Verfassungsbeschwerde, Menschenrechtsbeschwerde: Was wird geprüft?

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Im Rahmen meiner Texte zu Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerden habe ich schon öfter darauf aufmerksam gemacht, dass dort keine umfassende Prüfung des Sachverhalts und des Fachrechts geschieht. Dies möchte ich nun noch etwas vertiefen.

Auch falscher Sachverhalt bleibt bestehen

Der Sachverhalt muss so zugrunde gelegt werden, wie er im Verfahren festgestellt worden ist. Das sind also die Fakten, die die letzte Tatsacheninstanz zugrunde gelegt hat. Daran darf grundsätzlich nicht gerüttelt werden.

Bei Mandanten sorgt es oft für Unverständnis, wenn ich in der Verfassungsbeschwerde die Tatsachen heranziehe, die sie für grundfalsch und für das Hauptproblem eines von ihnen als Unrecht empfundenen Urteils halten. Aber genau das muss leider geschehen, weil diese Tatsachen als richtig zugrunde gelegt werden müssen. Das Bundesverfassungsgericht nimmt keine eigene Tatsachenwürdigung vor, sondern verlässt sich auf das, was die Fachgerichte ermittelt haben.

Beispiel: Das Familiengericht ist davon ausgegangen, dass die Eltern ihre Kinder geschlagen haben und hat ihnen deswegen das Sorgerecht entzogen. Die Eltern beteuern, dass dies nicht der Fall ist. Trotzdem kann nun in der Verfassungsbeschwerde nicht argumentiert werden, dass der Sorgerechtsentzug verfassungswidrig ist, weil die Eltern die Kinder nicht geschlagen haben.

Ausnahme: verfassungswidrige Tatsachenfeststellung

Eine Ausnahme gibt es nur dann, wenn gerade diese Tatsachenfeststellung verfassungswidrig ist. Hier kommen insbesondere die Justizgrundrechte ins Spiel: Eine Beweisaufnahme, die unter Verletzung des rechtlichen Gehörs geschehen ist, kann auch verfassungsrechtlich keine tragfähige Grundlage für ein Urteil sein. Wurde der Anspruch auf ein faires Verfahren verletzt, ist es kein Wunder, wenn sich der eigene Standpunkt nicht durchsetzen konnte.

Fachrecht wird nicht nachgeprüft

Auch die Anwendung des Fachrechts als solches wird nicht nachgeprüft. Dessen Auslegung ist Sache der entsprechenden Fachgerichte und nicht des Bundesverfassungsgerichts. Hieran hält sich das Bundesverfassungsgericht auch sehr genau, da es im eigenen Interesse nicht zu einer "Superrevisionsinstanz" werden will, also zu einem Gericht, das jedes Urteil vollumfänglich nachprüft.

Beispiel: Das Strafgericht hat den Angeklagten, der einen Hund gestohlen hatte, wegen Diebstahls verurteilt. Dieser wendet nun ein, dass die Verurteilung verfassungswidrig ist, weil ein Tier keine Sache ist und nur die Wegnahme von Sachen durch das StGB als Diebstahl angesehen wird. Die genaue Auslegung des Begriffs "Sache" interessiert das BVerfG aber nicht. Wenn strafrechtlich auch Tiere wie Sachen behandelt und geschützt werden, mischt es sich darin nicht ein.

Ausnahme: Willkürliche Rechtsanwendung

Etwas anderes gilt nur, wenn eine willkürliche, rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht mehr genügende Rechtsanwendung erfolgt ist. Dies ist aber nicht schon bei einem fragwürdigen Urteil der Fall.

Im Beispiel des gestohlenen Hundes könnte man an einen Spezialfall der willkürlichen Rechtsanwendung, nämlich an eine unerlaubte Analogie, denken. Das wäre dann der Fall, wenn das Gericht zwar nicht die Strafnorm, wie sie im Gesetz steht, für erfüllt angesehen hätte, aber jedenfalls eine "ähnliche" Straftat bejaht hätte.

Außerhalb des Strafrechts ist Willkür dann erfüllt, wenn von grundlegender Rechtsprechung ohne sachlichen Grund abgewichen wird oder die Rechtsanwendung schlicht unvertretbar ist.

Beispiel: Im Familienrecht ist anerkannt, dass eine Kindeswohlgefährdung erst vorliegt, wenn die Eltern die Bedürfnisse ihrer Kinder nicht erfüllen können oder wollen. Wenn nun ein Familiengericht eine Kindeswohlgefährdung schon dann annimmt, wenn es den Kindern bei Pflegeeltern voraussichtlich "besser" ginge, ist dies unvertretbar.

Ausnahme: Heck-Formel

Nach der sog. Heck-Formel (benannt nach einem früheren Richter des Bundesverfassungsgerichts) liegt eine Grundrechtsverletzung durch eine fachgerichtliche Entscheidung vor, wenn ein Grundrecht überhaupt nicht beachtet wurde oder es zwar beachtet wurde, die Bedeutung des Grundrechts für den speziellen Fall aber nicht richtig erkannt wurde.

Beispiel: In einem Zivilprozess aus dem Urheberrecht kommt das Gericht gar nicht auf die Idee, dass auch das Urheberrecht unter das Eigentumsgrundrecht fällt. Es hat dieses Grundrecht also missachtet.

Beispiel: Das Gericht erkennt zwar, dass auch eine Beleidigung von der Meinungsfreiheit gedeckt sein kann. Es ist aber der Ansicht, dass die Meinungsfreiheit stets dort endet, wo die persönliche Ehre anderer Personen beginnt. Damit hat das Gericht die Reichweite der Meinungsfreiheit nicht korrekt beachtet.

Spezifisch verfassungsrechtliche Argumentation notwendig

In der Verfassungsbeschwerde müssen diese Grundsätze unbedingt beachtet werden. Es ist wichtig, dass man dem Bundesverfassungsgericht zunächst zeigt, dass man diese Maßstäbe verstanden hat. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Verfassungsbeschwerde nicht ernstgenommen wird, weil sie gleich den Eindruck erwähnt, eine (von zahlreichen) Beschwerden zu sein, die einfach nur moniert, dass das Urteil "falsch" ist.

Ebenso bei Menschenrechtsbeschwerden

All diese Grundsätze gelten in ganz ähnlicher Weise auch für Menschenrechtsbeschwerden. Hinzu kommt hier noch, dass viele Festlegungen des innerstaatlichen Rechts für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte irrelevant sind. Darum muss genau argumentiert werden, warum die Urteile der Gerichte gegen bestimmte Menschenrechte aus der EMRK verstoßen.



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