Gerichtsverhandlung – Die ersten Verfahren nach der Räumung von Lützerath beginnen

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Drei Monate liegt es zurück, dass tausende Menschen in Lützerath gegen die Abbaggerung des Ortes und damit gegen die Braunkohleförderung demonstriert haben. In diesem Zuge wurde nicht nur demonstriert, sondern sich auch mit Blockadeaktionen unterschiedlichster Art der Räumung Lützeraths durch die Polizei entgegengestellt. Neben der Vielzahl von Aktivistinnen und Aktivisten waren über die Tage verteilt auch tausende Polizeibeamtinnen und -beamte im Einsatz. Teils kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.

Mehr 600 Strafverfahren laufen nach der Räumung des Orts Anfang des Jahres

Aus Sicht der Strafverfolgung zeigt die Bilanz nun, dass inzwischen mehr als 600 Strafverfahren anhängig sind. Gerade nach der Auswertung von polizeilichen Videoaufnahmen, stieg die Zahl der strafrechtlichen Vorwürfe noch einmal. Ein häufiger Vorwurf lautet dabei, einen tätlichen Angriff gegen Polizeibeamte (§ 114 StGB) verübt zu haben. Vermehrt sind die Identitäten vermutlicher Täter oder Täterinnen jedoch noch nicht geklärt. Auch gegen Polizeibeamte wird ermittelt.

Wieso wird in so vielen Fällen von Lützerath strafrechtlich ermittelt?

Die meisten Vorwürfe resultieren aus gewaltsamen Auseinandersetzungen. Im Verlauf der Aktionen sind verschiedene Konstellationen zu unterscheiden, in denen es zu strafrechtlich relevantem Verhalten kam.


Zum einen blieb das körperliche Aufeinandertreffen der sogenannten ersten Reihe an Menschen innerhalb einer Blockade und der ersten Reihe der Beamten, die die Blockade aufbrechen soll, nicht immer friedlich. Zunächst findet dabei in der Regel ein „Kräftemessen“ statt, bei dem die eine Menschenkette gegen die andere Menschenkette drückt. Wird gegen einzelne Menschen gewalttätig vorgegangen, beispielsweise durch Schubsen oder Treten, wird auch hier die Schwelle strafrechtlich relevanten Verhaltens von Seiten der Aktivisten oder der Polizei erreicht, auch wenn die Aktion selbst insgesamt nicht eskaliert. Menschen, die innerhalb einer Blockade saßen, wurden meist friedlich durch die Polizei weggetragen.


Darüber hinaus wurden Beamte im Einsatz zum Beispiel mit Pyrotechnik, Steinen, Farbbeuteln sowie Molotow-Cocktails beworfen. Meist kamen die „Geschosse“ dabei aus kleinen leicht abgesonderten Gruppen. Außerdem kam es beim sogenannten Umfließen von Menschenketten zu Ausschreitungen beider Seiten.


Auch der Polizei wurde im Zusammenhang mit der Räumung Gewalt vorgeworfen. Dies ist nur in einem bestimmten Rahmen der Verhältnismäßigkeit des Polizeirecht rechtmäßig. Beim massiven Einsatz von Schlagstöcken, Pfefferspray, Räumpanzern, Wasserwerfern etc. kam es teils zu unverhältnismäßigen Einsätzen von Gewalt von Seiten der Beamten vor Ort.

Welche Strafen drohen den Aktivisten aus Lützerath?

Die Frage, welche Strafe droht, hängt sehr davon ab, wie der jeweilige Fall gelagert ist und kann daher nicht pauschal beantwortet werden. Es gibt allerdings verschiedene Delikte, die je nach Einzelfall verwirklicht worden sein könnten. Auch der Strafrahmen variiert.

- Aktuelles Urteil vom 19. April 2023 -

Mitte April wurde bereits eine Aktivistin wegen Landfriedensbruch, versuchter gefährlicher Körperverletzung, Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und Verstoßes gegen das Waffenrecht zu einer Freiheitsstrafe von 1,5 Jahren auf Bewährung verurteilt. Aus einer Gruppe heraus hatte die 24-Jährige zunächst einen Pflasterstein geworfen. Danach wurde die Gruppe ins Dorf zurückgedrängt, wo die nun Verurteilte einen brennenden Molotow-Cocktail in Richtung der Polizisten abgefeuert haben soll.

Welche strafrechtlichen Delikte könnten bei den Blockaden rund um Lützerath verwirklicht worden sein?

Wie bereits erwähnt, stehen bei Tätigkeiten im Rahmen von Protestaktionen – auch den Protestaktionen in Lützerath – mehrere möglicherweise verwirklichten Delikte im Raum.

Zur Strafbarkeit wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte: Einhacken und Schubsen

Beispielweise kann das Einhacken der Arme unter den Aktivisten in einer Sitzblocke als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB gedeutet werden. Die Grenzen zu einem tätlichen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, der nach § 114 StGB stärker zu bestrafen ist, sind dabei fließend. Schon jegliche Bewegung in Richtung Polizeibeamter kann als tätlicher Angriff ausgelegt werden, auch bei einer per se friedlichen Demonstration. Spätestens wenn gezielt eine Beamtin geschubst oder getreten wird, kann der Vorwurf eines tätlichen Angriffs nach § 114 StGB erhoben werden.

Zur Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung: Schubsen, Treten und Steine werfen

Außerdem stehen dann selbstverständlich auch die Delikte der Körperverletzung (§ 223 StGB) oder gegebenenfalls auch der gefährlichen Körperverletzung (§§ 223, 224 StGB) im Raum. Ebenfalls strafbar kann es sein, wenn ein Mensch zwar nicht absichtlich, aber zumindest fahrlässig verletzt wurde (§ 229 StGB).


Wegen unter anderem versuchter gefährlicher Körperverletzung wurde Mitte April bereits eine Steinewerferin zu 1,5 Jahren auf Bewährung verurteilt. Gefährlich wird eine Körperverletzung wie in diesem Fall insbesondere, wenn sie mittels eines gefährlichen Werkzeugs (z.B. einer Flasche oder einem Stein) oder aus dem Hinterhalt erfolgt.

Zur Strafbarkeit wegen Landfriedensbruch: Steine werfen und Gewalt durch Gruppen

Wer aus einer Menschenmenge heraus Steine oder andere Wurfgeschosse in Richtung Beamter wirft, läuft Gefahr, sich wegen Landfriedensbruch nach § 125 StGB strafbar zu machen. Das Strafgesetzbuch beschreibt das Delikt als Gewalttätigkeiten oder Bedrohung mit Gewalttätigkeiten, die aus einer Menschenmenge heraus verübt werden. Gewalttätigkeiten in diesem Sinne sind gegen Menschen und Sachen gerichtet strafbar, wenn sie die öffentliche Sicherheit gefährden und mit vereinten Kräften begangen werden. Obwohl viele der demonstrierenden Menschen oder solche, die Teil der Blockaden waren, friedlich blieben, wurden aus abgesonderten Gruppen heraus vereinzelt Ziegelsteine und Molotow-Cocktails geworfen.


Hierbei ist zu beachten, dass auch wenn keine Beamte getroffen werden, derartiges Verhalten dennoch eine Verurteilung wegen Landfriedensbruch nach § 125 StGB nach sich ziehen kann. Außerdem können gewaltsame Ausschreitungen kleiner Gruppen zu einer Delegitimation und Rufschädigung der gesamten Klimaschutzbewegung führen.

Zur Strafbarkeit wegen Nötigung bei Protestaktionen in Lützerath: Festketten und Blockieren

Berichten zufolge sollten einige der Blockaden länger gehalten werden, indem sich einzelne Personen beispielsweise an einbetonierte Rohre ketteten. Außerdem wurden Menschen an einer Art Hochsitz fixiert, der schwer abgebaut werden kann, solange eine Person daran hängt. Umso komplizierter die eingesetzten Vorrichtungen, umso mehr verzögert sich die Auflösung der Blockade. Auch abgesehen von solchen festen Blockadebestandteilen kann allein das Verharren auf dem Gelände, um die Durchführung des Kohleabbaus zu behindern, zum Vorwurf der Nötigung führen. Bei verhärteten Blockaden wie durch Ketten etc., steht darüber hinaus erneut der Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte im Raum.


Vereinfacht ausgedrückt, wird nach § 240 StGB wegen Nötigung bestraft, wer einen anderen Menschen in verwerflicher Weise durch Gewaltanwendung oder durch Drohung zu etwas zwingt. Insbesondere bezüglich der „Klimakleber“ wird dieser Straftatbestand im Zusammenhang mit der Zweite-Reihe-Rechtsprechung stark diskutiert.

Eine genaue Einschätzung kann immer nur anhand der individualisierten Informationen zum jeweiligen Fall vorgenommen werden. Gerade mit Hinblick auf den „guten Zweck“ des Klimaschutzes fallen zum Beispiel die Entscheidungen der Gerichte über die sogenannte Verwerflichkeit der jeweiligen Nötigung regelmäßig unterschiedlich aus.

Zur Strafbarkeit wegen Hausfriedensbruch: Auf dem Privatgelände von RWE verweilen

Das Gelände, auf dem die meisten Aktionen stattfanden, insbesondere in Nähe der Grube, standen bereits im Eigentum des Energiekonzerns RWE. Sowohl das Betreten ohne Befugnis als auch das Verweilen auf privaten Grundstücken kann nach § 123 StGB in Form eines Hausfriedensbruchs strafbar sein.


Spätestens nach der Aufforderung, den Ort zu verlassen, steht der Vorwurf des Hausfriedensbruchs im Raum.


Eine Anzeige wäre in diesen Fällen durch RWE zu erstatten. Bezüglich der wohl bekanntesten Lützerath-Aktivisten „Pinky und Brain“ hatte RWE hierauf verzichtet. Im Gegenzug räumten die beiden ihren unterirdischen Blockadeort freiwillig.

Zur Strafbarkeit wegen Sachbeschädigung: Bagger und Bauzäune beschädigen

Werden fremde Sachen wie Bauzäune oder Bagger im gezielt oder im Verlauf von Aktionen, die sich gegen den Kohleabbau richteten, zerstört oder beschädigt, droht eine Strafe wegen Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 1 StGB.

Wie sollte ich mich nach dem Erhalt eines Strafbefehls verhalten?

Liegt ein Strafbefehl gegen Sie vor, müssen Sie innerhalb einer sehr kurz bemessenen Frist von 2 Wochen (vgl. § 410 Abs. 1 S. 1 StPO), also sofort, reagieren. Hierzu müssen Sie schriftlich oder zu Protokoll bei der jeweiligen Geschäftsstelle Einspruch einlegen. Verstreicht die 2-wöchige Frist, steht ein Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil gleich (vgl. § 410 Abs. 3 StPO), ohne dass Sie vor Gericht erscheinen mussten oder ein gesondertes Urteil erging. Zu beachten ist außerdem, dass die Möglichkeit, Einspruch zu erheben, auf bestimmte Beschwerdepunkte des Strafbefehls beschränkt ist, beispielsweise auf die Höhe der Strafe.


Sie müssen also unbedingt Einspruch einlegen, damit überhaupt eine Hauptverhandlung anberaumt wird. Andernfalls gelten Sie als rechtskräftig verurteilt bezüglich aller Vorwürfe, die im Strafbefehl aufgeführt sind.


Dieses beschleunigte Verfahren verkürzt die Möglichkeit des Beschuldigten Rechtsschutz zu suchen extrem. Umso wichtiger ist es, dass Sie zeitnah einen erfahrenen Anwalt für Strafrecht kontaktieren und mit diesem Ihren Fall und das weitere Vorgehen zu besprechen. Ein Fachanwalt für Strafrecht kann auch Einsicht in die Ermittlungsakten beantragen und auf deren Grundlage eine für Ihren Fall passende Verteidigungsstrategie entwickeln.

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