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Risiko Scheinselbstständigkeit

  • 4 Minuten Lesezeit
Ferdinand Mang anwalt.de-Redaktion

Die Problematik der Scheinselbstständigkeit ist immer wieder Gegenstand politischer Debatten. Leider werden den Arbeitnehmern unter dem Vorwand der Selbstständigkeit immer noch Sozialversicherungsbeiträge vorenthalten. 

Das heißt, der Arbeitgeber verhält sich wie ein Auftraggeber, der Aufträge an „Subunternehmer“, „freie Mitarbeiter“ oder andere „selbstständige Unternehmer“ erteilt, die in Wirklichkeit juristisch gesehen seine Arbeitnehmer sind. Solche Auftragnehmer, die nach außen selbstständig auftreten, aber in Wahrheit Arbeitnehmer sind, werden als scheinselbstständig bezeichnet.

Wann liegt Scheinselbstständigkeit vor?

Im Gesetz ist bisher hierzu wenig geregelt: § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV lautet: „Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“ Mit § 611a BGB gibt es seit April eine neue Regelung, die Kriterien für die Scheinselbstständigkeit aufstellt. Es wird sich zeigen, ob sich die neue Vorschrift bewähren wird. 

Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat bisher auch keine Leitlinien aufgestellt, sondern stets bei seinen Entscheidungen betont, dass es sich um Einzelentscheidungen handelt. Die Deutsche Rentenversicherung wendet für das Statusfeststellungsverfahren – das ist ein Verfahren, bei dem jeder Selbstständige die Sozialversicherungspflicht seiner Beschäftigung prüfen lassen kann – folgende Kriterien an: Für eine Sozialversicherungspflicht der Beschäftigung spricht, wenn der Beschäftigte verpflichtet ist,

  • uneingeschränkt sämtlichen Weisungen des Auftraggebers Folge zu leisten,
  • bestimmte Arbeitszeiten einzuhalten,
  • dem Auftraggeber regelmäßig in kürzeren Abständen detaillierte Berichte zukommen zu lassen,
  • in den Räumen des Auftraggebers oder an von ihm bestimmten Orten zu arbeiten,
  • bestimmte Hard- und Software zu benutzen, sofern damit insbesondere Kontrollmöglichkeiten des Auftraggebers verbunden sind.

Die Rentenversicherung stellt darauf ab, inwieweit der Auftraggeber bzw. Arbeitgeber durch diese Pflichten die Möglichkeit hat, den Auftragnehmer bzw. Angestellten zu kontrollieren und zu steuern, wie es bei einem echten Selbstständigen nicht üblich ist, da der Selbstständige zum Beispiel seine Arbeitszeit frei einteilen kann. Ein weiteres Kriterium ist, inwieweit der Auftragnehmer das unternehmerische Risiko trägt. Das heißt, bei einem echten Selbstständigen hängt der finanzielle Erfolg nicht vom einzelnen Auftraggeber ab. Auch spielt die Ausgestaltung des Vertrages eine wichtige Rolle. Allerdings kommt es nicht darauf an, wie der Arbeitsvertrag inhaltlich gestaltet wurde, sondern wie das Arbeitsverhältnis praktisch, also in der Realität, gelebt wird. 

Nachteile der Scheinselbstständigkeit

Der Arbeitgeber versucht auf diese Weise, sich nicht nur auf Kosten seiner Arbeitnehmer die Sozialversicherungsbeiträge zu sparen, sondern ignoriert auch gesetzliche Regelungen des Arbeitnehmerschutzes. Denn bei Verträgen zwischen Unternehmern gelten die Vorschriften des Arbeitnehmerschutzes nicht, wie zum Beispiel die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Dies machen sich Arbeitgeber zunutze, indem sie „Selbstständige“ beauftragen. Denn einem Selbstständigen kann zudem viel einfacher gekündigt werden als einem Arbeitnehmer. Zwar machen sich die Arbeitgeber bei vorsätzlichem Handeln strafbar, aber diese Straftaten landen nur selten auf dem Schreibtisch des Strafrichters.

Besondere Vorsicht bei Verträgen

Aber nicht nur das: Entweder erhalten diese Auftragnehmer nicht mal schriftliche Verträge oder sie dürfen bzw. müssen Knebelverträge unterschreiben: Diese beinhalten unbezahlte Überstunden und kurze Kündigungsfristen. In solchen Verträgen werden schon meist bei geringen Verstößen hohe Vertragsstrafen vereinbart. So zum Beispiel bei Auslieferungsverträgen: Der „Subunternehmer“ ist verpflichtet, in einem bestimmten Zeitplan Touren abzufahren, die meist trotz einer 70-Stunden-Woche nicht zu bewältigen sind, weswegen Verspätungen auflaufen. Im Vertrag ist dann geregelt, dass Verspätungen unter Vertragsstrafe gestellt sind. 

Das hat zur Folge, dass die vereinbarte Vergütung trotz Leistung von unbezahlten Überstunden bis unter das Existenzminimum gekürzt wird. In solchen Verträgen werden dem Subunternehmer eine Vielzahl von Pflichten auferlegt, die bei Verstoß allesamt mit Leistungskürzungen versehen sind. So stellt sich eine der Höhe nach an sich anständige vereinbarte Vergütung im Subunternehmervertrag als Mohrrübe heraus, die dem Arbeitnehmer vor die Nase gehalten wird, die er aber nie erreichen kann. Leider sind diese Missstände kein Einzelfall, finden sich in fast jeder Berufsgruppe und konnten von der Politik bisher nicht abgestellt werden.

Risiken der Scheinselbstständigkeit

Stellt sich zum Beispiel aufgrund eines nachträglich geführten Statusfeststellungsverfahrens heraus, dass eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, muss zunächst der Arbeitgeber für den vergangenen Zeitraum – bis zur Grenze der vierjährigen Verjährungsfrist und bei vorsätzlichen Straftaten bis zu 30 Jahren – die Sozialversicherungsbeiträge rückwirkend abführen. 

Als scheinselbstständiger Arbeitnehmer kann man vom Arbeitgeber lediglich rückwirkend für die nächsten drei Monate zur Nachzahlung durch Aufrechnung mit dem Lohn herangezogen werden, wobei hier aber dem Arbeitnehmer ein notwendiges Notbedarfsentgelt behalten darf. Hat das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich geendet, entfällt damit auch eine Abzugsmöglichkeit und der Arbeitnehmer muss keine Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen.

Ist in derselben Firma das Honorar des Selbstständigen höher als der Lohn eines vergleichbaren Arbeitnehmers, besteht für den Scheinselbstständigen zudem das Risiko, auf Rückzahlung der Differenz in Anspruch genommen zu werden.

Teuer kann es auch für sogenannte arbeitnehmerähnliche Selbstständige werden. Arbeitnehmerähnliche Selbstständige stehen nicht in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis und sind nicht an Weisungen des Auftraggebers gebunden, aber sind auf Dauer im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig und wirtschaftlich auf diesen angewiesen – das sind z. B. oftmals Handelsvertreter oder frei Mitarbeiter. Diese müssen die Rentenbeiträge selbst bezahlen und das rückwirkend für die letzten vier Jahre.

Scheinselbstständigkeit vermeiden

Um kein Risiko einzugehen und einer Ausbeutung den Riegel vorzuschieben, sollte jeder Vertrag als Subunternehmer, freier Mitarbeiter oder selbstständiger Unternehmer genau unter die Lupe genommen werden. Zuletzt kann man das Bestehen einer Sozialversicherungspflicht beispielweise durch das Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung feststellen lassen.

(FMA)

Foto(s): ©Fotolia.com

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