Long Covid, Post Covid, CFS: Urteil des OLG Hamm zur Berufsunfähigkeit stärkt Betroffenenrechte

  • 4 Minuten Lesezeit

Mit unserem heutigem Rechtstipp möchte ich Sie über ein aktuelles und besonders wichtiges Urteil, die körperlichen Erschöpfungskrankheiten Long Covid, Post Covid und CFS betreffend, informieren.

Es handelt sich um eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm aus dem Jahr 2023, welche im Jahr 2024 veröffentlicht wurde.

Das OLG Hamm hat umfangreiche, die Rechtsposition der Versicherungsnehmer in der Berufsunfähigkeitsversicherung stärkende, Ausführungen vorgenommen

Zum Begriff der Berufsunfähigkeit hat das OLG Hamm unter anderem nochmals klargestellt, dass nicht objektive Unmöglichkeit der Berufsausübung gefordert wird, sondern lediglich Unzumutbarkeit der Tätigkeit.

Weitere Ausführungen hierzu entnehmen Sie bitte dem anhängenden Video. 

Das OLG Hamm ist auch dem häufigen Einwand entgegengetreten, dass man den Betroffenen die Erkrankung nicht ansehe und dieses im Widerspruch zu den geschilderten Beschwerden stehe.

Dazu das OLG Hamm:

Im Übrigen haben die Klägerin und der Sachverständige I. im Senatstermin überzeugend geschildert, wie die Krankheit und der - vordergründig und vorübergehend - mitunter entstehende Eindruck einer uneingeschränkten Leistungsfähigkeit der Klägerin miteinander vereinbar sind. So hat die Klägerin berichtet, dass sie sich in anspruchsvollen Situationen wie einer Begutachtung oder eines Gerichtstermins vorher besonders schont, während der Situation extrem konzentriert und damit (über-)anstrengt und anschließend über das normale Maß hinaus erschöpft ist. Dies hat der Sachverständige I. bestätigt und hierzu ausgeführt, dass das Krankheitsbild der Klägerin kurzzeitig eine höhere Leistungsfähigkeit ermögliche, was das Gehirn aber nicht ungestraft zulasse. Anders als Patienten mit Tumorerkrankungen oder Multipler Sklerose, die bei vergleichbaren Beeinträchtigungen der Hirnleistungsfunktion auch für einen Laien nach vergleichsweise kurzem Kontakt sichtbare Defizite offenbaren, zeigen Patienten mit einem Chronischen Fatigue Syndrom wie die Klägerin solche Erscheinungen nicht ohne weiteres zeitnah.

Des weiteren ist das OLG Hamm unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit des Nachweises der Erkrankung dem häufigen Einwand entgegengetreten, dass keine hinreichenden Befunde zum Nachweis der Erkrankung vorlägen.

Dazu das OLG Hamm:

Würde man, wie es der Prozessbevollmächtigte der Beklagten vor dem Senat jedenfalls andeutungsweise gefordert hat, stets gleichsam gemessene, präzis bestimmte, unumstößlich gesicherte Befunde fordern, wäre im Falle von Erkrankungen, die nicht etwa auf plötzliche Ereignisse zurückzuführen sind und nicht mit sofort eintretenden, erkennbaren Beeinträchtigungen einhergehen, die Feststellung einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit für die Vergangenheit in vielen Fällen praktisch nicht möglich, weil die Begutachtungen und die damit einhergehenden testpsychologischen Untersuchungen zur Validierung regelmäßig erst geraume Zeit nach dem vom Versicherungsnehmer geltend gemachten Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit stattfinden. Eine solche Betrachtungsweise verlangt § 286 ZPO nicht. Und im Übrigen, dies sei wiederum lediglich angemerkt, würde eine solche Betrachtungsweise den von der Beklagten versprochenen Versicherungsschutz, wie ihn der durchschnittliche Versicherungsnehmer verstehen darf, teilweise entwerten.

…………

Die Schilderungen der Klägerin zu ihrer langen Krankheitsgeschichte und insbesondere die plastische Beschreibung ihres Zustandes, der sie veranlasste, nachts einen Rettungswagen zu rufen, sind nach den Ausführungen des Sachverständigen aus ärztlicher Sicht gut vereinbar mit einem sich über Jahre entwickelnden Krankheitsverlauf. Unter der Berücksichtigung, dass die Klägerin nach allen zwischenzeitlich eingeholten Gutachten keinerlei Tendenzen der Aggravation oder der Simulation zeigt, sondern im Gegenteil dazu neigt, an sich selbst sehr hohe Anforderungen zu stellen und sich damit auch zu überfordern, bildet der nächtliche Notarzteinsatz eine Zäsur, die zusammen mit der seither ununterbrochen ärztlich bestätigten Arbeitsunfähigkeit zur der Gewissheit des Senats führt, dass die Klägerin ihren Beruf seither nicht mehr zu mindestens 50 % ausüben konnte.

……….

Soweit der Sachverständige im Laufe seiner Erläuterungen vor dem Senat im Hinblick auf die retrospektive Bewertung der Berufsunfähigkeit zunächst erklärt hat, keine wissenschaftliche Sicherheit berichten zu können, sondern seine Überzeugung ("keine Zweifel", eGA-II 333) als "wissenschaftlich weich" bezeichnet hat, steht dies der richterlichen Überzeugungsbildung nicht entgegen. Denn die richterliche Überzeugungsbildung verlangt gerade keine Sicherheit im Sinne einer naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeit. Und auch wenn aus fachärztlicher Sicht eine wissenschaftliche fundierte Überzeugung regelmäßig eine Objektivierung in den dafür entwickelten Testskalen erfordert, schließt dies nicht aus, dass andere Informationen aus ärztlicher Sicht die von einem Patienten für die Vergangenheit beklagten Beeinträchtigungen belegen und so zu einer richterlichen Überzeugung für ein Mindestmaß der Beeinträchtigung in der Vergangenheit führen können. So ist es hier. Der Sachverständige hat bekräftigt, dass er nach seiner fachlichen Erfahrung und Einschätzung letztlich keine Zweifel an einer Berufsunfähigkeit der Klägerin ab Mai 2016 habe.

Durch dieses Urteil ist die Rechtsposition der Betroffenen von körperlichen Erschöpfungskrankheiten erheblich verbessert worden.

Ich selbst vertrete Mandanten in Versicherungssachen im gesamten Bundesgebiet und auch bei sämtlichen Landes- und Oberlandesgerichten.

Wir berechnen im Übrigen keinerlei Kosten für eine Erstberatung.


Um dieses Video anzuzeigen, lassen Sie bitte die Verwendung von Cookies zu.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Frank Vormbaum

Beiträge zum Thema