Kurz nach Jahresbeginn krank: Nur bei schnellem Arbeitgeber verfällt der Urlaub

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Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 31.01.2023 (Az. 9 AZR 107/20)


Urlaub ist ein häufiges Thema vor dem Bundesarbeitsgericht. Zuletzt mit Urteil vom 31.01.2023 hat das höchste deutsche Arbeitsgericht ein maßgebliches Urteil zu der wiederum häufigen Kombination „Urlaub-Krankheit“ gefällt. Warum gibt es so oft Streit in diesem Bereich des Arbeitsrechts? Das liegt unter anderem an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der seinerseits oft zum Thema Urlaub urteilt, was das Bundesarbeitsgericht dann in deutsche Rechtsprechung überführen muss. Dabei ist das Verhältnis von Urlaub und Krankheit eigentlich im deutschen Recht nicht allzu kompliziert geregelt:


Was gilt bei Krankheit während des Urlaubs?


Wenn ein Arbeitnehmer während seines Urlaubs erkrankt, werden die Tage, für die ein ärztliches Attest vorliegt, gemäß § 9 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) nicht auf den Urlaubsanspruch angerechnet. Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer unter Vorlage einer Krankschreibung die erkrankten Urlaubstage zurückerhalten kann, da der Zweck des Urlaubs - Erholung und Regeneration - während einer Erkrankung nicht erfüllt werden kann.


Ganzjährige Erkrankung: Urlaubsverfall nach 15 Monaten


Bei einer längeren Krankheit, die mindestens ein ganzes Urlaubsjahr vom 1. Januar bis zum 31. Dezember dauert, verfallen die Urlaubstage nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zwar, allerdings nicht am Jahresende, sondern erst 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres.


Beispiel: Bei einer Erkrankung vom 01.01.2021 bis zum 31.12.2023 ist der Jahresurlaub des Jahres 2021 am 31.03.2023 - 15 Monate nach dem Ende des Jahres 2021 - verfallen.


Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers greift bei Krankheit während des Jahres


Seit einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2022 können sich Arbeitgeber auf einen Urlaubsverfall nur noch berufen, wenn sie ihrer Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen sind, damit Arbeitnehmer ihren Urlaub auch in Anspruch nehmen können (näheres dazu hier). Damit ist vor allem ein klarer Hinweis auf den bestehenden Urlaubsanspruch und dessen Befristung gemeint. Das gilt auch bei einer Erkrankung des Arbeitnehmers während des laufenden Jahres: Nur, wenn der Arbeitgeber bis dahin seiner Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen ist, greift die 15-Monats-Frist für den Verfall des Urlaubsanspruch.


Erkrankung kurz nach Jahresbeginn: Anlaufen der Verfallfrist nun geklärt


Ein neueres Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 31.01.2023 (Az. 9 AZR 107/20) betrifft den Fall, dass ein Arbeitnehmer kurz nach Jahresbeginn erkrankt. Das Gericht entschied, wie Arbeitgeber, die unverzüglich handeln und ihre Mitwirkungsobliegenheiten erfüllen, das Anlaufen der 15-Monats-Frist in Gang setzen können.


Der Fall: Krank ab dem 18. Januar


Der Kläger war langjährig im öffentlichen Dienst tätig, jedoch ab dem 18. Januar 2016 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses im Februar 2019 erkrankt. Im Jahr 2016 erhielt er keine Mitteilung über seinen bestehenden Urlaubsanspruch und dessen Befristung. Der Arbeitgeber zahlte Urlaubsabgeltung für die Jahre 2017 bis 2018 sowie für Januar 2019, jedoch nicht für das Jahr 2016. Zur Begründung führte er an, der Urlaubsanspruch des Jahres 2016 sei zum 31. März 2018, nach Ablauf von 15 Monaten, erloschen. Der Kläger argumentierte dagegen, dass der Arbeitgeber ihn in die Lage hätte versetzen müssen, seinen Urlaub im Jahr 2016 zu nehmen. Aufgrund der Verletzung der Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers sei der Anspruch nicht erloschen, und somit sei der Resturlaub aus dem Jahr 2016 noch abzugelten.


Das Urteil: Schnelle Arbeitgeber im Vorteil


Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts betont die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers, die für alle Fälle grundsätzlich gilt (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 31.01.2023, Az. 9 AZR 107/20). Das Gericht stellte weiter fest, dass der Arbeitgeber nur dann das Risiko tragen muss, dass der Urlaub aufgrund einer im laufenden Urlaubsjahr auftretenden Krankheit nicht genommen werden kann, wenn er tatsächlich die Möglichkeit hatte, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Dies allerdings wiederum nur, wenn er seiner Mitwirkungsobliegenheit auch unverzüglich, also ohne Verzögerung, nachkommt. Da der Urlaubsanspruch für Arbeitnehmer - ausgenommen im ersten Beschäftigungsjahr - zum Jahresbeginn entsteht, ist dieser Zeitpunkt grundsätzlich entscheidend. Das Gericht geht davon aus, dass der Arbeitgeber, sofern keine besonderen Umstände wie Betriebsferien vorliegen, innerhalb einer Woche nach Jahresbeginn handeln muss, um seine Mitwirkungspflicht "unverzüglich" zu erfüllen.  Erkrankt der Arbeitnehmer sodann, beginnt die 15-Monats-Frist also zu laufen, obwohl der Arbeitnehmer nicht ganzjährig erkrankt ist. Eine solche Mitteilung war im entschiedenen Fall nicht erfolgt. Allerdings hat das Gericht weiter entschieden, dass nur diejenigen Urlaubstage nicht verfallen, die der Arbeitnehmer auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung durch den Arbeitgeber hätte nehmen können, bevor er durch seine Erkrankung an der Inanspruchnahme von Urlaub gehindert war. Da dem Kläger für das Jahr 30 Urlaubstage zur Verfügung standen und er am 18. Januar für den Rest des Jahres erkrankte, hätte er auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung lediglich 10 Urlaubstage nehmen können. Für die überzähligen Urlaubstage hat das Bundesarbeitsgericht daher die 15-Monats-Frist als angelaufen gewertet.


Fazit


Das Bundesarbeitsgericht hat hier klargestellt, dass Arbeitgeber in der Regel innerhalb der ersten Arbeitswoche des Jahres ihren Mitwirkungsobliegenheiten nachkommen müssen, um das Risiko des Urlaubsverfalls auf den Arbeitnehmer zu verlagern. Auch für Arbeitnehmer ist durch das Urteil Rechtsklarheit geschaffen, sowohl hinsichtlich des Anlaufens der 15-Monatsfrist als auch dahingehend, wie viele Urlaubstage gegebenenfalls verfallen.



Weitere Hinweise zum Thema und zum Urteil können Sie in der Langversion unseres Blogbeitrags hier nachlesen.


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