Scheinselbständigkeit im medizinischen Bereich - hier Pflegekräfte

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Die Problemstellungen um die Scheinselbständigkeit machen auch vor dem medizinischen Bereich, wie der Pflege keinen Halt. Im Ergebnis wird die Beauftragung von scheinbar selbständigen Auftragnehmern nicht nur in der Baubranche als lohnenswert empfunden. Die im Raume stehenden Risiken sind schnell zusammengefasst:


Strafrechtliche Risiken und Nebenfolgen

  1. An Erster Stelle stehen die strafrechtlichen Risiken wegen Veruntreuung von Arbeitsentgelten gemäß § 266a StGB und die Lohnsteuerhinterziehung gemäß § 370 AO
  2. Während das strafrechtliche Risiko als nicht so erheblich empfunden wird, bestehen nicht unerhebliche Nachforderungen der Sozialversicherungsträger – seitens dieser Träger wird das ausgezahlte Honorar als Netto-Gehalt verstanden, sodass eine Rückrechnung erfolgt. Der Unternehmer hat mithin einen Lohnaufwand, den er nie in Ansatz gebracht hätte. Dies allein kann zu einem wirtschaftlichen Totalschaden führen.
  3. Die Nebenfolgen sind ebenfalls nicht  außer Betracht zu lassen: Etwaige Handelsregistersperren und Eintragungen in Korruptionsregister oder Wettbewerbsregister sind nicht unerheblich


Risiko im Bereich der Pflegedienste

Während insbesondere im Bereich der Bauwirtschaft und der Raumpflege die Problematik der Scheinselbständigkeit auftritt, bleibt die Pflege von Fallgestaltungen der Scheinselbständigkeit nicht verschont. In einem Sachverhalt, der dem Bundessozialgericht (Urteil vom 07.06.2019, B 12 R 6/18 R) zur Entscheidung vorlag verhielt es sich wie folgt:


Sachverhalt: Scheinselbständigkeit in der Pflege

Aufgrund der Tatsache, dass keine Pflegekräfte zur Festanstellung zur Verfügung standen, bediente sich die Pflegeeinrichtung in erheblichem Umfang Leiharbeitnehmern und Honorarkräften (bis zu 85 %). Der Verfahren Beigeladene war staatlich anerkannter Altenpfleger und Fachkraft für Leitungsaufgaben in der Pflege. Um seine Arbeitszeiten besser einteilen zu können und um sich wirtschaftlich besser zu stellen, machte er sich selbständig. Zwischen der Pflegeeinrichtung und dem „Pfleger“ wurde ein "Dienstleistungsvertrag" abgeschlossen, der die Verpflichtung beinhaltete, die vereinbarten Aufträge in eigener Verantwortung auszuüben und die Interessen des Pflegedienstes zu berücksichtigen. Vereinbart waren:  ein fester Stundenlohn und eine Arbeitszeit von täglich mindestens zehn Stunden bei möglicher Mehrarbeit. Der Pflegedienst hatte freie Unterkunft und Verpflegung zu gewähren und sich nach Absprache um Arbeitskleidung zu kümmern.

Das Bundessozialgericht erkannte im Sinne der ständigen Rechtsprechung, dass  Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers sind. Eine abhängige Beschäftigung setzt eine persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber voraus, was bei einer Eingliederung in den Betrieb der Fall ist. Ferner muss der Arbeitnehmer einem auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegen. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen.


Besonderheiten der pflegenden Berufe

Insbesondere bei Pflegefachkräften können einzelne Gesichtspunkte, die sonst eine Tätigkeit als abhängig oder selbstständig kennzeichnen, von vornherein nicht als ausschlaggebende Abgrenzungsmerkmale herangezogen werden. So arbeiten nämlich staatlich anerkannte Pflegefachkräfte weitgehend eigenverantwortlich. Sie haben auch die Möglichkeit, in gewissem Umfang flexibel auf Wünsche und Bedürfnisse der zu pflegenden Personen zu reagieren. Daraus kann aber nicht ohne Weiteres auf eine selbstständige Tätigkeit geschlossen werden. In diesem Zusammenhang sind die Pflegefachkräfte von den Pflegehilfskräften abzugrenzen. Ferner kann nicht allein wegen der Benutzung von Einrichtungen und Betriebsmitteln des Pflegeheimes eine abhängige Beschäftigung angenommen werden.

Aufgrund der gesetzlichen und organisatorischen Besonderheiten im Bereich der stationären Pflege muss allerdings von einer Eingliederung in den Betrieb ausgegangen werden. So muss nämlich eine entsprechend qualifizierte Pflegefachkraft die Gesamtverantwortung für die pflegerische Versorgung tragen und auch wirksam wahrnehmen können. Dies ist der Fall, wenn die verantwortliche Pflegefachkraft die Pflegeleistungen für jeden betreuten Pflegebedürftigen zumindest in den Grundzügen selbst festlegt, ihre Durchführung organisiert und ihre Umsetzung angemessen kontrolliert. Diese Gesamtverantwortung muss von der Pflegefachkraft ständig wahrgenommen. Aus den bestehenden Rahmenbedingungen resultiert in der Regel die Eingliederung von Pflegefachkräften in die Organisations- und Weisungsstruktur der stationären Pflegeeinrichtung. Für eine nur ausnahmsweise in Betracht kommende selbstständige Tätigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne müssen daher gewichtige Indizien bestehen.


Dr. Andrew Patzschke, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht, Fachanwalt für Steuerrecht


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