Online-Casino – BGH-Mitteilung vom 17.01.2024: Verfahrensaussetzung bei online-Poker/ Verhandlungstermin bei Sportwetten

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In einer Pressemitteilung vom 17.01.2024 teilte der BGH mit, das Verfahren zu Rückforderung bei online-Pokerspielen BGH I ZR 53/23 werde bis zur Entscheidung des EuGH C-440/23 ausgesetzt. Dabei handelt es sich um das Verfahren des OLG Hamm 21 U 116/21 als Vorinstanz.

Mit einer parallelen Pressemitteilung vom gleichen Tag zum Verfahren BGH I ZR 90/23 setzte der BGH den Termin zur mündlichen Verhandlung über einen Sportwetten-Sachverhalt auf den 07.03.2024 fest.

Das erscheint auf den ersten Blick unverständlich, daher an dieser Stelle ein kurzer Blick auf einige Details.


Warum wird das Verfahren zu Poker-Spielen ausgesetzt, das Verfahren zu Sportwetten jedoch nicht?

Vereinfacht gesagt, der wesentliche Unterschied liegt im alten GlüStV, welcher in beiden Sachverhalten relevant ist. Dabei regelte zunächst § 4 Abs.4 GlüStV, dass online Casinos (wozu ebenso auch Angebote für online-Pokerspiele als solches zählen) ausnahmslos verboten waren. Die Öffnungsklausel Schleswig-Holstein jetzt einmal außen vorgelassen. Genau dieses Verbot und mögliche Fragen zu Art. 56 AEUV ist aber im weitesten Sinne Gegenstand der EuGH-Vorlage. Dort möchte das maltesische Gericht vom EuGH Klärungen zu verschiedenen Punkten haben, welche das deutsche Totalverbot von online-Glücksspielen betreffen. Zwar geht es vor dem EuGH in aller erster Linie um Zweitlotterien, weshalb zahlreiche deutsche Gerichte nicht zuletzt deshalb bislang die Verfahrensaussetzung auch abgelehnt haben. Zumindest am Rande sind aber auch grundsätzliche Wertungen zu Glücksspielangeboten als solches mit einbezogen.

Es soll also vor dem EuGH geprüft werden, ob § 4 Abs.4 GlüStV als Grundnorm der Spielerklagen europarechtswidrig ist. Erst danach geht der BGH von einer sinnvollen Entscheidungsmöglichkeit aus.


Online-Sportwetten hingegen waren zwar auch nach § 4 Abs.4 GlüStV verboten, enthielten aber eine Öffnungsklausel, indem nach § 4 Abs.5 GlüStV unter engen Voraussetzungen eine Genehmigung erteilt werden konnte. Da hier lediglich ein sogenanntes „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ bestanden hat, stellt sich die Europarechtswidrigkeit nicht bzw. nicht im gleichen Umfang. Auch wenn das die Sportwettenanbieter naturgemäß sicherlich anders bewerten, bestand für Sportwetten, anders als bei Casino-Angeboten, jedenfalls die theoretische Erlaubnisfähigkeit und Erlaubnismöglichkeit.



Ist das aber am Ende nicht irgendwie das gleiche? Wird also im Ergebnis nicht um die gleichen Themen vor dem BGH gestritten?

Richtig ist, dass unabhängig von der Erlaubnisfähigkeit über weite Strecken die gleichen Themen relevant sind. Und genau das macht die bevorstehende Entscheidung des BGH zur Sportwetten-Thematik auch durchaus interessant für sonstige Casino-Sachverhalte.

Die maßgebliche abweichende Frage in der Konstellation bei Sportwetten ist vereinfacht gesagt, wie es sich auswirkt, wenn ein Sportwetten-Anbieter damals eine Lizenz beantragt hat, diese aber zum Spielzeitraum noch nicht erteilt war. Auch wäre zu fragen, ob es maßgeblich ist, dass zwar keine Lizenz erteilt war, jedoch alle Voraussetzungen für die Lizenzerteilung erfüllt waren und der Anbieter auch exakt in der vorgeschriebenen Form „redlich“ aufgetreten ist.

Tendenz dazu?

Spannend! Hatte die gleiche Kammer des BGH I ZR 148/22 doch erst kürzlich in einem Fall zu einem Verfahren zwischen zwei Glücksspielanbietern über Werbung für Zweitlotterien in einem Nebensatz klargestellt:

„Maßgeblich kommt es mithin nicht auf ein "Bemühen" um eine Erlaubnis an, sondern allein auf die - unstreitig - fehlende (nationale) Erlaubnis. Solange diese Erlaubnis nicht vorliegt, ist das Verhalten formell illegal.“

Unterstellt, der BGH würde diese Aussage auch auf das Lizenzerteilungsverfahren bei Sportwettenanbietern anwenden, dann wäre diese Hürde wohl zu überspringen. Dann würden nachfolgend auch tatsächlich die Fragen wichtig sein, welche ebenso für Casino-Klagen regelmäßig zu prüfen sind.

Dazu zählen etwa, wie sich die mangels Lizenz ergebende Illegalität des Angebots auf eine Nichtigkeit des Spielvertrags nach § 134 BGB auswirkt, möglicherweise auch, wie es sich mit der Kenntnis oder einem Kennenmüssen des Spielers über die Illegalität verhält und/ oder ob möglicherweise eine Sonderauslegung des § 817 S. 2 BGB (teleologische Reduktion) geboten ist.

Spannend ist in diesem Sachverhalt ebenso die Frage, ob ein Anspruch auch aus § 823 BGB herzuleiten ist. Zumindest das ist wohl einer der umstrittensten Punkte der aktuellen Rechtsprechung, auch wenn es darauf meist im Ergebnis nicht wirklich ankommt.



Das OLG Karlsruhe 19 U 48/23 hat doch erst vor kurzem für Sportwetten eine Rückzahlung durchgewunken. Der BGH ist auch in Karlsruhe. Ist das dann nicht einfach nur noch Formsache?

Ganz klar nein. Selbst dann, wenn das OLG Karlsruhe und der BGH in Karlsruhe im selben Gebäude und Tür an Tür sitzen würden, es sind zwei vollkommen unterschiedliche Gerichte. Nur deshalb, weil ein Gericht in Karlsruhe eine Entscheidung getroffen hat, nimmt der BGH diese kaum als maßgeblich zur Grundlage. Sicher, der BGH wird die OLG-Rechtsprechung grundsätzlich betrachten und damit auch die des OLG Karlsruhe. Am Ende ist es aber egal, wo das jeweilige OLG seinen Sitz hat.

Bildliches Beispiel: in Berlin sitzen das Amtsgericht Mitte und das Landgericht Berlin tatsächlich im gleichen Gebäude in der Littenstraße. Auch das hat selbstverständlich keinerlei Einfluss auf irgendeine Entscheidungsfindung bei laufenden Berufungsverfahren. Auch dann nicht, wenn die Richter beider Gerichte sich in der gleichen Kantine im Gebäude zum Kaffeeplausch begegnen.



Egal wie der BGH I ZR 90/23 entscheiden wird, können danach weitere Sportwetten-Klagen überhaupt noch zum BGH gelangen und was soll dann noch geklärt werden?

Ganz klar ja. Der BGH wird sicherlich keinen Rundumschlag gegen jeden einzeln denkbaren Punkt in Sachen Sportwetten machen. In erster Linie ist der BGH in seiner Entscheidung an die Diskussionen der Vorinstanzen gebunden und wird keine abweichenden Alternativen einbeziehen. So sieht es derzeit nicht danach aus, dass im Verfahren der Vorinstanzen die Thematik rund um § 817 BGB diskutiert wurde. Das ist aber sehr wohl eine zentrale Norm, wenn es etwa auf die Frage der Kenntnis des Spielers von der Illegalität ankommt. Auch scheinen hier nicht Probleme der Verjährung in den Vorinstanzen angesprochen worden zu sein. Ebenso wäre offen, was mit Anbietern ist, welche nicht die Voraussetzungen des Konzessionsverfahrens erfüllen konnten oder die durch eine zahlenmäßige Beschränkung des Verfahrens nicht oder nur auf hinteren Rängen einbezogen worden sind? Gilt für diese dann wiederum das Totalverbot? All das wäre durchaus denkbare Grundlage weiter Entscheidungen.

Es sind jedoch weitere Sportwetten-Klagen beim BGH bereits anhängig, die ebenso noch zu entscheiden sind. Das aktuelle Verfahren wird eine Richtung aufweisen, aber voraussichtlich nicht der Weisheit letzter Schluss sein.


Und was ist mit den weiteren Casino-Klagen, die beim BGH anhängig sind? Werden die jetzt auch alle ausgesetzt?

In der Tat sind weitere Casino-Verfahren beim BGH anhängig. Mit Blick auf die kurze Begründung der Presseerklärung ist durchaus nicht auszuschließen, dass auch diese Verfahren bis zu einer Entscheidung des EuGH ausgesetzt werden. Teilweise sind diese Verfahren jedoch bei anderen Kammern am BGH, siehe etwa BGH VI ZR 99/23. Es bleibt also durchaus spannend, ob die Kammern hinsichtlich der Verfahrensaussetzung die gleiche Auffassung vertreten. Denn selbst am BGH werden durchaus gegensätzliche Meinungen vertreten. Zwar kann ein Senat des BGH nicht so mir nichts dir nichts von einer entschiedenen Rechtsfrage eines anderen Senats abweichen. In einem solchen Fall wäre der Große Senat zuständig, um eine einheitliche Lösung zu finden. Allerdings sind wir noch nicht in dem Verfahrensstand, in welchem über materiellrechtliche Fragen diskutiert wird, sondern zunächst nur über eine Vorfrage im Rahmen der Verfahrensaussetzung.


Sind nach der BGH-Entscheidung zu Sportwetten alle anderen deutschen Gerichte verbindlich an die Aussagen des BGH gebunden?

Jain. Eine absolute Bindung aller Gerichte an eine BGH-Entscheidung existiert im deutschen Recht nicht. Jeder Fall ist im Grunde ein Einzelfall, sodass jeder Richter sich auch seine eigenen Gedanken macht bzw. machen muss. Natürlich ist nun nicht zu erwarten, dass gegen verbindlich geklärte Punkte des BGH untergeordnete Gerichte stetig feuern und reihenweise anders entscheiden. Allerdings reichen schon einzelne Sachverhaltsabweichungen, um auch eine andere Entscheidung zu begründen. Auch die Entwicklung seitens des EuGH ist sicherlich nicht unbeachtlich, sodass auch daraus für künftige Fälle Spielraum für andere Bewertungen möglich sein kann.

Letztlich gibt auch der BGH immer wieder einmal eine Rechtsauffassung ausdrücklich auf und beurteilt vermeintlich gleichgelagerte Sachverhalte anders. Damit sind die Messen jedenfalls noch nicht final gesungen, egal wie der BGH nun entscheiden wird.



Bei Poker- und Casino-Klagen, was mache ich denn nun mit meinem Fall, wenn der BGH das Verfahren I ZR 53/23 ausgesetzt hat?

Zu unterscheiden sind dabei Fälle, die bereits bei einem Gericht anhängig sind und solche, für die eine Klage erst noch geplant ist.

Bei Fällen, die bereits bei einem Gericht sind, läuft alles zunächst regulär weiter, zumindest in der ersten Instanz. Verfahren, welche bereits bei einem OLG sind, könnten natürlich ebenso ausgesetzt werden, wenn das jeweilige OLG deutliche Parallelen und identische Fragestellungen sieht. Dann verzögern sich in jedem Fall die Verfahren, denn bis es eine Entscheidung des EuGH und anschließend des BGH gibt, dürften noch etliche Monate vergehen. Hier wäre jedenfalls in diesem Jahr nur schwer mit einer Entscheidung zu rechnen sein.

Problematisch sind möglicherweise Fälle, bei denen noch die Überlegung aussteht, ob überhaupt geklagt werden soll oder nicht. Problematisch ist das vor allem deshalb, weil die Verjährungsfristen weiterlaufen. Nur dann, wenn ein Sachverhalt am Gericht ist, wird die Verjährung gestoppt (bzw. genau gesagt „gehemmt“). Wer also abwartet und seine Klageentscheidung von einer künftigen Entscheidung des EuGH/ BGH abhängig macht, riskiert in die Verjährung zu laufen. Das vor allem dann, wenn sich eine Entscheidung des EuGH und erst danach des BGH noch über das Jahr 2024 hinaus hinziehen dürfte. Entsprechend muss in diesen Fällen der Fokus nicht unerheblich auf die Frage der Verjährung gelegt werden, dabei auch mit den damit verbundenen Risiken.



Auf eine Entscheidung des BGH zum Thema Sportwetten und online-Casino wird seit längerem gewartet, nun deuten sich für online Sportwetten die ersten Schritte in diese Richtung an. Eine Entscheidung wird sicherlich Signalwirkung haben, ist aber mit recht großer Wahrscheinlichkeit nicht das Ende der Fahnenstange. Es heißt nun, die weitere Entwicklung und nicht zuletzt die Auswirkung auf die Rechtsprechung, vor allem der Instanzgerichte, abzuwarten und genau zu beobachten.


update 04.03.2024: der für den 07.03.2024 angesetzte Verhandlungstermin zum Verfahren I ZR 90/23 zu Sportwetten ist aufgehoben worden, das Verfahren wurde ruhend gestellt. Hintergrund sind Vergleichsverhandlungen zwischen den Parteien. Ob und wann das Verfahren fortgeführt wird, ist, Stand heute, unklar. 

Eine Entscheidung des BGH zur Thematik ist damit zunächst wieder in einige Ferne gerückt. Wann für andere anhängige BGH-Verfahren zum Thema Sportwetten ein Verhandlungstermin angesetzt wird, ist derzeit noch offen. 


Sollten Sie Rückfragen zu diesem oder einem anderen Sachverhalt haben, können Sie mich gern kontaktieren. Sie erreichen mich idealerweise über das Kontaktformular oder per Email.


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