Wann kann ein Strafverfahren gegen Jugendliche eingestellt werden? Anwalt für Jugendstrafrecht

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Das Jugendstrafrecht ist als sogenanntes „Sonderstrafrecht“ für Jugendliche und Heranwachsende zu verstehen. Anders als im allgemeinen Strafrecht (für Erwachsene) steht im Jugendstrafrecht nicht der Vergeltungscharakter bzw. die präventive Abschreckung des Täters im Vordergrund. Vielmehr ist im Jugendstrafrecht primär der Erziehungsgedanke heranzuziehen. Das bedeutet, dass das Jugendstrafrecht die Erziehung und Besserung des Jugendlichen bzw. Heranwachsenden zum Ziel hat. 

Bereits im Ermittlungsverfahren kann die Staatsanwaltschaft unter bestimmten Voraussetzungen von der Verfolgung absehen, obwohl grundsätzlich die jeweiligen Verfolgungsvoraussetzungen bestehen.

Über eine Einstellung des Jugendstrafverfahrens entscheidet je nach Verfahrensabschnitt entweder die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren (§ 45 JGG) oder das Gericht im Hauptverfahren (§ 47 JGG). 


Wann ist das Jugendstrafrecht anwendbar?

Die Vorschriften des Jugendstrafrechts gelten ausschließlich für Jugendliche und Heranwachsende im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes. Dies wird anhand des Alters des Beschuldigten zur vorgeworfenen Tatzeit bestimmt.


Wann bin ich Jugendlicher?

War der Beschuldigte zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Straftat zwischen 14 und einschließlich 17 Jahre alt, so finden grundsätzlich das Jugendstrafrecht Anwendung. Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn der Jugendliche nicht als strafrechtlich verantwortlich im Sinne von § 3 S. 1 JGG gilt, weil ihm wegen Reifeverzögerung zum Tatzeitpunkt die notwendige Verstandsreife und Einsichtsfähigkeit fehlte.


Wann bin ich Heranwachsender?

Im Alter zwischen 18 und 21 Jahren hingegen kann sowohl Erwachsenenstrafrecht als auch Jugendstrafrecht anwendbar sein. Welches der beiden Gesetze Anwendung findet, ist jeweils am Einzelfall zu bestimmen, genauer gesagt von der Entwicklung des jeweiligen Beschuldigten abhängig. So wird Jugendstrafrecht gemäß § 105 Abs. 1 JGG dann herangezogen, wenn

  • die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand oder
  • es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

Grund für diese flexible Bestimmung ist der unterschiedliche Entwicklungsgrad eines jeden Heranwachsenden. Erst bei individueller Einschätzung seiner Entwicklung sowie seinen persönlichen Verhältnissen kann dessen Reifegrad bestimmt und damit das jeweils anzuwendende Recht festgelegt werden. So ist es möglich, flexibel auf das Strafmaß des heranwachsenden Beschuldigten einzugehen bzw. pädagogisch sinnvoll auf ihn einzuwirken. 


Wann bin ich Erwachsener im Sinne des Strafrechts?

Hat der Beschuldigte im Zeitpunkt der Tatbegehung das 21. Lebensjahr beendet, finden zwingend Erwachsenenstrafrecht Anwendung. Es gibt dann keine Möglichkeit der Anwendung des Jugendstrafrechts mehr. 


Was sind die (vorteilhaften) Folgen einer Einstellung des Strafverfahrens im Jugendstrafrecht?

Einer der vielen großen Vorteile einer Verfahrenseinstellung liegt nicht nur in der frühzeitigen Beendigung des Ermittlungsverfahrens, was dazu führt, dass keine Hauptverhandlung mehr durchgeführt wird und eine Verurteilung nicht stattfindet. Auch taucht das eingestellte Verfahren nicht im Führungszeugnis auf. 

Allerdings ist an dieser Stelle zu beachten, dass eine Einstellung des Verfahrens nach dem JGG jedoch ins Erziehungsregister eingetragen wird, sodass der Rechtsanwalt für Jugendstrafrecht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 JGG in der Regel die Zustimmung des Richters anregen wird, um so eine Einstellung zu erreichen, die nicht ins Erziehungsregister eingetragen wird.


Wann kann ein Strafverfahren gegen einen Jugendlichen eingestellt werden?

Insbesondere bei leichteren Vergehen geht man davon aus, dass zur Erziehung des Jugendlichen bzw. Heranwachsenden nicht immer ein förmliches Urteil erforderlich ist. Vielmehr kann die Durchführung einer Hauptverhandlung unter Umständen sogar schädliche Wirkungen für diesen haben. Daher finden sich im Jugendgerichtsgesetz mehrere Möglichkeiten einer Beendigung des Strafverfahrens ohne Urteil des Strafgerichts. Diese ermöglichen die erzieherische Einwirkung auf den Jugendlichen bzw. Heranwachsenden, wobei in den Fällen häufig das Ausbleiben einer Hauptverhandlung pädagogisch sinnvoll ist. 

Die möglichen Verfahrenseinstellungen für jugendliche und heranwachsende Täter sind in den §§ 45, 47 JGG geregelt. Über eine Einstellung des Jugendstrafverfahrens entscheidet die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren (§ 45 JGG) oder das Gericht im Hauptverfahren (§ 47 JGG). 


Unter welchen Voraussetzungen wird ein Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt?

Nach § 45 Abs.1 JGG iVm § 153 StPO kann der Staatsanwalt ohne Zustimmung des Richters von der Verfolgung absehen, wenn 

  • es sich bei der Tat um ein Vergehen handelt, 
  • die Schuld des Täters als gering anzusehen ist und
  • kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. 

Vergehen sind alle rechtswidrigen Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bedroht sind. 

Für die Bewertung der Schwere der Schuld werden individuell die Tatumstände gewürdigt. So wiegt beispielsweise die Schuld im Rahmen eines Ladendiebstahls bei Wegnahme eines Lebensmittels regelmäßig insgesamt weniger. 

Hinsichtlich des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung sind insbesondere Fragen wie Vorbestrafung oder potentielle schwerwiegende Folgen durch die Tat maßgeblich. 


Typische Anwendungsfälle für die Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit

Typische Anwendungsfälle für diese Art der Verfahrenseinstellung können beispielsweise sein (zwingend ist dies nicht!):

  • Diebstahl, Unterschlagung, Hehlerei von Sachen unter einem Wert von 25 Euro oder Vermögensdelikte (z.B. Betrug) mit einem so geringen Schaden 
  • unbefugter Gebrauch eines Kraftfahrzeuges (§ 248 b StGB), das einem Familienangehörigen gehört (Eigentum) oder zu dessen Fahren eine Fahrerlaubnis nicht benötigt wird
  • Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) bei Fahren eines Mopeds oder Mofas oder eines Pkw (letzterer Fall aber nur wenn der Jugendliche von einer Person angeleitet wird, die eine Fahrerlaubnis hat). Außerdem darf dann keine Gefahr im Straßenverkehr entstanden sein. 
  • Verstöße gegen das Pflichtversicherungsgesetz (§§ 1, 6 PflVG). Auch hier ist aber Voraussetzung, dass weder ein Unfall noch überhaupt eine Gefahr entstanden ist.
  • leichte Verstöße gegen das Kraftfahrzeugsteuergesetz (§§ 1, 4 KfzStG);
  • unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB), aber nur soweit der Schaden eines anderen unter 100 Euro liegt oder wenn der beschuldigte Jugendliche beträchtlich dazu beigetragen hat, den Unfall aufzuklären und ein Fahrverbot im konkreten Fall nicht droht. 
  • Sachbeschädigung (§ 303 StGB), soweit kein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht (das gilt auch, wenn ein Strafantrag gestellt wurde)
  • Hausfriedensbruch (§ 123 StGB);
  • Beleidigung (§ 185 StGB);
  • geringfügige Verstöße gegen das Telekommunikationsgesetz (§§ 94, 95 Telekommunikationsgesetz);
  • leichte Fälle des Missbrauchs von Notrufen (§ 145 StGB);
  • unter bestimmten Voraussetzungen geringfügige Verstöße gegen das Urheberrechtsgesetz.
  • fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) (soweit kein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht)

Vgl. Runderlass zur Einstellung von Jugendstrafverfahren nach §§ 45, 47 JGG (Diversion) v. 06.02.2003 des Brandenburgischen Ministeriums der Justiz.


Beachten Sie: In den genannten Fällen kann die Möglichkeit einer Einstellung des Strafverfahrens wegen Geringfügigkeit möglich sein. Zwingende Regeln oder pauschale Aussagen sind das aber nicht. Die Staatsanwaltschaft entscheidet hier, ob das Verfahren eingestellt wird. 

Ein erfahrener Anwalt für Strafrecht erkennt aber die Argumente im konkreten Einzelfall, die für eine Einstellung wegen Geringfügigkeit sprechen, kann dieser argumentativ gegenüber der Staatsanwaltschaft darlegen und die Einstellung des Strafverfahrens anregen.


Unter welchen Voraussetzungen wird ein Verfahren gegen Durchführung von erzieherischen Maßnahmen eingestellt?

Nach § 45 Abs. 2 JGG kann der Staatsanwalt von der Verfolgung absehen, wenn erzieherische Maßnahmen bereits durchgeführt oder eingeleitet wurden. Diese können auch durch Eltern, die Schule oder Jugendbehörden durchgeführt werden. Solche erzieherischen Maßnahmen können insbesondere sein:

  • Bemühung um einen Täter-Opfer-Ausgleich oder anderweitige Schadenswiedergutmachung oder Entschuldigung
  • Erziehungskurse
  • Drogen- oder Jugendberatung
  • Ableisten von Sozialstunden bzw. gemeinnütziger Arbeitsstunden
  • Konflikttraining und Anti-Gewalt-Seminare
  • Unter Umständen kann eine erzieherische Ansprache durch die Eltern bereits ausreichend sein.

Das Bemühen um einen Täter-Opfer-Ausgleich wird vom Jugendgerichtsgesetz einer entsprechenden erzieherischen Maßnahme in Form einer Weisung gleichgestellt.


Typische Anwendungsfälle für die Verfahrenseinstellung gemäß § 45 Abs. 2 JGG

Typische Anwendungsfälle für diese Art der Verfahrenseinstellung können beispielsweise sein (zwingend ist dies nicht!):

So der Runderlass zur Einstellung von Jugendstrafverfahren nach §§ 45, 47 JGG (Diversion) v. 06.02.2003 des Brandenburgischen Ministeriums der Justiz.


Wann ist die Einstellung bei Erteilung einer Ermahnung, Weisung oder Auflage möglich?

Das formlose richterliche Erziehungsverfahren nach § 45 Abs. 3 JGG kommt dann in Betracht, wenn 

  • die (eben genannten erzieherischen) Maßnahmen nicht ausreichen;
  • der Jugendstaatsanwalt die Einschaltung des Jugendrichters aus erzieherischen oder anderen Gründen für geboten hält, wobei der Jugendrichter Ermahnung, Weisung oder Auflage anordnen soll;
  • jedoch keine gewichtigeren Maßnahmen angemessen erscheinen und
  • der Beschuldigte geständig ist.

Dieses Verfahren bietet sich insbesondere dafür an, um letztlich die Erhebung der Anklage zu vermeiden, wenn alle anderen (erzieherischen) Maßnahmen scheitern.

Gerade dieses Vorgehen sei aber wohl überlegt zu sein, da es ein Geständnis des Beschuldigten voraussetzt. Ob ein solches Vorgehen in Ihrem Fall Sinn macht und erfolgsversprechend ist, bespricht mit Ihnen Ihr Anwalt für Jugendstrafrecht.


Was sind Ermahnung, Weisung und Auflage im Sinne dieser Einstellung?

Bei Ermahnung, Weisung und Auflage handelt es sich um spezielle und mildere Sanktionsmaßnahmen des Jugendstrafrechts. Die Auferlegung einer Weisung nach § 10 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, 7 und 9 JGG stellt eine Erziehungsmaßnahme dar, wohingegen die Erteilung einer Auflage bereits wegen seines ahnenden Charakters als strengeres Zuchtmittel eingeordnet wird. Beide Maßnahmen stellen jedoch das mildere Mittel zur Jugendstrafe dar. Sobald die erteilten Auflagen und Weisungen erfüllt sind, wird von der Verfolgung abgesehen.

Die Weisung des Richters kann die Erbringung von Arbeitsleistungen, Bemühen eines Täter-Opfer-Ausgleichs oder aber die Teilnahme am Verkehrsunterricht umfassen. Beispiele für Auflagen sind wiederum 

  • die Schadenswiedergutmachung,
  • die persönliche Entschuldigung oder 
  • die Zahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung.


Wann kann der Richter das Verfahren gemäß § 47 JGG einstellen?

Die Staatsanwaltschaft kann nach Anklageerhebung jederzeit eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 47 JGG anregen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn zwischenzeitlich angemessene erzieherische Reaktionen im sozialen Umfeld des Jugendlichen erfolgten oder sich wegen der Einschaltung der Jugendgerichtshilfe eben solche Möglichkeiten eröffnen. Darüber hinaus kann das Gericht bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 153 StPO das Verfahren einstellen – dazu gelten die Ausführungen zu § 45 Abs. 1 JGG i.V.m. § 153 StPO – oder aber eine Maßnahme nach § 45 Abs. 3 JGG anordnen. Fasst das Gericht diese Form der Einstellung ins Auge, so kann die Staatsanwaltschaft dazu ihre Zustimmung nach pflichtgemäßem Ermessen erteilen. 


Einstellung des Strafverfahrens, weil sich der Tatverdacht nicht erhärtet

Daneben besteht die generelle, also auch im Erwachsenenstrafrecht geltende, Möglichkeit, ein Strafverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einzustellen. So hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens dann einzustellen, wenn es an einem hinreichenden Tatverdacht fehlt. Der hinreichende Tatverdacht liegt vor, wenn es bei vorläufiger Beurteilung der Beweissituation wahrscheinlich ist, dass der Beschuldigte wegen der vorgeworfenen Straftat verurteilt wird. 


Wie kann ich eine Einstellung des Strafverfahrens erreichen?

Die besten Möglichkeiten für eine Verfahrenseinstellung im Ermittlungsverfahren bestehen bei Zuhilfenahme eines Strafverteidigers, der einen entsprechenden Einstellungsantrag mitsamt rechtlicher Würdigung stellt, welcher auf den konkreten Einzelfall zugeschnitten ist. Gerade bei Strafverfahren gegen Jugendliche bietet es sich an, sich an einen erfahrenen und spezialisierten Anwalt für Jugendstrafrecht zu wenden, der mit den Besonderheiten von Strafverfahren gegen Jugendliche vertraut ist.


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