Testierfähigkeit: Definition, Bedeutung und Beweislast

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Wer Testierunfähigkeit nachweisen will, braucht medizinische Belege und muss mit strenger Prüfung rechnen.

Mit Testierfähigkeit ist die Fähigkeit gemeint, ein rechtswirksames Testament zu errichten, oder auch, sein Testament rechtswirksam zu ändern oder aufzuheben. Da die Testierfähigkeit ein Unterfall der im BGB in §§ 104 ff geregelten Geschäftsfähigkeit ist, setzt sie ebenso eine freie, autonome Willensbildung voraus – im Fall eines Testaments die des Erblassers. Kriterien der Testierfähigkeit sind wie folgt definiert.

Testierfähigkeit erfordert auf Seiten des Erblassers:

  • Das Bewusstsein um die Testamentserrichtung;
  • Kenntnis des Inhalts der letztwilligen Verfügung;
  • die fehlende Willensbeeinflussung durch Dritte;
  • eigenständige Fähigkeit zur Formulierung des letzten Willens;
  • Beurteilung der sittlichen Berechtigung der Verfügung;
  • gedankliche Erfassung der Bestimmungen in wirtschaftlicher und persönlicher Hinsicht.

Es genügt also nicht, dass der Erblasser nur eine ungefähre Vorstellung von seinem letzten Willen hat und davon, ein Testament aufzusetzen. Für Testierfähigkeit reicht es auch nicht aus, dass der Erblasser zum maßgeblichen Zeitpunkt in der Lage ist, seine Bezugspersonen zu erkennen und einfache Sachverhalte zu erfassen. Vielmehr muss sich der Erblasser über die ganze Tragweite seiner Anordnungen bewusst sein, insbesondere auch über ihre Auswirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen und genauso über die Sittlichkeit seines Testaments, sprich ob dieses moralisch gut und gerecht ist.

Testierunfähigkeit im Nachhinein nachweisen

Ein im testierunfähigen Zustand verfasstes Testament ist nichtig. Grundsätzlich wird jedoch Testierfähigkeit vermutet. An den Beweis der Testierunfähigkeit werden strenge Anforderungen gestellt. Die Beweislast liegt bei dem, der sich darauf beruft: Wer mit Testierunfähigkeit ein Testament angreift (z. B. weil er enterbt wurde bzw. ihm weniger hinterlassen wurde als erwartet), muss dies belegen können. Geprüft  werden:

  • medizinische Befunde,
  • Zeugenaussagen,
  • Patientenunterlagen von Ärzten und Krankenhäusern, die den Erblasser behandelten,
  • Pflegedokumentationen von Pflegediensten bzw. Seniorenwohnheimen,
  • MDK-Gutachten, die zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI erstellt wurden,
  • Urkunden etc.

Aus all diesen Quellen muss klar hervorgehen, dass der Erblasser auffällige Verhaltensweisen aufwies, die darauf schließen lassen, dass er zum fraglichen Zeitpunkt nicht testierfähig gewesen ist.

Definition von Testierunfähigkeit

Das Gesetz definiert Testierunfähigkeit in § 2229 BGB. Danach ist testierunfähig, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

Entscheidend sind also die Auswirkungen gegebener Erkrankungen auf die Auffassungsgabe, die Urteilsfähigkeit und auf die Fähigkeit, die letztwilligen Anordnungen gedanklich zu erfassen. Ob das Testament angemessen ist oder nicht, spielt hier keine Rolle. Es geht nur um die Frage, ob das Testament frei von krankheitsbedingten Störungen gefasst werden konnte. Testierfähigkeit wird auch nicht abgestuft – z. B. nach Schwierigkeitsgrad des Testaments. Testierfähigkeit ist entweder gegeben oder nicht.

Gutachten über Testierfähigkeit durch Sachverständige

Wurde das Testament bei einem Notar erstellt, wird dieser zwar als Zeuge vernommen. Doch medizinisch gesehen ist der Notar ein Laie. Daher sind seine Feststellungen zur Testierfähigkeit nur ein Indiz und reichen für sich allein nicht aus, um Zweifel an der Testierfähigkeit zu entkräften.

Gerade bei älteren, multimorbiden Erblassern sind Einschätzungen zur Testierfähigkeit äußerst schwierig. Zur Beurteilung der Geschäfts- und Testierfähigkeit beauftragen die Gerichte daher regelhaft Fachärzte für Psychiatrie/Neurologie. Diese erstellen ein psychiatrisches Gutachten, von dem letztlich der Ausgang des Rechtsstreites  abhängt. Von daher hängt viel davon ab, inwieweit ein Anwalt dazu in der Lage ist, Gutachten kritisch zu überprüfen und Gutachtenfehler und Verfahrensfehler zu erkennen.

Als hochqualifizierte, langjährig erfahrene Fachanwältin für Medizin detektiere ich Mängel in Sachverständigengutachten: Ich prüfe, inwieweit die von der medizinischen Wissenschaft zugrunde gelegten Kriterien in dem konkreten Fall auf den gegebenen Krankheitsverlauf angewendet wurden. Im Vorfeld kann ich aus den ärztlichen Unterlagen und vorhandenen Pflegeberichten schon herausfiltern, welche Prozessaussichten vorhanden sind.  

Nachträgliche Feststellung einer Demenz

Gerade wenn ein Erblasser erst im Krankenhaus oder Pflegeheim ein Testament oder Schenkungsverträge errichtete, taucht die Frage auf, ob der Betreffende noch geschäftsfähig bzw. testierfähig war, erst recht, wenn in Arztbriefen oder Pflegedokumentationen Verwirrtheit oder Demenz erwähnt werden.

Die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, steigt mit dem Alter: von etwa ein Prozent bei 65-jährigen auf 25 % bei über 80-Jährigen und auf über 30 % bei 90-Jährigen. Der Krankheitsverlauf kann sich bis zu elf Jahre hinziehen. Ab wann eine Demenz so ausgeprägt war, dass sich dadurch eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Geschäfts- und Testierfähigkeit ergab, ist in Prozessen häufig umstritten. Insbesondere dann, wenn einschlägige Beobachtungen von Zeugen und Ärzten zeitlich entfernt vom Termin der Vertrags- oder Testamentsunterzeichnung stattfanden.

Einstufung des Stadiums der Demenzerkrankung

Der Verlauf eine Demenz wird wissenschaftlich in sieben Stadien eingeteilt. In den Anfangsstadien der Demenz sind Testier- und Geschäftsfähigkeit durchaus gegeben, jedoch regelhaft nicht mehr in den mittleren Stadien. Dies wird im Rückblick an ärztlichen oder pflegerischen Notizen festgemacht wie „legt sich ins Bett eines anderen Patienten“ oder „wurde von der Polizei zurück ins Krankenhaus gebracht“.

Solche psychopathologischen Auffälligkeiten  können Aufschluss darüber geben, wie es wann um die geistige Verfassung des Erblassers stand. Für eine sichere klinische Diagnose sollten die auffälligen Verhaltensweisen  mindestens sechs Monate vorhanden und die Störungen so ausgeprägt sein, dass sie den Betreffenden an alltäglichen Tätigkeiten wie dem Essen oder der Körperhygiene hindern.

Allerdings kann Demenz auch durch einmalige Ereignisse verursacht werden, bei denen das Gehirn z.B. durch einen Schlaganfall, durch Hirnblutungen oder ein Schädelhirntrauma schwer geschädigt wurde. Vielfach wird hier medizinisch nicht die Diagnose einer Demenz gestellt, sondern die eines hirnorganischen Psychosyndroms.


Zur Autorin

Sybille M. Meier ist Fachanwältin für Erbrecht und Fachanwältin für Medizinrecht. Seit mehr als 40 Jahren befasst sie sich mit medizinrechtlichen Fällen und ist versiert im Umgang mit medizinischen Unterlagen und der Auswertung von Sachverständigengutachten. Es ist ihr möglich, aus den Patientenunterlagen psychopathologische Auffälligkeiten, die eine Testierunfähigkeit des Erblassers indizieren, herauszufiltern und prozessual einzuführen. Sybille M. Meier kann neben der Betrachtung psychiatrischer Diagnosen und auffälliger Verhaltensweisen, die bei einem Erblasser beschrieben wurden, medizinische Sachverhalte auf Eindeutigkeit prüfen und fachlich diskutieren. Die Kanzlei ist sehr gut vernetzt und arbeitet mit angesehenen psychiatrischen Sachverständigen zusammen.

Foto(s): © Dan Race / #29049788 / stock.adobe.com [Copyright]

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