Keine Heimtücke und Mordversuch bei spontanem Zustechen – Beschluss BGH vom 24.04.2012

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Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom  24.04.2012 - 5 StR 95/12 - ein Urteil des LG Göttingen, welches einen Angeklagten wegen versuchten Mordes  verurteilt hatte, aufgehoben und den Schuldspruch in versuchten Totschlag abgeändert:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts stach der zur Tatzeit „fast 21 Jahre alte" Angeklagte die Nebenklägerin W. , mit der ihn eine intime Beziehung verband, im Rahmen eines nächtlichen Streits zunächst in den Oberarm. Als der sechsjährige Sohn J. der Nebenklägerin aus dem Schlaf erwachte und sofort in die Auseinandersetzung eingriff, stach der Angeklagte zweimal „mit Wucht" in den Rücken des Jungen. Unmittelbar darauf wandte sich der Angeklagte wieder der Nebenklägerin zu und stach auf sie ein. Die Nebenklägerin und ihr Sohn erlitten akut lebensbedrohliche Verletzungen; das Kind ist seit dem Angriff querschnittsgelähmt."

Das Landgericht hatte den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Nach den Feststellungen des 5. Strafsenats lag das Mordmerkmal der Heimtücke bei einem spontanen Wechsel des Opfers nicht vor:

„Die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke setzt voraus, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634 Rn. 9, vom 26. November 2011 - 3 StR 326/11, Rn. 4, jeweils mwN). Dafür ist erforderlich, dass er die Umstände, welche die Tötung zu einer heimtückischen machen, nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Wenn auch nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch insbesondere die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte. Deshalb bedarf es in solchen Fällen in aller Regel der Darlegung von Beweisanzeichen aus denen das Tatgericht folgert, dass der Täter trotz seiner Erregung die für die Heimtücke maßgebenden Gesichtspunkte in sein Bewusstsein aufgenommen hat (BGH aaO)..."

Angesichts dessen spricht nichts dafür, dass der Angeklagte die etwa gegebene Arglosigkeit des Kindes bewusst ausnutzte, um einen tödlichen Angriff zu führen. Das festgestellte rasche Verbergen des Messers vor dem aufwachenden Kind ist vom Landgericht zu Recht nicht bei der Feststellung des Ausnutzungsbewusstseins verwertet worden; es war naheliegend nicht davon motiviert, das Kind in Sicherheit zu wiegen, um diese für einen tödlichen Angriff auszunutzen."

Der Verfasser des Rechtstipps hat sich seit 2001 auf Strafrecht und Opferhilfe spezialisiert. Er hat einen Fachanwaltskurs für Strafrecht erfolgreich absolviert und ist langjähriges Mitglied der Opferschutzorganisation „Weisser Ring".



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