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EuGH-Urteil gibt Betroffenen und Verbänden mehr Rechte in Umweltverfahren

  • 5 Minuten Lesezeit
Christian Günther anwalt.de-Redaktion

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Hochwasserschutzmaßnahmen, der Bau von Fernstraßen, Schienenwegen, Bahnhöfen, Flughäfen, Kraftwerken, Stromtrassen, Fabriken oder Ställen zur Massentierhaltung: Solche und weitere Großprojekte wirken sich erheblich auf die Umwelt aus. Regelmäßig treffen dabei Gegner und Befürworter vor Ort, vor Behörden und vor Gerichten aufeinander. Mit einem jetzt veröffentlichten Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die bisherige deutsche Rechtslage gehörig umgekrempelt. Gestärkt wurde vor allem das rechtliche Vorgehen gegen solche Projekte.

Mehrfache Verstöße gegen EU-Umweltrecht

Auslöser dieser Entscheidung, die vor allem die Position betroffener Personen und von Umweltverbänden stärkt, war ein Vertragsverletzungsverfahren. Die Europäische Kommission hatte der Bundesrepublik Deutschland vorgeworfen, die hiesige Rechtslage beschränke zu stark dem Umweltschutz dienendes EU-Recht. Dabei geht es um Beteiligungsrechte der betroffenen Öffentlichkeit bei bestimmten privaten und öffentlichen Vorhaben.

Diese finden sich zum einen in Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und zum anderen in der Richtlinie über Industrieemissionen zur integrierten Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (Art. 11 RL2011/92, Art. 25 RL2010/75). Deren Vorgaben mussten die Mitgliedstaaten – wie bei EU-Richtlinien üblich – in ihr nationales Recht umsetzen. In Deutschland ist das jedoch in puncto Zugang zu Überprüfungsverfahren und Beteiligungsmöglichkeiten für Betroffene und Verbände nur ungenügend geschehen, wie der EuGH nun festgestellt hat.

Grundlegend verschiedenes Rechtsschutzverständnis

Das Urteil zeigt nicht zum ersten Mal: Das Rechtsschutzverständnis des EuGH und der hierzulande gewährte Rechtsschutz liegen weit auseinander. Aus Sicht des EuGH handhabt das deutsche Recht diesen mit Blick auf den in den Richtlinien verlangten weitreichenden Zugang zu Gerichten viel zu restriktiv. Im Einzelnen geht es um folgende, im deutschen Verwaltungsrecht verankerte Prinzipien.

Uneingeschränkte Klagen von Umweltverbänden

Das deutsche Verwaltungsrecht ist von der sogenannten Schutznormtheorie geprägt. Das bedeutet: Rechtsschutz erhält nur, wer gleichzeitig geltend machen kann, in seinen eigenen Rechten verletzt zu sein. Eine solche persönliche Rechtsverletzung ist wesentliche Voraussetzung dafür, dass ein Verwaltungsgericht eine Klage überhaupt zulässt. Das bedeutet wiederum, dass Bürger keine Klagebefugnis haben, wenn Allgemeininteressen wie z. B. der Naturschutz bedroht sind.

Über die Zulässigkeit hinaus hat dieses Erfordernis auch Bedeutung für die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts. Stellt es fest, dass eine Verwaltungsentscheidung rechtswidrig war, kann es diese allein deshalb noch nicht aufheben. Eine Aufhebung erfolgt nur dann und insoweit, wie ein Kläger durch diese auch in seinen Rechten verletzt ist. Der dahinterstehende § 113 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bildet dabei eine zentrale Vorschrift des deutschen Verwaltungsrechts.

Mit Blick auf Privatpersonen hält der EuGH diese Beschränkungen zwar für richtlinienkonform. Problematisch und damit unzulässig ist es für den EuGH aber, dass das deutsche Recht auch Klagen von Umweltverbänden derart beschränkt. Verbänden muss es stattdessen auch über eine Rechtsverletzung Einzelner hinaus möglich sein, die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten. Nur so sei das Richtlinienziel gewährleistet.

Klagebefugnis auch zeitlich nicht begrenzbar

Diese Klagebefugnis von Umweltverbänden in der Bundesrepublik regelt das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG). Eine frühere Fassung hatte die Klagebefugnis von Verbänden dabei sogar nur auf solche Klagen beschränkt, die sich über Rechte Einzelner begründen. Bereits 2011 hatte der EuGH diese Anforderung im sogenannten Trianel-Urteil für unzulässig erklärt, da sie die Rechte von Verbänden zu stark beschneide (Urteil v. 22.05.2011, Az.: C-115/09). Aber erst infolge eines Mahnschreibens der EU-Kommission erfolgte eine entsprechende Gesetzesänderung im Januar 2013. In seinem jetzigen Urteil stellte der EuGH das unzulässige Abhängigmachen von Verbandsklagen von Rechten Einzelner  nochmals klar, indem er auf das frühere Urteil von vor vier Jahren verwies.

Allerdings hatte die Bundesrepublik in das aktualisierte UmwRG auch eine zeitliche Beschränkung aufgenommen. Die Neuregelung sollte nur für Entscheidungsverfahren, Genehmigungsverfahren oder Rechtsbehelfsverfahren gelten, die am 12.05.2011 anhängig waren oder danach eingeleitet wurden und am 29.01.2013 noch nicht rechtskräftig abgeschlossen waren. Demnach sollte die alte Regelung für Verfahren, die nach dem 25.06.2005 eingeleitet und vor dem 12.05.2011 abgeschlossen worden waren, weiterhin gelten, um die Rechtskraft entsprechender Entscheidungen nicht zu gefährden. Mit Blick auf Rechtsbehelfe lediglich bestandskräftiger Verwaltungsentscheidungen hält der EuGH diese zeitliche Beschränkung jedoch für unzulässig. Im Übrigen stellt der EuGH klar, dass die Anforderungen auch für solche Verfahren gelten, die vor dem 25.06.2005 eingeleitet wurden, es aber erst danach eine Genehmigung erhielten.

Kein Klägerbeweis für Auswirkungen von Verfahrensfehlern

Eine ohne die erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung erteilte Genehmigung ist rechtswidrig und auf Verlangen aufzuheben. So hat es Deutschland in § 4 UmwRG geregelt. Problematisch dabei: Eine ebenso klare Regelung für den Fall einer fehlerhaft durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung fehlt.

Kein Problem aus Sicht der Bundesrepublik: Schließlich ermögliche der allgemein die Folgen von Verfahrensregeln regelnde § 46 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) ein gerichtliches Vorgehen. Zwei Probleme allerdings aus Sicht des EuGH: Zum einen müssen die Vorschriften einer Richtlinie konkret, bestimmt und klar umgesetzt werden, was hier nicht der Fall ist. Damit fehlt es an der notwendigen Rechtssicherheit.

Zum anderen setzt § 46 VwVfG den Beweis des Klägers voraus, dass eine Entscheidung ohne den behaupteten Fehler anders ausgefallen wäre. Diese Anforderung geht dem EuGH mit Blick auf den von den Richtlinien geforderten weitreichenden Zugang zu Gerichten zu weit. Ermittlung und Prüfung obliege vollständig den Gerichten. Diese dürfen dabei, unabhängig von einer eventuellen Auswirkung, keine Verfahrensfehler unberücksichtigt lassen.

Keine Beschränkung auf Vorbringen im Verwaltungsverfahren

Auch an einer weiteren Praxis im deutschen Verwaltungsrecht, der sogenannten Präklusion, lässt der EuGH kein gutes Haar. Demnach müssen Gerichte nur solche Einwendungen berücksichtigen, die die Parteien eines Rechtsstreits bereits im Verwaltungsverfahren vorgebracht haben. Erst vor Gericht vorgetragene Einwendungen muss dieses bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigen. Das soll Beteiligte dazu zwingen, ihr Vorbingen möglichst frühzeitig mitzuteilen. Befürworter erhoffen sich von der umfassenden Information, dass bereits die Behörden Fälle klären können und sie gar nicht erst zu Gericht gelangen. Außerdem verhindere die Präklusion, dass Beteiligte Informationen aus taktischen Gründen zurückhalten und erst vor Gericht vorbringen.

Dennoch hält der EuGH auch die von Deutschland in § 2 Abs. 3 UmwRG umgesetzte Präklusion für falsch. Denn auch diese Beschränkung stehe nicht im Einklang mit dem Ziel einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle. Demnach muss ein Gericht auch erstmals vor diesem vorgebrachte Informationen bei seiner Entscheidung berücksichtigen. Missbräuchliches Vorbringen lasse sich durch spezielle Verfahrensregeln verhindern.

(EuGH, Urteil v. 15.10.2015, Az.: C-137/14)

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