, dass die Entscheidung einer Datenschutzbehörde nicht tätig zu werden und keine Maßnahmen zu ergreifen, gar nicht oder zumindest nicht vollständig gerichtlich überprüfbar wäre. Unter Rn. 42 des Schlussantrages heißt es zutreffend:

"Dies vorausgeschickt,scheint mir klar zu sein, dass dieser Handlungsspielraum nicht dahin ausgelegtwerden kann, dass die Aufsichtsbehörde über eine unbegrenzte Befugnis verfügtund sie ermächtigt, willkürlich zu handeln."

Für die Rechtsanwälte Dr. Rohrmoser und Dr. Tintemann war mit Blick auf das Ziel der DSGVO und der Formulierung der Vorschriften klar, dass die bislang vertretene Auffassung nicht richtig sein kann. Vielmehr soll ein starkes Datenschutzniveau gefördert werden. Daraus folgt auch, dass die Entscheidung einer Behörde nicht einzuschreiten, auch von einem Gericht bestätigt oder aufgehoben werden kann.

Restschuldbefreiung darf maximal sechs Monate gespeichert werden

Sodann stellt der Generalanwalt klar, dass ein Insolvenzverfahren einen wirtschaftlichen Neuanfang ermöglichen soll. Unter Rn. 75 heißt es dazu:

"Dieses Ziel würde jedoch vereitelt, wenn private Wirtschaftsauskunfteien berechtigt wären, personenbezogene Daten in ihren Datenbanken zu speichern, nachdem diese Daten aus dem öffentlichen Register gelöscht wurden."

Spätestens wenn die Restschuldbefreiung aus den öffentlichen Registern (insolvenzbekanntmachungen.de) entfernt werden, müssen diese Daten also auch nach der Ansicht des Generalanwalts auch bei Auskunfteien zur Löschung gebracht werden, um das eigentliche Ziel des Insolvenzverfahrens zu gewährleisten.

Der Generalanwalt geht sodann noch ein Stück weiter und hält es für unverhältnismäßig, eine vergangene Situation bzw. die dazugehörigen Umstände nochmals zu verwerten. So heißt es (Rn. 86):

"Man kann sich nämlich fragen, welchen Wert eine Information über die wirtschaftliche Situation einer Person hat, die mehrere Jahre alt ist. Personenbezogene Daten im Zusammenhang mit einem Umstand, der eine gewisse Zeit zurückliegt, werden kaum zuverlässige Informationen über die aktuelle wirtschaftliche Situation der betroffenen Person liefern."

Ob die Daten überhaupt parallel gespeichert werden dürfen, sollen nach der Empfehlung des Generalanwaltes nun die nationalen Gerichte klären. Hierbei sind die Interessen und Auswirkungen der betroffenen Personen mit denen der Auskunfteien und der Kreditwirtschaft abzuwägen.

Zu diesen Aspekten vertritt die auf Fälle mit der Schufa spezialisierte Kanzlei AdvoAdvice seit vielen Jahren eine klare Auffassung. Bereits vor ca. 10 Jahren stellte Rechtsanwalt Dr. Tintemann die Zulässigkeit der Speicherung der Restschuldbefreiung in Frage (vgl. Tintemann/Gärtner, VuR 2012, 54-58). Mit Einführung der DSGVO konnte die Kanzlei ein wegweisendes Urteil vor dem OLG Schleswig erkämpfen, welches ebenfalls von einer Speicherung über maximal sechs Monate ausging (siehe hier).

Widerspruchsrecht und Code-of-Conduct

Der Generalanwalt geht in seinen Schlussanträgen sodann davon aus, dass auch im Zeitraum einer womöglich berechtigten Speicherung ein Widerspruchsrecht nach Art. 21 DSGVO in Betracht kommt. Die sehr strengen Anforderungen, welche die deutschen Gerichte bislang ansetzen, werden vom Generalanwalt offenbar nicht geteilt.

Die Bewertung, dass die Daten über die Restschuldbefreiung für maximal sechs Monate gespeichert werden dürfen, führt auch dazu, dass der Verhaltenskodex der Auskfunteien (code-of-conduct) nicht als verbindliche Regelung herangezogen werden kann. Dies hat mitunter weitreichende Konsequenzen für die gerichtliche Prüfung. Zutreffend stellt der Generalanwalt klar (Rn. 99):

"Rechtlich stellen solche Verhaltensregeln nur eine freiwillige Verpflichtung derjenigen dar, die sie ausgearbeitet und angenommen haben, d. h. des genannten Verbands und seiner Mitglieder."

Dieser Umstand dürfte auch eine große Auswirkung auf die anderen Speicher- und Löschfristen haben, welche im fraglichen Code-of-Conduct niedergelegt sind.

Ausblick und erste Einschätzung

In den meisten Fällen folgt der Europäische Gerichtshof den Schlussanträgen des Generalanwaltes. Rechtsanwalt Dr. Rohrmoser führt insofern aus:

"Die Schlussanträge sind ein sehr wichtiger Zwischenschritt zur Klärung zentraler Rechtsfragen. Wir freuen uns, dass der Generalanwalt unserer Auffassung folgt und der bislang überwiegenden Rechtsprechung eine klare Absage erteilt. 

Es ist zu hoffen, dass die nationalen Gerichte dies Schlussanträge bereits jetzt ernst nehmen, um ein hohes Datenschutzniveau zu gewährleisten. Das Urteil des EuGH wird erst in den kommenden Monaten erwartet. Ein Datum steht mit Veröffentlichung der Schlussanträge noch nicht fest.

Es ist nun aber mit Spannung zu erwarten, was genau der Bundesgerichtshof in Karlsruhe am 28.03.2023 in der Revision zum Urteil des OLG Schleswig verkünden wird. Der BGH könnte hier bereits einen entscheidenden Schritt für die Betroffenen gehen."

Sollten Sie Hilfe bei der Löschung des Merkmals der Restschuldbefreiung benötigen, können Sie sich gerne unter 030 / 921 000 40 oder info@advoadvice.de an unsere Kanzlei wenden. Gerne klären wir die Kostenfrage im Anschluss an eine kostenfreie Ersteinschätzung mit Ihnen sowie einer hoffentlich vorhandenen Rechtsschutzversicherung ab.




Der EuGH hält in seiner Pressemitteilung (abrufbar hier) folgenden wichtigen Hinweis parat:

"HINWEIS: Die Schlussanträge sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe der Generalanwältin oder des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richterinnen und Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet."


Zudem wurden die Schlussanträge im Verfahren C-634/21 zum Thema Scoring verkündet. Wir berichten zeitnah...

Foto(s): AdvoAdvice

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