Weitere zehn Fakten über Verfassungsbeschwerden

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Nachdem mein letzter Beitrag „Zehn Fakten über Verfassungsbeschwerden" einiges Interesse gefunden hat, habe ich nun zehn weitere wissenswerte Dinge über dieses Rechtsgebiet ausgegraben.

11. Es gibt keine mündliche Verhandlung

In aller Regel entscheidet das Bundesverfassungsgericht ohne mündliche Verhandlung. Zwar findet bei einigen besonders bedeutenden oder rechtlich umstrittenen Fällen ein echter Prozess statt, angesichts der Vielzahl der Verfassungsbeschwerden ist dieses Vorgehen aber nicht immer möglich.

Normalerweise entscheidet das BVerfG daher im Beschlussweg, also aufgrund der Akteneinhalte, ohne mündliche Verhandlung. Darum ist eine besonders tiefgehende schriftliche Begründung notwendig.

12. Nicht alle Richter entscheiden über die Verfassungsbeschwerde

Das Bundesverfassungsgericht besteht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richtern. In der mündlichen Verhandlung entscheidet einer der beiden Senate in voller Besetzung.

Soweit es – was die Regel ist, siehe oben – aber ohne mündliche Verhandlung im Beschlussweg entscheidet, wirken daran nur drei dieser acht Richter als sogenannte Kammer mit.

13. Verfassungsbeschwerden sind nicht oft erfolgreich

Die Erfolgsquoten für Verfassungsbeschwerden liegen Jahr für Jahr zwischen 1,5 und 3,5 %. Hier sind auch bereits teilweise erfolgreiche Verfassungsbeschwerden inbegriffen.

Besonders gering sind die Chancen dabei in der Regel bei Beschwerden, die der betroffene Bürger selbst eingereicht hat. Höher sind die Erfolgsaussichten dagegen, wenn man sich von einem spezialisierten Anwalt vertreten lässt.

14. Das Bundesverfassungsgericht arbeitet gratis

Fast alle Gerichtsverfahren sind mit Gebühren verbunden, jedenfalls für den Unterlegenen. Beim Bundesverfassungsgericht ist das aber anders. Gemäß § 34 Abs. 1 BVerfGG ist das Verfahren hier kostenfrei.

Allerdings können bei besonders aussichtslosen Verfassungsbeschwerden bis zu 2600 Euro Gerichtsgebühr verlangt werden, die sogenannte Missbrauchsgebühr.

Hinzu kommen natürlich noch die Anwaltskosten, die auch im Falle einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde meist nur teilweise nach Pauschalsätzen erstattet werden.

15. Das Bundesverfassungsgericht hat einige Grundrechte selbst erfunden

Die Grundrechte stehen im Grundgesetz in den Artikeln 1 bis 20. Daneben gibt es weitere grundrechtsgleiche Rechte, die man in späteren Artikeln findet. Allerdings sind mittlerweile auch Grundrechte anerkannt, die nirgends ausdrücklich stehen.

Die oben gewählte Formulierung, die Richter des Bundesverfassungsgerichts hätten diese Grundrechte „erfunden“, ist natürlich etwas überspitzt. Rechtsdogmatisch werden diese Grundrechte aus den geschriebenen Grundrechten abgeleitet.

So werden aus einer Kombination von allgemeiner Handlungsfreiheit und Menschenwürde (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) bspw. das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie das „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ (Computergrundrecht) herausgelesen.

16. Auch Menschenrechte können Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein

Die Menschenrechte, die bspw. in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) niedergelegt sind, sind keine Grundrechte im eigentlichen Sinne. Eine Verfassungsbeschwerde kann jedoch trotzdem darauf gestützt werden, soweit diese Menschenrechte dazu dienen können, die Grundrechte auszulegen.

Setzt sich ein Fachgericht nicht mit den Menschenrechten der EMRK auseinander, so kann dies einen Verstoß gegen das entsprechende Grundrecht des Grundgesetzes sowie gegen das Rechtsstaatsgebot darstellen. Man spricht insoweit von einer „mittelbaren Verfassungsbeschwerdefähigkeit“.

17. Der Bürger hat auch das Recht auf ein korrektes Gesetzgebungsverfahren

An sich können nur individuelle Grundrechte gerügt werden. Der Bürger muss sich darüber beschweren, dass seine persönlichen Rechtspositionen verletzt werden.

Allerdings gibt es auch ein Recht darauf, dass der Eingriff in Grundrechte nur durch ein korrekt zustande gekommenes Gesetz geschieht. Darum wird auch das Gesetzgebungsverfahren durch das Bundesverfassungsgericht geprüft, z. B. die Beteiligung des Bundesrats oder die Gesetzgebungsbefugnis.

18. Die Hauptarbeit machen nicht unbedingt die Richter

Innerhalb der Kammer, die aus drei Richtern besteht, ist in der Regel ein einzelner Richter als Berichterstatter zuständig. Dieser bearbeitet den Fall aber nicht von vorn bis hinten selbst, sondern er hat vier wissenschaftliche Mitarbeiter zur Seite, die ihn unterstützen.

Teilweise machen diese auch die Hauptarbeit, indem sie den Sachverhalt aufbereiten, vorherige Urteile recherchieren und die Entscheidung vorbereiten.

19. Eine Rechtsschutzversicherung zahlt selten für eine Verfassungsbeschwerde

Was genau eine Rechtsschutzversicherung übernimmt, kommt sehr auf die jeweiligen Vertragsbedingungen an. Verfassungsbeschwerden gehören jedoch in aller Regel nicht dazu. Nur in ganz seltenen Fällen, bspw. bei jahrelangen Kunden, die ihre Versicherung nie in Anspruch genommen haben, springt diese manchmal aus Kulanz ein.

Auch dann werden aber regelmäßig nur die relativ niedrigen gesetzlichen Gebühren gemäß RVG übernommen. Tatsächlich müssen aber meist deutlich höhere Honorare vereinbart werden, da eine Verfassungsbeschwerde ganz erheblichen Aufwand verursacht.

20. Niemand kann die Erfolgsaussichten einer bestimmten Verfassungsbeschwerde genau einschätzen

Ein auf Verfassungsbeschwerden spezialisierter Rechtsanwalt kennt die bisherige Rechtsprechung des BVerfG zu bestimmten Fragen und kann abschätzen, wie sich das auf das Urteil in einem bestimmten Fall auswirken könnte. Er kann auf Chancen und Risiken hinweisen und die Verfassungsbeschwerde so begründen, dass die Erfolgsaussichten möglichst groß sind.

Aber wie das Gericht dann wirklich entscheiden wird, kann niemand vorhersagen. Es gab und gibt immer wieder Karlsruher Überraschungsentscheidungen. Und es ist immer möglich, dass die Richter bestimmte Aspekte höher oder geringer gewichten als man es erwartet hätte. Insofern ist kaum eine Verfassungsbeschwerde völlig chancenlos, aber auch keine eine ganz sichere Sache.

Hier geht's weiter: Zehn Fakten über Verfassungsbeschwerden (Nr. 1 bis 10) | Nochmal zehn Fakten über Verfassungsbeschwerden (Nr. 21 bis 30) 

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