Risiko des Annahmeverzugslohns bei Kündigungsschutzrechtstreitigkeiten

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Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg  hat gezeigt, dass Arbeitgeber effektive Möglichkeiten haben, ihre Risiken bezüglich der Zahlung von Annahmeverzugslohn nach einem Kündigungsschutzrechtsstreit zu begrenzen.

Nachdem ein Arbeitgeber eine Kündigung ausgesprochen hat, wird diese vom betroffenen Arbeitnehmer oft vor dem Arbeitsgericht angegriffen, indem eine Kündigungsschutzklage eingereicht wird. Aufgrund der hohen Anforderungen an die (soziale) Rechtfertigung einer Kündigung möchte der Arbeitgeber in der Regel die Angelegenheit schnell beenden, indem er einen Vergleich abschließt. Der Vergleich sieht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes und der sozialen Vorteile des Arbeitnehmers vor. Die Bereitschaft des Arbeitgebers, einen großzügigen Abfindungsbetrag anzubieten, wird auch durch die potenziellen Risiken des Annahmeverzugslohns beeinflusst, die durch einen langwierigen Rechtsstreit über mehrere Instanzen entstehen können.

Angesichts dieser Situation steigt oft die Bereitschaft des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer ein großzügiges Angebot zur Zahlung einer Abfindung zu machen, um sich von den steigenden wirtschaftlichen Risiken des Unternehmens während des Verfahrens freizukaufen. Wenn der Arbeitnehmer dem Angebot zustimmt, endet der Kündigungsschutzrechtsstreit durch einen Vergleich, der das Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis vorsieht. Für den Arbeitgeber ist die Alternative, den Rechtsstreit fortzusetzen, oft wenig attraktiv, da der Arbeitnehmer den Ausgang des Verfahrens abwarten und dann den gesamten Annahmeverzugslohn für den Zeitraum nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens fordern könnte.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat im Jahr 2020 bereits Grenzen für diese gängige Taktik auf Seiten der Arbeitnehmer aufgezeigt. Nach einem Urteil des BAG kann der Arbeitgeber von einem Arbeitnehmer, der Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugslohn erhebt, Informationen über Vermittlungsvorschläge verlangen, die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreitet wurden. Diese Informationen beinhalten Angaben zur Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung. Das BAG argumentiert, dass der Arbeitgeber nur durch Kenntnis dieser Informationen Indizien vorbringen kann, die auf die Zumutbarkeit der Annahme einer Arbeit und die böswillige Unterlassung anderweitiger Erwerbstätigkeit hinweisen. Gemäß den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast wäre es dann an dem Arbeitnehmer, die relevanten Indizien zu widerlegen und darzulegen, aus welchen Gründen und Überlegungen kein Vertragsabschluss (als Voraussetzung für die Aufnahme einer anderen Tätigkeit) erfolgt ist oder warum dies für den Arbeitnehmer unzumutbar gewesen sein soll.

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat das höchstrichterliche Urteil im konkreten Fall umgesetzt und den vom gekündigten Arbeitnehmer geltend gemachten Anspruch auf Annahmeverzugslohn wegen eines böswilligen Unterlassens der Annahme zumutbarer Arbeit auf null reduziert. Das Gericht kritisierte insbesondere, dass der Kläger nicht ausreichend nachweisen konnte, in welchem Umfang er sich um eine neue Stelle bemüht hatte. Die Anzahl von 103 Bewerbungen über einen Zeitraum von 29 Monaten wurde als unzureichend angesehen, da der Kläger während dieser Zeit arbeitslos war und daher genügend Zeit gehabt hätte, sich intensiver zu bewerben.

Des Weiteren wurde die Qualität der eingereichten Bewerbungen als Indiz für die Zumutbarkeit der Arbeit und mögliche böswillige Untätigkeit des Klägers betrachtet. Es wurde festgestellt, dass den Bewerbungsmails keine Stellenkennzeichen, schlagwortartige Stellenbezeichnungen oder Betreffzeilen zu entnehmen waren. Die Anrede war in der Regel nicht individualisiert, und inhaltlich waren die Bewerbungen nicht auf die konkrete Stelle oder den potenziellen Arbeitgeber zugeschnitten. Zudem wiesen die kurzen Texte zwei Fehler auf.

Der klagende Arbeitnehmer konnte diese vom Arbeitgeber vorgebrachten Indizien nicht ausreichend widerlegen.

Das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg ist besonders relevant für Unternehmen, die sich in laufenden Kündigungsschutzverfahren oder im Anschluss damit konfrontiert sehen, mit Annahmeverzugslohnansprüchen gekündigter Mitarbeiter konfrontiert zu werden. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen Mitarbeiter mit einer hohen Vergütung betroffen sind. Wenn eine einvernehmliche Lösung und eine Abfindungszahlung an den Arbeitnehmer aufgrund übertrieben hoher Forderungen scheitern, bleibt dem Arbeitgeber oft keine andere Wahl, als die Grundsätze gemäß § 615 Satz 2 BGB, entwickelt durch das BAG, und nun auch das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg, zur Reduzierung der eigenen wirtschaftlichen Risiken anzuwenden.

Die Entscheidung aus Berlin verdeutlicht, dass der erfolgreiche Widerstand gegen geltend gemachte Annahmeverzugslohnansprüche von den spezifischen Umständen des Einzelfalls abhängt, insbesondere vom (prozessualen) Verhalten des Mitarbeiters in Bezug auf seine Bemühungen um eine neue Anstellung. Es ist möglich, dass der Fall, über den das LAG Berlin-Brandenburg entschieden hat, ein "Extremfall" ist und sich nicht dazu eignet, als generelles Muster zu dienen, um geltend gemachte Annahmeverzugslohnansprüche erfolgreich abzuwehren oder übermäßig teure Vergleiche auszuschließen. Die Entscheidung zeigt jedoch zumindest deutlich, dass Arbeitgeber Möglichkeiten haben, sich erfolgreich gegen Annahmeverzugslohnansprüche in oder nach einem Kündigungsschutzverfahren zu verteidigen. Sie verdeutlicht auch die Gefahr für Arbeitnehmer, die einfach nur abwarten möchten, um nach einem erfolgreichen Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens zusätzlich Annahmeverzugslohn zu fordern, ohne jedoch selbst die Arbeit geleistet zu haben oder sich zumindest um eine andere Tätigkeit (bei einem anderen Arbeitgeber) zu bemühen, was angesichts der aktuellen Arbeitsmarktlage und des Fachkräftemangels möglich und zumutbar ist. Wenn der Arbeitnehmer untätig bleibt, obwohl er sich - wie das LAG Berlin-Brandenburg feststellt - in Vollzeit um eine andere Stelle kümmern könnte, kann sich diese Passivität negativ auf ihn auswirken. Dies gilt übrigens auch für halbherzige und oberflächliche Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers, die nicht auf eine ernsthafte berufliche Neuorientierung abzielen, sondern lediglich dazu dienen, den Anspruch auf Zahlung des Annahmeverzugslohns aufrechtzuerhalten.

Gerne berate ich sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber im Rahmen von Kündigungsschutzrechtstreitigkeiten.

Foto(s): picsart

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