LG Traunstein, Urteil vom 19.06.2009 – Aktenzeichen: 5 O 4371/08 (nicht rechtskräftig)

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Den Kapitalanlagevermittler trifft keine Verpflichtung, auf einen möglichen Totalverlust der Geldanlage auf Grund Versagens der Aufsichtsbehörden und betrügerischen Handelns der Manager der Finanzfirma aufzuklären; jegliches Lebensrisiko kann nicht ausgeschlossen werden.

Zum Sachverhalt:

Ein Finanzdienstleister wurde von Kleinanlegern wegen der Verletzung von Pflichten bei der Vermittlung zweier Kapitalanlagen verklagt, das investierte Kapital zu erstatten. Beansprucht wurde Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb von Anteilen an ausländischen Investmentfonds. Der Kauf der Anteile erfolgte über die Sparverträge AMIS Global Power Plan und AMIS Kombiplan.

Hintergrund: Die Wiener Finanzfirma Asset Management Investment Services (AMIS) sammelte mehrere Jahre lang über ihre Tochtergesellschaft Amis Financial Consulting Geld von Anlegern in Deutschland und Österreich ein und investierte es in luxemburgische Fonds. Um Kunden zu gewinnen, bediente man sich zahlreicher Vermittler besonders in Süddeutschland. Auch die beklagte Partei war in diesem Geschäftsbereich aktiv und trat als AMIS-Vermittler auf.

Im Jahr 2005 erfuhren die Kläger, dass die österreichische Finanzmarktaufsichtsbehörde die Geschäftsaufsicht über die Fa. AMIS verhängt hat, da gravierende offene Fragen zur Kundenbuchhaltung zu Tage getreten sind. Folgendes stellte sich heraus: Die Asset Management Investment Service AMIS war 1991 unter dem Namen AMV als Vermögensverwaltungsgesellschaft gegründet worden. Bereits 1994 machte die Gesellschaft erste dubiose Geschäfte auf den Bahamas. Die beiden AMIS-Gesellschaften, AMIS Financial Consulting AG und AMIS Asset Management Investment Services AG, investierten das Geld der Anleger hauptsächlich in Fonds in Luxemburg, welche von AMIS verwaltet wurden. Von diesen Fonds wurde das Geld an Scheinfirmen in Florida, auf den Cayman Islands und in Liechtenstein überwiesen, von wo es zum Großteil verschwand.

Im November 2005 wurde über beide AMIS-Gesellschaften beim Handelsgericht in Wien das Konkursverfahren eröffnet. 15.000 Kleinanleger verloren insgesamt 62 Mio. Euro. Die beiden Amis-Chefs tauchten unter, wurden aber wenig später in Venezuela auf der Flucht gefasst. Mehr als ein Drittel der Geschädigten stammt aus Deutschland. Die meisten sind Kleinsparer, die eine sichere Altersvorsorge suchten.

Das AMIS-System war eine komplexe Betrugsmaschinerie und eine Art Pyramidenspiel, es musste wachsen, um immer neues Kapital zu gewinnen, damit die Kunden bei der Auflösung ausbezahlt werden konnten. Die AMIS-Manager wurden zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt: Mit Urteil des Landgerichts Wien vom 21.12.2007 wurden die beiden Firmen-Gründer Dietmar Böhmer und Harald Loidl des schweren gewerbsmäßigen Betrugs schuldig befunden und zu jeweils fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Daneben wurde Ex-AMIS-Manager Thomas Mitter wegen Beihilfe zum Betrug zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Alle Angeklagten hatten zuvor Geständnisse abgelegt.

Bei AMIS hat es letztendlich ein breit angelegtes Netzwerk mit zahlreichen Verschleierungstaktiken gegeben; man ging dabei wie in einem Schneeball-System vor: Neue Anleger sind geholt worden, damit die aussteigenden Anleger ausbezahlt werden konnten.

Der Anlagevermittlungsfirma wurde vor diesem Hintergrund von den Kunden vorgeworfen, sie seien über die Risiken der AMIS-Anlagen nicht hinreichend aufgeklärt worden. Insbesondere erfolgte keine Information darüber, dass die Fa. AMIS österreichischem Recht unterliegt und die Depots in das Recht von Luxemburg fallen, letztlich enorme Vollstreckungsprobleme für deutsche Anleger entstehen können. Wenn ein Anleger in eine Firma investiert, die ausländischem Recht unterliegt, birgt dies ein erhebliches Risiko, da sich die Vollstreckung gegen eine ausländische Gesellschaft naturgemäß weitaus schwieriger darstellt als gegen eine Gesellschaft nach deutschem Recht.

Außerdem sei den Anlegern nicht gesagt worden, dass keine gesicherten Erkenntnisse über die AMIS-Firmenstruktur, das genaue Funktionieren des Geschäftsmodells, die Liquidität und die Hintermänner vorhanden sind.

Schließlich sei ein Hinweis darauf unterblieben, dass bei AMIS die Gefahr einer Insolvenz bestehen kann und für deutsche Kunden keine staatlichen Schutzschirme bezüglich der Rückerstattung der Gelder vorhanden sind. Vor allem hätte über das Risiko des Totalausfalls und die Gefahr, dass die investierten Gelder ggf. als verloren betrachtet werden müssen, wenn AMIS pleite geht, aufgeklärt werden müssen.

Im Klageverfahren verteidigte sich die beklagte Seite damit, dass es eine sichere Kapitalanlage ohne jegliches Risiko nicht geben würde und seinerzeit kein Anlass bestand, an der Seriosität der AMIS AG zu zweifeln.

Die Klageseite erwiderte, dass ihr durchaus bewusst sei, dass nichts auf dieser Welt sicher sei; morgen schon könne in der dritten Welt irgendwo ein Atomkraftwerk in die Luft gehen oder ein Attentat auf einen Staatsmann verübt werden, mit der Folge drastischer Kurseinbrüche an den Weltbörsen. Doch diese Negativszenarien hätten nichts zu tun mit einzelfallbezogenen Wertungen, die im vorliegenden Fall vorgenommen werden müssen: Die Beklagte hätte hier - und dies gibt sie letztlich auch zu - eine extrem hohe Sicherheit der Anlageprodukte vorgegaukelt und der Klagepartei das Gefühl vermittelt, dass das Geld solide angelegt und - selbst wenn im Extremfall Betrügereien stattfänden - nicht verloren gehen werde. An diesen Darstellungen müsse sich die beklagte Partei festhalten lassen.

Zum Urteil:

Das LG Traunstein wies die Klage der Anleger ab. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass den Kapitalanlagevermittler keine Verpflichtung treffe, auf einen möglichen Totalverlust der Geldanlage auf Grund Versagens der Aufsichtsbehörden und betrügerischen Handelns der Manager der Finanzfirma aufzuklären; jegliches Lebensrisiko könne nicht ausgeschlossen werden.

Diese Entscheidung begegnet indes erheblichen Bedenken. Die Erwägung des Gerichts, ein Vermittler müsse nicht über allgemeine Verlustrisiken hinweisen, ist zu pauschal und lässt anderslautende Rechtsprechung unberücksichtigt: In einem vergleichbaren Fall hat z.B. das Landgericht Potsdam ausgeführt, dass im Rahmen der Anlageberatung auch auf bloß theoretische Risiken des Totalausfalls hingewiesen werden müsse (LG Potsdam, Urteil vom 24.06.2009 - 8 O 61/09).

Über den Ausgang des Berufungsverfahrens wird RA Dr. Jürgen Klass berichten.


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