Fristlose Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetruges gegen Betriebsratsvorsitzenden von Benteler für rechtens erklärt

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Großes Medieninteresse gestern vor dem Arbeitsgericht Bielefeld. Automobilzulieferer Benteler wirft seinem Bielefelder Betriebsratsvorsitzenden Arbeitszeitbetrug vor; die IG Metall spricht von bewusster Schwächung des Betriebsrats. Davon unbeeindruckt erklärte gestern das Arbeitsgericht Bielefeld die fristlose Verdachtskündigung zum Nachteil des Betriebsratsvorsitzenden als wirksam.

Schwerwiegende Vorwürfe des Arbeitgebers: Es geht um über EUR 100.000 für Zahlung von angezeigten Überstunden des Betriebsratsvorsitzenden

„Bielefeld. In der Auseinandersetzung zwischen dem Automobilzulieferer Benteler und dem Betriebsratsvorsitzenden“…. „hat das Arbeitsgericht Bielefeld den Antrag auf Verdachtskündigung stattgegeben. Benteler wirft“ dem Betriebsratsvorsitzenden „Arbeitszeitbetrug vor und will ihn deshalb kündigen. Da der Betriebsrat der Kündigung jedoch nicht zugestimmt hatte, hatte Benteler versucht, diese vor dem Arbeitsgericht durchzusetzen. Mit Erfolg…“; Quelle: Haller Kreisblatt vom 11.08.2023, Titel: „Kündigung des Betriebsratschefs: Benteler erringt Erfolg vor Gericht“, Autorin: Carolin Nieder-Entgelmeier

Vorwurf Benteler: Überstunden sind aufgrund von Betriebsratstätigkeit entstanden, dafür hätte es keinen finanziellen Ausgleich geben dürfen

Haller Kreisblatt: „Hintergrund der Auseinandersetzung sind Überstunden, die“ der Betriebsratsvorsitzende „in den vergangenen drei Jahren in der Arbeitszeiterfassung dokumentiert und für die er einen Ausgleich von 112.000 Euro erhalten hat. Nach Angaben der von Benteler beauftragten Rechtsanwälte …hätte“ der Betriebsratsvorsitzende „diese Überstunden jedoch nicht erfassen und auch keinen finanziellen Ausgleich dafür erhalten dürfen. Der Grund: Die Überstunden seien nicht betriebsbedingt, sondern aufgrund der Betriebsratstätigkeit entstanden.“ - so heißt es im Haller Kreisblatt

Arbeitsgericht Bielefeld bezweifelt, dass Überstunden betriebsbedingt entstanden seien

„Nach Angaben von Richter Joachim Kleveman, Direktor des Arbeitsgerichts Bielefeld, darf“ der Betriebsratsvorsitzende „seine Überstunden zwar in der Arbeitszeiterfassung dokumentieren. „Doch Anspruch auf einen Ausgleich der Überstunden durch eine Auszahlung hat er nicht. Es sei denn, die Mehrarbeit ist betriebsbedingt.“ Dass die Überstunden betriebsbedingt entstanden sind, bezweifelt“ das Gericht… „nach Angaben Klevemans jedoch. „Über zwei Jahre hat er jeden Tag mehr als zehn Stunden Arbeitszeit angegeben. Die Kammer ist nicht überzeugt, dass diese Überstunden betriebsbedingt entstanden sind.“ Zitat aus: Haller Kreisblatt vom 11.08.2023

Für das Arbeitsgericht Bielefeld liegt ein Verdacht auf schwerwiegendes Fehlverhalten des Betriebsratsvorsitzenden vor

„Die Kammer habe deshalb den Antrag auf Verdachtskündigung angenommen, den Antrag auf Tatkündigung jedoch abgelehnt, erklärt Kleveman. „Die Kammer sieht einen hinreichend starken Verdacht auf Fehlverhalten, der das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erschüttert hat.“ Die Rechtsprechung unterscheidet Tat- und Verdachtskündigungen. Eine Verdachtskündigung ist zulässig, wenn schwerwiegende Verstöße gegen den Arbeitsvertrag oder das Gesetz vorliegen. Aussprechen können Arbeitgeber eine Verdachtskündigung, wenn das Fehlverhalten nicht eindeutig beweisbar ist, sondern nur ein dringender Verdacht besteht. Kann der Arbeitgeber den Verdacht auf eine vertrags- oder rechtswidrige Tat des Arbeitnehmers eindeutig beweisen, ist hingegen eine Tatkündigung zulässig“. Zitat aus: Haller Kreisblatt vom 11.08.2023

Arbeitgeber Benteler begrüßt die Entscheidung des Arbeitsgerichts Bielefeld

„Benteler sieht sich im Vorgehen gegen“ den Betriebsratsvorsitzenden „bestätigt. „Das Gericht ist inhaltlich unserer Auffassung gefolgt“, erklärt ein Sprecher der Unternehmensgruppe. „Mit seinem Beschluss bestätigt es, dass ein dringender Verdacht wegen eines Fehlverhaltens des Mitarbeiters vorlag, welcher ein wichtiger Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung ist.“ Quelle: Haller Kreisblatt vom 11.08.2023

Viele Arbeitgeber in Deutschland haben die Verdachtskündigung nicht vor Augen. Dabei handelt es sich um ständige und gefestigte Rechtsprechung; richtig ist, dass die Verdachtskündigung nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. Ungeachtet dessen hat das Bundesverfassungsgericht bereits mit Datum vom 04.11.2008 – 1 BV 2587/06 diese Form der Kündigung anerkannt. Bei Schaub/Koch, Arbeitsrecht von A-Z, 27. Auflage 2023, heißt es zu den Voraussetzungen einer fristlosen Verdachtskündigung wie folgt:

„Gerade der Verdacht einer Pflichtverletzung, der zum Verlust der vertragsnotwendigen Vertrauenswürdigkeit und damit zu einem Eignungsmangel des AN führt, stellt gegenüber dem verhaltensbezogenen Vorwurf, der AN habe seine arbeitsvertraglichen Pflichten tatsächlich verletzt, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Die Verdachtskündigung ist deshalb keine „unterentwickelte Tatkündigung“. Sie liegt nur vor, wenn und soweit der AG seine Kündigung darauf stützt, gerade der Verdacht eines nicht bewiesenen strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört (BAG 21.6.2012 – 2 AZR 695/11). Dieser Verdacht muss dringend sein. Er muss sich auf konkrete, vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende Tatsachen stützen, dh es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft.“

Misstrauen oder bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts aus

„Die vom AG zur Begründung des Verdachts herangezogenen Tatsachen und Umstände müssen zum einen hinreichende Qualität aufweisen, um den Verdacht zu rechtfertigen und das vertragsnotwendige Vertrauen zerstören zu können, und zum anderen auch tatsächlich vorliegen. Sie müssen vom AG schlüssig dargelegt und ggf. bewiesen werden.“ – so heißt es zu den Voraussetzungen einer Verdachtskündigung bei Schaub/Koch, Arbeitsrecht von A-Z, 27. Auflage 2023.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund wird die Brisanz der Entscheidung des Arbeitsgerichts Bielefeld vom gestrigen Tage für den Betriebsratsvorsitzenden deutlich. Zwar ist die Entscheidung des Arbeitsgerichts Bielefeld nicht rechtskräftig, trotzdem könnte dem Arbeitgeber ein Anspruch auf Rückzahlung der über EUR 100.000 für die angezeigten Überstunden des Betriebsratsvorsitzenden zustehen.

Rechtsanwalt Helmut Naujoks ist seit 25 Jahren als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht tätig. Haben Sie Fragen in Bezug auf etwaige Rechte / Pflichten eines Betriebsrats? Rufen Sie noch heute Rechtsanwalt Helmut Naujoks an, Spezialist als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht. In einer kostenlosen und unverbindlichen telefonischen Ersteinschätzung beantwortet Rechtsanwalt Helmut Naujoks Ihre Fragen zum Kündigungsschutz von Betriebsräten bzw. zu deren Rechte und Pflichten.


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