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Sittenwidriger Ehevertrag – wann wird die Grenze überschritten?

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anwalt.de-Redaktion

Seit das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Jahr 2001 ausdrücklich festgestellt hat, dass die Rechtsprechung zu den Grenzen der Vertragsfreiheit auch bei Eheverträgen gilt, können Eheverträge gerichtlich überprüft werden. Bei der Gestaltung eines Ehevertrags müssen deshalb die Grenzen der Sittenwidrigkeit und des Rechtsmissbrauchs beachtet werden, damit er auch vor Gericht standhält. 

Aber wo genau verläuft diese Grenze? Wann genau ist ein Ehevertrag sittenwidrig? Worauf darf man im Ehevertrag verzichten und worauf nicht? Diese Fragen hat der Bundesgerichtshof (BGH) kürzlich in einem aktuellen Fall erneut beantwortet. 

Sittenwidrigkeit – ein unbestimmter Rechtsbegriff

Der Begriff der Sittenwidrigkeit ist als solcher gesetzlich nicht definiert, denn § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) regelt lediglich, dass Verträge nichtig sind, wenn sie gegen die guten Sitten verstoßen. Was genau aber die „guten Sitten“ sind, wird nicht geregelt oder erläutert. Die Bestimmung der guten Sitten bereitet daher regelmäßig Schwierigkeiten. Nach der allgemein entwickelten Definition verstößt ein Vertrag gegen die guten Sitten, wenn er das Rechts- und Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Menschen verletzt und damit gegen die herrschende Rechts- und Sozialmoral verstößt. Entscheidend für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit ist damit die Auffassung eines „anständigen Durchschnittsmenschen“. 

In Bezug auf die inhaltliche Kontrolle von Verträgen nutzt die Rechtsprechung diese von Juristen Generalklausel genannte Regelung, um Verträge korrigieren zu können, bei deren Abschluss die Vorrausetzungen der Vertragsfreiheit nicht vorgelegen haben. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit greift jedoch nur dann, wenn der Vertrag einerseits eine Vertragspartei erheblich benachteiligt (objektive Komponente) und andererseits der andere Vertragspartner hierzu bewusst eine Notlage, Unerfahrenheit oder Ähnliches der benachteiligten Partei ausgenutzt hat (subjektive Komponente). Nur wenn beide Komponenten vorliegen, ist der Vertrag sittenwidrig und damit unwirksam.  

Das Gesamtbild ist entscheidend 

Entscheidend für die Frage, ob ein Ehevertrag sittenwidrig ist oder nicht, ist das Gesamtbild des Vertrags. Ehepartner haben bei der Gestaltung ihres Ehevertrags einen weiten Gestaltungsspielraum und können grundsätzlich auch auf einzelne Rechtspositionen und Ansprüche verzichten. Ist der Vertrag hingegen bei einem ungleichen Verhandlungspositionen nach seinem Gesamtbild eindeutig darauf angelegt, einen der Ehepartner einseitig zu benachteiligen, verstößt er gegen die guten Sitten.

Der Ehevertrag, den der BGH in seiner aktuellen Entscheidung zu prüfen hatte, enthielt mehrere Klauseln, die für sich allein genommen die Schwelle der Sittenwidrigkeit noch nicht überschritten haben. Das Zusammenspiel aller Vertragsbestandteile sowie der Umstände, unter denen der Ehevertrag geschlossen worden war, führten aber dazu, dass die Grenze der Sittenwidrigkeit am Ende doch überschritten war. 

Der aktuelle Fall des BGH 

In dem zugrunde liegenden Fall hatte ein bereits verheiratetes Paar im Laufe der Ehe einen Ehevertrag geschlossen. Hintergrund des Ehevertrags war die Umstrukturierung des Unternehmens der Schwiegermutter von einem Einzelunternehmen in eine GmbH & Co. KG, denn die Inhaberin der Firma hatte die Übertragung von Anteilen an dem Unternehmen auf ihren Sohn von dem Abschluss eines Ehevertrags abhängig gemacht. Inhaltlich enthielt der Ehevertrag Regelungen, wonach beide Ehepartner jeweils auf nachehelichen Unterhalt, auf den Ausgleich von Rentenansprüchen sowie auf den Ausgleich des Zugewinns verzichteten. Nach der Scheidung stritten sich die ehemaligen Eheleute über die Wirksamkeit dieses Ehevertrags. Das letzte Wort musste der BGH sprechen. 

Die Entscheidung des BGH

Der BGH stellte in seiner Entscheidung vom 15.03.2017 explizit klar, dass jeder der getroffenen Verzichtsvereinbarungen für sich genommen generell nicht an den Grenzen der Sittenwidrigkeit gescheitert wäre. Auch wenn der Ausschluss einzelner Scheidungsfolgen nachteilig für die Ehefrau ist, ist der Vertrag allein deshalb noch nicht sittenwidrig. Jedoch war der Ehevertrag insgesamt gesehen darauf ausgerichtet, die Ehefrau einseitig zu benachteiligen, wobei es entscheidend darauf ankam, welche Folgen der Vertrag insgesamt für die Ehefrau hatte und wie er geschlossen worden war. 

Einseitige Benachteiligung der Ehefrau 

Da der Vertrag erst zweieinhalb Jahre nach Eingehung der Ehe geschlossen wurde, verzichtete die Ehefrau in dem Vertrag auf durch die Ehe bereits erworbene Rechtspositionen. Eine Kompensation für diesen Verzicht erhielt sie jedoch von ihrem Ehemann nicht. Durch die Aufteilung von Haushalt, Kinderbetreuung und Berufsausübung war bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses absehbar, dass trotz des formellen beidseitigen Verzichts die ehebedingten Einkommens- und Versorgungsnachteile nur aufseiten der Ehefrau auftreten würden, weil diese die Kinderbetreuung und Haushaltsführung übernahm. Die Altersversorgung des Ehemannes stützte sich fast vollständig auf eine private Vermögensbildung, an der die Frau aufgrund des Verzichts auf den Zugewinnausgleich ebenfalls nicht partizipieren konnte. 

Ungleiche Verhandlungsstärke  

Diese einseitige Benachteiligung beruhte auf einer unterlegenen Verhandlungsposition der Ehefrau, die der Ehemann bewusst zu seinen Gunsten ausnutzte. Die Ehefrau hatte weder auf die Verhandlung des Vertrags noch auf seine Gestaltung einen Einfluss, denn sie erhielt vor Abschluss des Vertrags keinen Vertragsentwurf und bekam auch beim Notar selbst kein Exemplar zum Lesen ausgehändigt. Vielmehr hatte die Frau lediglich eine sehr passive Rolle. Der Notartermin selbst wurde hauptsächlich für die Umwandlung des Unternehmens anberaumt und so gelegt, dass die Ehefrau auch das zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal einen Monat alte Kind dabeihaben musste. Damit kannte die Frau den Inhalt ihres Ehevertrags nur vom Hörensagen, wobei sie sich durch ihr Baby auch nicht vollständig auf die Verlesung des Vertrags konzentrieren konnte.

Fazit: Der vom BGH kürzlich entschiedene Fall ist ein Paradebeispiel für die Sittenwidrigkeit und zeigt, dass die einseitige Benachteiligung einer Vertragspartei – in diesem Fall der Ehefrau – für das Überschreiten der Schwelle zur Sittenwidrigkeit noch nicht ausreicht. Grundsätzlich können einzelne Scheidungsfolgen auch zum Nachteil eines Ehepartners im Ehevertrag ausgeschlossen werden. Sittenwidrig wird ein solcher Ehevertrag erst, wenn sich der benachteiligte Ehepartner durch eine übergroße Dominanz des anderen Ehepartners in einer deutlich schlechteren Verhandlungsposition befindet und diese bewusst ausgenutzt wird. 

(BGH, Beschluss v. 15.03.2017, Az.: XII ZB 109/16)

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