Geplante Gesetzesänderung: § 184b StGB soll entschärft werden

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Durch die Gesetzesänderung vom 01.07.2021 wurde der Strafrahmen des § 184b StGB (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte) erheblich verschärft.

Durch die Verschärfung handelt es sich bei § 184b StGB seit dem 01.07.2023 um einen Verbrechenstatbestand, da bereits der Besitz nur eines einzigen kinderpornographischen Bildes mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr geahndet wird. Damit wird der Besitz eines einzigen solchen Bildes auf dieselbe Stufe mit einem Raub, Menschenraub oder Brandstiftung gestellt. Dies gilt unabhängig davon, ob auf dem Bild „nur“ ein nacktes Kind beim Posing abgebildet ist oder auf dem Bild sexuelle Handlungen zu sehen sind. Besitz bedeutet, dass die betroffene Person nur ein solches Bild besitzt. Diese hat in der Regel weder Kontakt zu dem Kind noch bei der Herstellung des Bildes mitgewirkt. Häufig weiß der Betroffene auch noch nicht einmal, dass er ein solches Bild besitzt.

Der juristische Laie befürwortet überwiegend die Verschärfung des Strafrahmens für solche Delikte und hält die schwere Bestrafung für die Täter gerechtfertigt. Dabei hat der juristische Laie meistens nur die wirklich schweren Fälle im Blick, wie z.B. die Täter, die die Videos fertigen, im großen Stil vermarkten und die Kinder zu sexuellen Handlungen zwingen. Darauf bezieht sich die geplante Gesetzesänderung nicht, denn die Obergrenze des Strafrahmens (Freiheitsstrafe 10 Jahre) wird durch die Änderung nicht angetastet.

Steigt man tiefer in die Materie ein und beleuchtet die Hintergründe genauer, wird allerdings schnell deutlich, dass der neue Strafrahmen (seit 01.07.2021) in der Praxis zu ungerechten und nicht hinnehmbaren Ergebnissen führt, so dass eine Absenkung des Mindeststrafrahmens geboten ist.

Wir haben regelmäßig Eltern in der Kanzlei, die aus allen Wolken gefallen sind, weil plötzlich die Polizei vor der Türe stand und eine Hausdurchsuchung durchführte, da gegen ihren minderjährigen oder heranwachsenden Sohn ein Strafverfahren wegen Besitzes oder Verbreitens kinderpornographischer Schriften eingeleitet wurde. Der Sohn war Mitglied einer Whatsapp-Gruppe, in die andere Gruppenmitglieder, die er gar nicht kannte, Bilder oder Videos mit kinderpornographischem Inhalt eingestellt haben. Oftmals wissen die betroffenen Jugendlichen auch gar nicht, dass sich auf ihren Handys solche Bilder befinden.

Ein kinderpornographischer Inhalt ist bereits gegeben, wenn ein 13-jähriges Mädchen ein Oben-Ohne-Photo von sich selbst fertigt. Schickt sie dieses Bild ihrem 15-jährigen Freund, besitzt dieser ab diesem Zeitpunkt Kinderpornographie und macht sich strafbar. Findet die Mutter des Mädchens die Aktbilder, die ihre Tochter von sich selbst gemacht hat und versendet diese die Bilder an ihren Bruder, um sich bei diesem über das Handeln ihrer Tochter zu beschweren, macht diese sich strafbar wegen Verbreitens kinderpornographischer Inhalte. Der Bruder macht sich strafbar wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften. In beiden Fällen beträgt die Mindestfreiheitsstrafe 1 Jahr, d.h. es gibt keine Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit. Es kann auch kein Strafbefehl erlassen werden. Sowohl der Freund des Mädchens als auch die Mutter und deren Bruder erhalten Anklageschriften wegen Besitzes bzw. Verbreitens kinderpornografischer Schriften. Sie müssen an einer Gerichtsverhandlung teilnehmen. Die Gerichtsverhandlungen gegen die Mutter und deren Bruder sind öffentlich. Evtl. sitzt eine Schulklasse im Zuschauerbereich, die die Verhandlung mitverfolgt oder der Bruder trifft einen Bekannten auf dem Gerichtsflur. Dieser liest seinen Namen und den Tatvorwurf am Aushang vor dem Gerichtssaal.

In einer kleinen Gemeinde wird sich ein solches Verfahren und der Tatvorwurf verbreiten wie ein Lauffeuer. Auch wenn die Mutter und ihr Bruder eine Bewährungsstrafe bekommen werden, erhalten sie einen Eintrag im Bundeszentralregister wegen Verbreitens bzw. Besitzes kinderpornographischer Schriften. Damit sind sie bei der Jobsuche gebrandmarkt, da sie kein Führungszeugnis ohne Eintrag mehr vorlegen können. Der Bruder kann keine Tätigkeit als Jugendtrainer oder -betreuer ausüben.

 

Die Einstufung des 184b StGB als Verbrechenstatbestand macht es unmöglich, auf Situationen wie die o.g. entsprechend zu reagieren. Die Mutter, die die Nacktbilder der Tochter an ihren Bruder übersendet, hat gewiss keine Absicht, kinderpornographische Bilder zu verbreiten. Der Bruder hat kein Interesse am Besitz solcher Bilder. Für solche Fälle muss eine Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit oder gegen Geldauflage möglich sein. Eine solche ist aber bei einem Verbrechenstatbestand, wie § 184b StGB derzeit ausgestaltet ist,  nicht möglich.

Problematisch ist § 184b StGB auch für zahlreiche Jugendliche und Heranwachsende, die sich in WhatsApp-Gruppen befinden, in die Spaßbilder oder Erotikbilder eingestellt werden. Stellt ein Gruppenmitglied Bilder mit kinderpornographischem Inhalt ein, empfängt diese Bilder jedes Gruppenmitglied. Befinden sich deren Handys in den Grundeinstellungen, so wird eine Kopie dieses Bildes in der Galerie oder unter Fotos abgespeichert. Dieser Vorgang vollzieht sich häufig völlig unbemerkt, da teilweise mehrere Hundert Bilder pro Tag in solche Gruppen eingestellt werden. Die Gruppenmitglieder haben meist gar nicht die Zeit, sämtliche Bilder oder Videos zu sichten. Selbst bei Videos ist anhand des Vorschaubildes häufig nicht zu erkennen, dass das Video einen kinderpornographischen Inhalt hat. Dennoch besitzt das Gruppenmitglied ein Bild mit kinderpornographischem Inhalt und macht sich strafbar. Ihm droht eine Mindestfreiheitsstrafe von 1 Jahr.

Plötzlich kommt es zu Hausdurchsuchungen, weil die Handynummer in einer solchen WhatsApp-Gruppe hinterlegt ist. Das Handy des Betroffenen wird ausgewertet und das Bild mit dem kinderpornographischem Inhalt wird gefunden. Gerade in solchen Situationen konnte vor dem 1.7.2021 von den Strafverfolgungsbehörden angemessen reagiert werden. Durch die Verschärfung des Strafmaßes ist keine Einstellung wegen Geringfügigkeit mehr möglich. Die Folge ist eine Anklageschrift und eine Gerichtsverhandlung. 

Gerade solche Fällen, wie den o.g., liegt keine kriminelle Energie zugrunde, die nach einer Freiheitsstrafe von mindestens 1 Jahr verlangt. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei der Änderung im Jahr 2021 solche Fälle nicht bedacht hatte. Eine Reduzierung des Mindeststrafrahmens führt dazu, dass solche Fälle, wie die o.g. wieder als Vergehen geahndet werden können. Dies entlastet die Staatsanwaltschaften und Gerichte erheblich und führt auch dazu, dass sich Eltern, die kinderpornographisches Material bei ihren Kindern finden und an sich nehmen, nicht ihre weitere Zukunft durch einen Eintrag im Bundeszentralregister und Führungszeugnis verbauen.

Die geplante Gesetzesänderung wird auch Auswirkungen auf die laufenden Verfahren haben. Betroffene, die aktuell besorgt sind, weil ihre Strafverfahren so lange dauern, haben einen Vorteil, weil ggf. auf sie das geänderte Gesetz Anwendung findet. Nach § 2 Abs.3 StGB ist das für den Betroffenen im Zeitpunkt der Entscheidung günstigere Gesetz anzuwenden. Es kann auch von erheblichem Vorteil sein, gegen ein Urteil Berufung oder Revision einzulegen, um anschließend in den Genuss einer deutlich geringeren Strafe oder gar Verfahrenseinstellung zu kommen. 


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