Stolperfalle "Vorweggenommene Erbfolge"

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Immer wieder begegnen uns in erbrechtlichen Mandaten Vermögensübertragungen "im Wege vorweggenommener Erbfolge", meist auf Kinder. Der Begriff "vorweggenommene Erbfolge" war über viele Jahre gängig und findet sich teilweise bis heute in notariellen Urkunden.

Die Formulierung bereitet im späteren Erbfall jedoch oft Schwierigkeiten.

Der Bundesgerichtshof definiert die vorweggenommene Erbfolge in ständiger Rechtsprechung als "Übertragung von Vermögen unter Lebenden vom künftigen Erblasser auf eine oder mehrere als künftige Erben in Aussicht genommene Personen".

Nicht eindeutig bleibt die Formulierung jedoch in der Frage, ob, worauf und wie sich ein Empfänger eine Zuwendung "im Wege vorgenommener Erbfolge" auf spätere Rechte und Ansprüche anrechnen lassen muss. Ohne erläuternde Regelung ist hier der Streit quasi vorprogrammiert.

Das OLG Koblenz hat in einem Beschluss vom 22.12.2022 klargestellt, dass diese Formulierung so zu verstehen sei, dass der Empfänger einer Zuwendung "im Wege vorweggenommener Erbfolge" sich das Erhaltene auf seinen späteren Erbteil anrechnen lassen muss, wenn nichts anderes geregelt ist. Schon dies dürfte in vielen Fällen vom Gewollten abweichen...

Und der Pflichtteil?

Noch problematischer wird es hingegen, wenn z.B. ein Kind eine Zuwendung "im Wege vorweggenommener Erbfolge" erhält und dann später gerade nicht Erbe wird. Ob nun ein anderer Geschwisterteil erbt oder einfach "nur" die gegenseitige Erbeinsetzung der Eltern zur rechtlichen Enterbung des Kindes auf den ersten Erbfall führt, spielt dabei keine Rolle. Im Ergebnis kommt man hier regelmäßig zu einem enterbten Kind, das ggf. seinen Pflichtteilsanspruch geltend macht.

Wer nun auf die Idee kommt, dass eine Anrechnung des Erhaltenen auch auf den Pflichtteil selbstverständlich sein dürfte, hat die Rechnung ohne die Rechtsprechung gemacht. So hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 27.01.2010 (Az. IV ZR 91/09) entschieden: 

Erfolgt eine Zuwendung "im Wege vorweggenommener Erbfolge unentgeltlich", ist für die Pflichtteilsberechnung im Auslegungsweg zu ermitteln, ob der Erblasser damit eine Ausgleichung gemäß §§ 2316 Abs. 1, 2050 Abs. 3 BGB, eine Anrechnung gemäß § 2315 Abs. 1 BGB oder kumulativ Ausgleichung und Anrechnung gemäß § 2316 Abs. 4 BGB anordnen wollte.

Es muss also durch Auslegung ermittelt werden, was gewollt gewesen wäre. Diese Ermittlung wird nicht selten der Richter im Rechtsstreit der Erben und Nichterben vornehmen müssen. 

Unsicherheiten vermeiden

Wer sich und seinen Angehörigen die Zeit, Kosten und Nerven einer solchen Auseinandersetzung ersparen möchte, ist gut beraten, von vornherein professionelle erbrechtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, auch wenn es "bloß" um eine Zuwendung unter Lebenden geht. 

Demgegenüber mag man sich fragen, was es für einen selbst bedeutet, wenn eine solch "unvollkommene" Regelung erst einmal in der Welt ist.

Als Notar und zugleich Fachanwalt für Erbrecht stehe ich Ihnen sowohl bei der Vertragsgestaltung als auch bei erbrechtlichen Auseinandersetzungen zur Verfügung.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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