Kündigung von Betriebsräten: Arbeitszeitbetrug eines freigestellten Betriebsratsvorsitzenden

  • 5 Minuten Lesezeit

Erstinstanzlich hat das Arbeitsgericht ArbG Kaiserslautern, Beschluss vom 03.03.2020 - 3 BV 19/19, den Arbeitszeitbetrug des freigestellten Betriebsratsvorsitzenden aus folgenden Gründen bejaht:

„Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 3. März 2020, berichtigt durch Beschluss vom 14. Mai 2020, die Zustimmung des Beteiligten zu 2 zur gemäß Schreiben an den Beteiligten zu 2 vom 15. Oktober 2019 sowie ergänzend vom 23. Dezember 2019 beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung des Beteiligten zu 3 gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ersetzt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt, die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung lägen vor. Ein Arbeitszeitbetrug sei an sich als Kündigungsgrund für eine außerordentliche Kündigung geeignet. Hinsichtlich der Zeiten, die der Beteiligte zu 3 nicht im Betriebsratsbüro anwesend und stattdessen zu Hause gewesen sei, bestehe zumindest der dringende Verdacht eines Arbeitszeitbetrugs….“

Jedoch In der zweiten Instanz hat das LAG Rheinland-Pfalz (7. Kammer), Beschluss vom 28.04.2021 – 7 TaBV 9/20 dieses Urteil des Arbeitsgericht Kaiserslautern wieder aufgehoben, und zwar unter anderem mit folgender Begründung:

„ Die beabsichtigte außerordentliche Kündigung ist jedoch nach Auffassung der Kammer nicht gerechtfertigt. Es liegen keine Tatsachen vor, aufgrund derer der Beteiligten zu 1 unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann. Das gilt sowohl bei einer Einzel- als auch einer Gesamtbetrachtung der von der Beteiligten zu 1 erhobenen Vorwürfe.“

Trotz Freistellung, unberechtigtes Entfernen aus dem Betrieb kann ein fristloser Kündigungsgrund für freigestellten Betriebsratsvorsitzenden sein

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz stellt wie folgt fest: „Das unberechtigte Entfernen aus dem Betrieb ist auch bei einem nach § 38 Abs. 1 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglied - wie dem Beteiligten zu 3 - „an sich“ als wichtiger Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Gibt das freigestellte Betriebsratsmitglied wahrheitswidrig vor, während seiner vertraglich geschuldeten Arbeitszeit betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben wahrgenommen oder sich für diese bereit gehalten zu haben, begeht es einen Arbeitszeitbetrug. Ein solcher ist als wichtiger Grund „an sich“ geeignet.

Ein freigestelltes Betriebsratsmitglied ist für die Dauer seiner Freistellung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verpflichtet, sich während der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit zur Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben zur Verfügung zu halten

Das LAG weiter ausführend: „Dies beruht darauf, dass gesetzliche Folge des § 38 BetrVG ist, dass an die Stelle der Arbeitspflicht im Fall der vollständigen Freistellung die Verpflichtung des Betriebsratsmitglieds tritt, während seiner arbeitsvertraglichen Arbeitszeit im Betrieb am Sitz des Betriebsrats, dem es angehört, anwesend zu sein und sich dort für anfallende Betriebsratsarbeit bereitzuhalten (BAG 25. Oktober 2017 - 7 AZR 731/14 - Rn. 22; 10. Juli 2013 - 7 ABR 22/12 - Rn. 20, jeweils mwN., juris). Dementsprechend entfällt auch der Anspruch auf Leistung von Arbeitsentgelt ohne berufliche Arbeitsleistung, wenn die Freistellung nicht in diesem Sinn im Umfang der Arbeitszeit für Betriebsratstätigkeit genutzt wurde (BAG 28. September 2016 - 7 AZR 248/14 - Rn. 30; 10. Juli 2013 - 7 ABR 22/12 - Rn. 20 mwN.; 19. Mai 1983 - 6 AZR 290/81 - Rn. 8; LAG Rheinland-Pfalz 24. Oktober 2017 - 8 TaBV 19/17 - Rn. 48, jeweils juris; Fitting u. a., BetrVG, 30. Aufl.2020, BetrVG § 38 Rn. 79 mwN.). Etwas Anderes würde auch eine nicht zu rechtfertigende Begünstigung von freigestellten Betriebsratsmitgliedern bedeuten.“

Ab- und Rückmeldepflicht gilt auch für freigestellte Betriebsratsmitglieder, sofern sie Betriebsratsarbeit außerhalb des Betriebes leisten wollen

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: „Die Ab- und Rückmeldepflicht sowie die Pflicht zur Information des Arbeitgebers über die voraussichtliche Dauer der Abwesenheit vom Betrieb gehören auch bei den nach § 38 Abs. 1 BetrVG von der Arbeitsleistung freigestellten Betriebsratsmitgliedern zu den Nebenpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB (BAG 24. Februar 2016 - 7 ABR 20/14 - Rn. 13 mwN., juris). Das freigestellte Betriebsratsmitglied muss während seiner Anwesenheit im Betrieb grundsätzlich nicht nachweisen, dass es Betriebsratsarbeit leistet. Zweck des § 38 Abs. 1 BetrVG ist es, Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über den Umfang der notwendigen Arbeitsbefreiung zu vermeiden. Dieser Zweck entbindet das Betriebsratsmitglied nicht von der vertraglichen Nebenpflicht nach § 241 Abs. 2 BGB, wenn es außerhalb des Betriebs erforderlichen Betriebsratsaufgaben nachgeht. Denn auch bei einem freigestellten Betriebsratsmitglied können Interessen des Arbeitgebers berührt sein. Der Arbeitgeber hat ein berechtigtes Interesse daran zu erfahren, dass eines oder mehrere der freigestellten Betriebsratsmitglieder als Ansprechpartner für mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten vorübergehend nicht im Betrieb zur Verfügung stehen und wie lange mit ihrer Abwesenheit voraussichtlich zu rechnen ist, um sich im Bedarfsfall an andere freigestellte, gegebenenfalls auch an nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder wenden zu können (BAG 24. Februar 2016 - 7 ABR 20/14 - Rn. 14). Dem Interesse des Arbeitgebers kann durch eine nachträgliche Mitteilung der Abwesenheitszeiten ebenso wenig Rechnung getragen werden wie dadurch, dass der Vorsitzende des Betriebsrats oder alle freigestellten Mitglieder über ein dienstliches Mobiltelefon verfügen (BAG 24. Februar 2016 - 7 ABR 20/14 - Rn. 15).“

Die Verletzung der Ab- und Rückmeldepflicht sowie der Pflicht zur Information des Arbeitgebers über die voraussichtliche Dauer der Abwesenheit vom Betrieb des freigestellten Betriebsratsmitglieds ist daher ebenfalls „an sich“ als wichtiger Grund geeignet

Letztendlich scheitert die fristlose Kündigung daran, weil das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz zu folgender Schlussfolgerung kommt: „Allein durch das Verlassen des Betriebsratsbüros hat der Beteiligte zu 3 nach Auffassung der Kammer sich nicht Arbeitsentgelt erschlichen. Zur Überzeugung der Kammer steht nicht fest, dass der Beteiligte zu 3 in den Zeiten seiner Abwesenheit von dem Betriebsratsbüro keine Tätigkeiten für den Beteiligten zu 2 entfaltet hat. Die Beteiligte zu 1 hat behauptet, dass der Beteiligte zu 3 in den Zeiten, in denen er nicht im Betriebsratsbüro anwesend war, keiner Betriebsratstätigkeit nachgegangen sei. Der Beteiligte zu 3 hat sich hingegen darauf berufen, er sei an diesen Tagen zu Hause Betriebsratstätigkeiten nachgegangen, so habe er Recherchen durchgeführt und Telefonate geführt.“

Vorherige Abmahnung wäre erforderlich gewesen

LAG: „Auch wenn der Beteiligte zu 3 mit dem Verlassen des Betriebsratsbüros seine Nebenpflicht zur An- und Abmeldung (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzt hätte, wäre der Beteiligten zu 1 die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und das Ergreifen milderer Mittel, beispielsweise einer Abmahnung, zumutbar.“

Rechtsanwalt Helmut Naujoks ist seit 25 Jahren als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht tätig. Haben Sie Fragen in Bezug auf die Kündigung eines Betriebsrats? Rufen Sie noch heute Rechtsanwalt Helmut Naujoks an, Spezialist als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht. In einer kostenlosen und unverbindlichen telefonischen Ersteinschätzung beantwortet Rechtsanwalt Helmut Naujoks Ihre Fragen zum Kündigungsschutz von Betriebsräten.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Helmut Naujoks

Beiträge zum Thema