Sexueller Missbrauch an Kind – Wann liegt eine sexuelle Handlung bei ambivalenten Berührungen vor?

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Der Tatbestand des § 176 StGB – Sexueller Missbrauch von Kindern

Für eine Strafbarkeit wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 StGB bedarf es einer sexuellen Handlung. Diese muss entweder an dem Kind vorgenommen werden oder der Täter muss die Handlung an sich selbst von dem Kind vornehmen lassen.

Laut der Begriffsbestimmung in § 184h StGB sind sexuelle Handlungen nur solche, welche von einiger Erheblichkeit, im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut sind. Das geschützte Rechtsgut des § 176 StGB ist die Freiheit der Entscheidung über die sexuelle Betätigung, also die ungestörte sexuelle Entwicklung und der Schutz vor schweren sexuellen Belästigungen. Von einer erheblichen sexuellen Handlung spricht man, wenn diese nach Art, Dauer und Intensität eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des tatbestandlich geschützten Rechtsgutes nach sich ziehen könnte. Für den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern konkretisiert der Bundesgerichtshof seine Ausführungen zum Merkmal der Erheblichkeit. Danach sind nicht alle sexualbezogenen Handlungen, die sexuell motiviert sind, tatbestandmäßig. Kurze oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen müssten ausscheiden.

In seinem Urteil vom 29. August 2018 (5 StR 147/18) beschäftigte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine an einem Kind vorgenommene Handlung eine sexuelle Handlung darstellt.

Die Tathandlung

Der Beschuldigte, ein langjähriger Bekannter der Familie, säuberte den Intimbereich der Betroffenen nach dem Toilettengang, obwohl diese zum damaligen Zeitpunkt schon in der Lage war, sich selbst zu säubern. Währenddessen fertigte er Fotoaufnahmen vom entblößten Intimbereich der Betroffenen an. Die Aufnahmen gab er anschließend mit der Bemerkung ihm seien „ein paar Bildchen gelungen“ an einen Bekannten, welchen er aus einem pädophilen Internetforum kannte, weiter.

Der Begriff der sexuellen Handlung nach Meinung des Bundesgerichtshofes

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes ist eine sexuelle Handlung an einem Kind zum einen daran zu messen, ob das äußere Erscheinungsbild der Tat die Sexualbezogenheit erkennen lässt. Zum anderen können aber auch ambivalente Tätigkeiten, welche an sich keinen Sexualbezug erkennen lassen, tatbestandsmäßig sein. Um die Frage zu beantworten, ob dies der Fall ist, ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, welcher alle Umstände des Einzelfalles kennt. Darunter zählt nach der Meinung des Bundesgerichtshofes auch die Zielrichtung des Täters und dessen sexuellen Absichten. Aus der Motivation des Täters, seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen, kann sich der notwendige Sexualbezug ergeben.

Der Begriff der sexuellen Handlung nach Meinung des zuständigen Landgerichts

Im Gegensatz dazu stellte das für den Fall zuständige Landgericht darauf ab, dass der objektive Betrachter die Motivation des Handelnden nicht kennt, außer diese sei in objektiver wahrnehmbarer Weise zum Ausdruck gekommen.

Konsequenzen für den Fall

Vorliegend lässt das äußere Erscheinungsbild der Tat nicht zwangsläufig auf die Erfüllung des Straftatbestandes des § 176 StGB schließen. Das Säubern des Intimbereichs eines Kindes nach dessen Toilettengang stellt eine ambivalente Handlung dar. Denn hierbei ist an sich nicht von einem Sexualbezug auszugehen, sondern von einer gewöhnlichen Tätigkeit im Umgang mit jüngeren Kindern. Stellt man jedoch auf das Urteil eines objektiven Beobachters ab, welcher auch die Motivation des Täters kennt, kann man im vorliegenden Fall von einem sexuellen Charakter der Handlung ausgehen. Für die sexuelle Motivation des Beschuldigten spricht zum einen, dass für das Anfertigen von Bildaufnahmen kein anderer Grund ersichtlich ist als die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse. Zum anderen gab er die Aufnahmen an seinen Bekannten weiter, welcher diese als „sexy“ empfand. Darüber hinaus war der Beschuldigte im Besitz von mehr als 15.000 kinderpornographischen Bild- und Videodateien im Sinne von § 184b StGB, welche denen, die er selbst anfertigte, ähnelten. Mithin ergibt sich aus der Motivation des Beschuldigten, seine und vermutlich auch die sexuellen Bedürfnisse seines Bekannten zu erfüllen der notwendige Sexualbezug. Somit stellt das oben genannte Geschehen nach Auffassung des BGH eine sexuelle Handlung an der Betroffenen dar und der Straftatbestand des § 176 StGB ist damit erfüllt.

Rechtsanwalt Dietrich, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Berlin


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